„Wenn man Geschichte schreibt, dann ist das auch irgendwie was Faszinierendes.“ –- Jogi Löw
Während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2014 in Brasilien begleitete das DFB-Kamerateam bestehend aus Ulrich Voigt, Martin Christ und Jens Gronheid den Weg der deutschen Mannschaft bis zu den Feierlichkeiten zum vierten Weltmeistertitel. Zusammengeschnitten zum rund 90-minütigen Dokumentarfilm „Die Mannschaft“ kam das Material im Herbst desselben Jahres ins Kino.
Thomas Müller stolpert erst beim Freistoß-Training und anschließend beim Freistoß im Achtelfinalspiel gegen Algerien, anschließend hagelt es sieben Tore gegen den Gastgeber im legendären Halbfinale – mit diesen bemerkenswerten Bildern eröffnet der vom DFB und der FIFA produzierte „Die Mannschaft“, der die WM fortan aus Sicht des deutschen Kaders chronologisch Revue passieren lässt: Trainingslager in Südtirol, Anreise nach Brasilien, die Spiele der Gruppenphase (u.a. das pikante Spiel gegen die USA, deren Trainer ausgerechnet Jürgen Klinsmann war) und der Finalrunden, der glorreiche Sieg in der Verlängerung des hart umkämpften Finals gegen Argentinien und die öffentliche Titelzelebration in Berlin.
Um es direkt auf den Punkt zu bringen: Der nachträglich mit einigen Aussagen des Managers Oliver Bierhoff und Trainers Joachim Löw sowie diverser Spieler angereicherte „Die Mannschaft“ ist ein Werbefilm für die deutsche Nationalmannschaft: Mit Zooms und Zeitlupen aufgehübschte und von Helmut Zerlett mit stimmungsvoller Musik unterlegte Hochglanzbilder zeigen vornehmlich fröhliche Gesichter, attraktive Szenen der deutschen Spiele, sympathisches Auftreten der Mannschaft und viel Spaß, beschwören Teamgeist und Zusammenhalt – und lassen keinen Raum für Kritik. Zwischen Spielausschnitten, Statements, Trainingsbildern und Schnipseln aus Pressekonferenzen verliert Müller eine Golfwette und muss anschließend ein Dirndl tragen, versucht sich Christoph Kramer mehr schlecht als recht als Sänger und wird immer wieder geflachst und gescherzt, bis es erneut, gern auch in kraftvollen Motivationsreden und Kabinenansprachen von Trainer Löw, Kapitän Lahm oder DFB-Niersbach, um die Fokussierung auf dem Platz, um das Weiterkommen im Turnier geht (wenn nicht gerade der Zeugwart bei der Arbeit, ähnlich wie im Bonusmaterial zu Sönke Wortmanns „Sommermärchen“-Film, gezeigt wird). Die deutsche Delegation zeigt sich außerdem als respektvoller, an Land und Leuten interessierter Gast, der einen Indianerstamm ebenso besucht wie Sportschulen, während sich die hochdotierten Kicker als Stars zum Anfassen geben. Und nachdem man den Gastgeber und Favoriten mit 7:1 aus dem Turnier gefegt hat, lässt man sich nicht etwa zu demütigenden Gesten und Jubelarien hinreißen, sondern spendet den Verlierern Trost, zeigt Verständnis und seinerseits Demut.
Klar, das war tatsächlich so und ist auch zweifelsohne sympathisch, nur ist es eben nicht die ganze Wahrheit dieser WM. In Brasilien formten sich seit 2013 massive Proteste gegen die exorbitant hohen Kosten, die das Land bereitwillig ausgab, statt sich um sein marodes Gesundheits- und Bildungssystem zu kümmern und zu versuchen, die Armut der Bevölkerung endlich in den Griff zu bekommen. Zwangsumsiedlungen und Entrechtungen waren die Folge hoher FIFA-Auflagen, bei den Bauten der protzigen und nach der WM zumeist nutzlosen Prunkstadien starben Arbeiter etc. Die Proteste waren nicht nur verständlich, sondern auch ernstzunehmen, die Polizei Brasiliens ging überhart gegen Demonstranten vor und die Stimmung war regelrecht vergiftet – kein gutes Omen für eine friedvolle WM im Zeichen des Sportsgeists und der Völkerverständigung. Die WM-Berichterstattung war zumindest zunächst noch geprägt von Berichten über den Unmut der brasilianischen Bevölkerung und die Kombination aus FIFA-Gier, Gleichgültigkeit der brasilianischen Regierung und Brutalität der Exekutive war und ist beschämend.
Nun geht es indes in „Die Mannschaft“ vorrangig um dieselbe und da ist eben das Maximum an kritischer Auseinandersetzung mit der Außenwelt das Interview mit Per Mertesacker nach dem schwierigen Algerien-Spiel, in dem er (zurecht) dem Reporter erfrischend ungekünstelt sein Unverständnis für die Fragestellung demonstriert. Dass die viel mit ihren Smartphones beschäftigten Spieler sicherlich auch anderes aufgeschnappt und diskutiert haben, lässt sich anhand dieser Dokumentation lediglich erahnen. Natürlich kann man darüber streiten, inwieweit es Pflicht dieses Films gewesen wäre, die Veranstaltung auch kritisch zu betrachten, ob man das überhaupt erwarten kann und darf, ob eine Dokumentation über das DFB-Team vom DFB selbst überhaupt eine gute Idee ist oder ob nicht gerade die Konzentration auf die titelgebende Mannschaft die besondere Stärke dieses Films ist, der sich damit von anderen, die WM als Ganzes behandelnden Filmen abhebt.
Eines ist „Die Mannschaft“ in jedem Falle: Ein Zeugnis des aktuellen bzw. „damaligen“ Selbstverständnisses der DFB-Auswahl, der Außenwirkung, die man transportiert und pflegt und der Ideale, die man verkörpert bzw. verkörpern möchte: Zusammengefasst zum „Geist von Campo Bahia“ hat das viel mit Respekt, Raum für Individualität, Balance und Ausgleich und eben mit taktischer Intelligenz, Kampf- und dem bereits genannten und hier besonders herausgekehrten Teamgeist zu tun, was auf entwaffnende Weise präsentiert und schmackhaft gemacht wird – und allen während dieser Turniere aufkeimenden Nationalismus-Debatten zum Trotz ohne Hurra- und Party-Patriotismus oder sonstige fragwürdige Auswüchse auskommt.
Primär aber ist „Die Mannschaft“ noch einmal etwas anderes: Ein sich nah an inszenatorischer Perfektion orientierender kompakter Rückblick auf das Turnier für Fans der DFB-Auswahl, die 90 Minuten lang noch einmal Freudentaumel und Gänsehaut, Exotik und Pathos und nicht zuletzt ihren Lieblingssport auf welthöchstem Niveau nachempfinden können, mit einigen intimen Bildern à la Wortmann aus den Kabinen oder angetrunkenen Busfahrten und Bar-/Disco-Besuchen nach dem Titelsieg, nicht nur deshalb viel Spaß, etwas Dramatik, doch diesmal ohne Tragik. Am Ende gibt’s den Schulterschluss zu den vorausgegangenen Generationen mit Bildern vorheriger deutscher WM-Siege und Andreas Bouranis „Ein Hoch auf uns“, jene inoffizielle deutsche WM-Hymne, erklingt noch einmal. „Die Mannschaft“ ist die filmgewordene Begeisterung für die Nationalelf, diese emotionale Angelegenheit, die einen wider jeder Vernunft alles andere ausklammern und mit elf Bolzern tausende Kilometer weit entfernt mitfiebern lässt – gewissermaßen aber auch perfektes Propaganda-Kino. Wie gut, dass es da „nur“ um die wichtigste Nebensache der Welt geht.