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Scheinbar mit einer Vielzahl überzogener Begriffe versehen, die sich im Genre des Rachedramas sowieso quer durch die jüngere koreanische Filmgeschichte ziehen, erschafft Broken, die bereits dritte dort ansässige Verfilmung eines Romans des japanischen Autoren Keigo Higashino [nach White Night, 2009, und Perfect Number, 2012]  eine moralische statt der gängigen rein technischen Reproduzierbarkeit. Vordergründig um die die Erfüllung der Gelüste von Hass und Vergeltung, der Selbstjustiz und des archaischen Auge-um-Auge Prinzips und der Hetzjagd zwischen Kriminellen und Verbrecher kreisend, wird sich alsbald und anhaltend des modernden physischen Teils derlei Geschichten entzogen und in das Innere der Personen gelangt. Man verschwindet von der Zivilisation, die hier wohl von Beginn an nur noch Fassade ist, in die Demobilisation der Gefühle, die Depersonalisation der Umgebung, und die Derealisation, das Empfinden der Unwirklichkeit und Verfremdung der Umwelt, aus dem mit heiler Haut und heiler Seele kein Entrinnen mehr, und nur noch Risse, Gräben und Brüche, Entbehrungen, Verletzungen und Erschöpfungen über sind:

Als der nach dem Krebstod seiner Frau früh zum Witwer gewordene Fabrikangestellte Lee Sang-hyeon [ Jeong Jae-yeong ] von dem Polizisten Jang Eok-gwan [ Lee Sung-min ] und dem Kollegen Park Hyeon-soo [ Seo Joon-yeong ] zur Identifizierung seiner Tochter Joo-jin [ Lee Soo-bin ] in die Leichenhalle gebeten wird, bricht für ihn endgültig eine Welt zusammen. Dass gerade achtzehnjährige Mädchen wurde von mehreren Jugendlichen überfallen, und mit Drogen und Gewalt sexuell missbraucht; die Polizei tappt in ihrer Suche nach den Tätern des sogenannten "Bathhouse Murder" noch im Dunkeln. Als Lee durch den Fahrer und somit zum Komplizen gewordenen und sich schuldig fühlenden Schüler Kim Min-gi [ Choi Sang-wook ] von der Identität und dem Aufenthaltsort der Angreifer erfährt, sucht er einen der Delinquenten auf; und wird ungeplant, aber im Affekt durch dessen Verhalten und die aufgestaute Wut und Hass, Trauer und Verzweiflung selbst zum Mörder. Nun auf der Flucht vor der Polizei, von den Medien gejagt und weiter auf der Suche nach dem Anführer der Jugendbande, dem in die winterlichen Berge in ein Skiresort gereisten Jo Doo-sik [ Lee Joo-seung ], verliert der hoffnungslose Mann jegliche Bindung zur Außenwelt.

•Crime •Thriller •Drama.
Tränen, Tod, Einsamkeit und Vergessen.
Drei Jahre Vorbereitungszeit und so längere Planung für die Umsetzung des 2004 geschriebenen, bereits 2009 von Shôichi Mashiko verfilmten Romanes hat sich Regisseur und Drehbuchautor Lee Jeong-ho für seine Überzeugung und der Anforderungen an eine ausgleichende Handlung samt Präzisierung der meisten dort auftretenden Figuren genommen. Basierend auf „Samayou Yaiba" (lit. „Hovering Blade" or „Roving Edge", die auch als Alternativ gelten) wird die Flucht in das Verderben der Verzweiflung gewählt, steht hier nie der Wunsch nach Rückgängigkeit und Heilung des Geschehens, sondern das Fortschreiten bereits fataler Entwicklungstendenzen im Sinn. Der Wunsch nach Rache ist gar nicht der Auslöser, sondern nur der Beigeschmack, vielmehr hat der Mann, der nach seiner Frau auch nun seine Tochter und damit den letzten Halt verlor, einfach das Bedürfnis nach einer Bewegung überhaupt im Sinn. Vorher nicht fähig, außer dem Versacken in der Arbeit und dem Folgen einer Routine im Alltag die Gefühle zu zeigen, ist es nun für Regungen eigentlich zu spät und deswegen umso mehr egal, besteht diese Möglichkeit des Absitzens weiterer Ereignisse und des simplen Weiterlebens allerdings nicht mehr.

"Sitting around, doing nothing. Is that really the best I can do? Like this? Like an invalid?" wird der Polizist von dem Vater der Toten, der ständig und vergebens auf der Suche nach Antworten und Lösungen das Revier heimsucht, gefragt. "Please go home and wait" lautet jeweils die einzige Antwort; eine Rückäußerung, die genau nicht mehr möglich ist, da die Wege versperrt, die Blicke starr vor Trauer und Wut und Verzweiflung und alles bereits erschüttert und schlichtweg fassungslos ist. Die Polizisten können untereinander diskutieren, oder mit den Eltern der Täter, wobei jeweils verschiedene Meinungen und Ansichten und so rundweg mehrere Perspektiven, vielerlei verschachtelte Verbindungen der Mitmenschen sichtbar und tragbar für die materielle Struktur der Erzählung möglich sind. Richtig und falsch und gut und böse und weiß und schwarz gibt es hier so wirklich nicht, kann man sich nach den Worten des Gesetzes und der Pflichten des Berufes richten, aber nicht von anderen Gefühlen und Ideen und Sympathien freikaufen; da vieles davon unkontrollierbar bzw. schwer kontrollierbar in seinen Gewalten ist. Zusätzlich zum Bruch im Leben von Lee und dessen Scherben der Existenz werden auch die anderen Personen und Umstände als Puzzle integriert, gibt es noch mehr Opfer, noch andere Faktoren, darunter auch die Rolle der Medien – "Listen up. Kids killing adults don't make the news anymore. But adults killing kids is a serious matter." – und das Problem von Erwachsenen- und Jugendstrafrecht, der Generationenkonflikt: "There is no adult or minor in crime. Only the same filthy criminals." Die Suche nach dem Warum, das eigene schlechte Gewissen, die Tochter vernachlässigt zu haben, das Verlorensein in der jetzigen scheinbar amoralischen Welt, das Unvertrauen in die Gerechtigkeit, der Kampf um das Bleiben und Erinnern.

Dabei ist die Sinneswahrnehmung der Inszenierung vermehrt feingliedrig, ruhig im Aufbau und sich Zeit ehmend für Kleinigkeiten im Verfolgen eines größeren Blicks; das Vorgehen von Lee Sang-hyeon dafür eher stumpf und wie betäubt von einem winzigen zum nächsten winzigen, allerdings unaufhaltsam vorwärts kommenden Schritt. Ist die erste Tat noch im Affekt begangen, aus dem ungünstigen Zufall und der plötzlichen aufwallenden Regung, aus dem Kurzschluss heraus, so ist die zweite, wesentlich langsamer im Kampf des Todes vollzogene umso schockierender im Effekt. Der Mensch, der da handelt, handelt eigentlich schon gar nicht mehr, und später, wenn die Planung erst anfängt auch höchstens noch wie ein waidwundes Tier, dem vom Bitterkeit und Schmerz die Luft zum Atmen genommen wird. Ist das Dasein schon entwichen, ausgelöscht, verlangsamt bis zum Stillstand und registriert Er alles Andere um ihn herum schon gar nicht mehr. Eine Sinneswahrnehmung, die außer der Einsamkeit, der beißenden Kälte des schneeumflorten Winters, der scheinbar unendlichen und eintönigen Weite des Skigebietes im weißen Kleid der Natur schon gar keine Einsichten und Abwägungen mehr anbietet, sondern ein reines Machen und Tun und Nebenherleben diverser äußerer Einflüsse vollzieht.

In der Regie zurückhaltend, nur gleichsam als stiller Beobachter nah an den Figuren und ihrem Handeln, nicht auf den großen Aufwand bedacht, zu dessen Möglichkeiten und Ausspielen man auch problemlos wandern könnte – eine Quarantäne des Skiresorts durch Absperrungen und Polizeiaufgebot wird angedeutet und mit den Mitteln des formalen Thrillerkinos prognostiziert.

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