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„Billy Jack“ gehört zu den übersehenen Miniklassikern des (Genre-)Kinos, zumindest hier in Deutschland. Ursprünglich war Tom Laughlins Film 1971 kommerziell nicht sehr erfolgreich, doch bei einem Re-Release im Jahre 1973 wurde er zum Hit, da Laughlin bereits die Praxen des Breitenstarts und der massiven Bewerbung nutzte, mit denen „Der weiße Hai“ später den Sommerblockbuster in seiner anerkannten Form schuf.
Gleichzeitig zeigt „Billy Jack“ sehr deutlich auf, dass die Wurzeln des Actionkinos im Western liegen. Billy Jack (Tom Laughlin) sitzt bei seinem ersten Auftritt hoch zu Pferd, wenn er Stuart Posner (Bert Freed) und seine Entourage in die Schranken weist, nachdem diese illegal Wildpferde auf Indianerland einfangen, zwecks Weiterverarbeitung zu Hundefutter. Billy ist selbst Halbindianer, wie vor allem im Quasi-Vorgänger „The Born Losers“ betont, dessen Ereignisse in „Billy Jack“ aber weder eine Rolle spielen noch erwähnt werden. Billy beschützt nicht nur Indianerland vor gierigen Weißen, denen die Passivität des Sheriffs Cole (Clark Howat) in die Hände spielt, sondern auch die Freedom School, eine Schule von Hippie-Kindern.
Doch mit der Rückkehr von Barbara (Julie Webb) wird eine Eskalationskette in Gang gesetzt. Diese ist vor ihrem gewalttätigen Vater Mike (Kenneth Tobey) geflohen, der dummerweise Deputy ist. Also bringt ihm Cole die Tochter zurück, die ihm rebellisch-stolz verkündet, dass sie nach ausschweifenden sexuellen Eskapaden schwanger ist und keine Ahnung hat, wer der Vater ist. So viel Offenheit wird mit kräftigen Watschen belohnt, weshalb Barbara sich schließlich in der Freedom School versteckt, die von Jean Roberts (Delores Taylor) geleitet wird. Da die Hippies den konservativen Kleinstädtern suspekt sind, Cole den Lebenswandel seiner Tochter als Teil des Hippietums ansieht und Stuart liebend gern Öl ins Feuer gießt, zeichnet sich der Konflikt schon im Frühstadium ab, der hier zwischen liebevollen Idealisten und ineffektiven bis bösartigen Relikten schlechterer Zeiten ausgetragen wird.

Glücklicherweise ist Billy Jack als Beschützer zur Stelle, denn die Hippies leben ihren Pazifismus in diesem Film sehr konsequent aus. Doch so sehr Billy, Jean und Cole sich auf ihre Weise um Deeskalation bemühen, dreht sich die Konfliktschraube immer weiter…
Neben anderen Actionfilmen aus dem gleichen Baujahr, man denke vor allem an „Dirty Harry“ und „French Connection“, ist „Billy Jack“ schon recht zahm und zurückhaltend. Die Spektakelszenen des fast zwei Stunden langen Films sind meist kurz und noch nicht einmal die Hauptattraktion: Ein paar Schusswechsel hier, eine kurze Verfolgungsjagd da und gelegentliche Demonstrationen von Billys Hapkido-Künsten. Im Gegensatz zu „The Born Losers“ hatte Laughlin für diesen Film auch Kampfkunst trainiert, wobei er für die spektakuläreren Tritte immer noch von seinem Lehrmeister Bong Soo Han gedoubelt werden musste, weshalb man Billy bei solchen Aktionen meist von hinten sieht. Damit war „Billy Jack“ seiner Zeit jedoch voraus, die von Bruce Lee ausgelöste Martial-Arts-Welle gab es noch nicht, und eine Szene nach rund 30 Minuten, in der Billy Jack der örtlichen Schlägertruppe zeigt wo der Frosch die Locken hat, ragt als kleines Actionhighlight aus dem Film hervor.
Interessant ist „Billy Jack“ aber auch als Entwurf eines eher linken Actionfilms. Vieles daran ist eigentlich klassisch: Egal wie sehr die Pazifisten jammern, Billy löst als Nicht-Hippie die Probleme mit Faust, Fuß und Knarre doch am besten. Und auch hier muss der Individualist höhere Werte gegen skrupellose Kapitalisten und eine ineffektive bis korrupte Justiz bewahren. Doch „Billy Jack“ dreht das Muster um: Während im ähnlich gelagerten, zwei Jahre später entstandenen „Walking Tall“ Drogenhandel und Prostitution gute ländliche Werte bedrohen, so sind hier die Dope-rauchenden, anders lebenden Blumenkinder in Gefahr, die Gegner anerkannte Geschäftsleute und Gesetzeshüter, die hinter verschlossenen Türen ihre Kinder schlagen, das Recht biegen oder sich bereichern wollen. Außerdem bemüht „Billy Jack“ sich darum das Eingreifen seines Titelhelden stets als letzte Option zu zeigen, nachdem die Hippies mit kreativen Protestmaßnahmen und legalen Mitteln scheitern. Gleichzeitig stößt der Film dabei interessante Fragen an, etwa wenn eine Figur eine Vergewaltigung verschweigt, da die Tat bereits geschehen ist, die Justiz ihr nicht helfen wird und Billys Rache ihn nur weiter in Schwierigkeiten bringen würde, würde sie ihm davon erzählen.

Das ist politisch nicht immer kohärent, sorgt aber für einen ungewohnten Selbstjustizfilm, der im Gegensatz zu den großen Genreklassikern ungewohnt dialoglastig ist und sich minutenlange Exkurse in die Hippie-Kultur erlaubt: Gemeinsames Singen von Liedern, Improvisationstheater und dergleichen nimmt viel Screentime in Anspruch, ist manchmal extrem interessant anzusehen (etwa wenn die Hippies ihre Sicht der Polizei und der Verhältnisse auf die Bühne bringen), in mancher Sangespassage allerdings auch ziemlich nervtötend. Auch die Eskalation zeichnet „Billy Jack“ nicht als Abfolge sich überschlagender Ereignisse, sondern mit jener Langsamkeit, die viele Filme der frühen 1970er auszeichnet, nach. Der Bodycount ist nicht hoch, die Handlung nicht sonderlich komplex, doch mit seinen Figuren, die für verschiedene Weltanschauungen stehen, zeichnet „Billy Jack“ dennoch ein interessantes, teilweise sogar facettenreiches Portrait von einem Kleinstadtleben, in dem schwelende Konflikte nach und nach auflodern.
Dabei ist dieses an eine Versuchsanordnung erinnernde Muster mit seinen Figuren besser als die Schauspieler, die das alles darstellen. Tom Laughlin ist auch hier wieder extrem stoisch und mimisch wenig facettenreich in der Heldenrolle, zeigt aber mehr Charisma als in „The Born Losers“. Bert Freed, Kenneth Tobey und David Roya sind ein brauchbares Schmierlappentrio, während der Rest irgendwo zwischen routiniert und blass changiert – gerade Delores Taylor, deren Jean den Film als Off-Stimme gelegentlich kommentiert, ist als weibliche Hauptfigur erschreckend blass und nichtssagend.

Obwohl „Billy Jack“ noch zwei Sequels nach sich zog, kann man verstehen, dass er nicht ganz so bekannt wie andere Seventies-Selbstjustizklassiker vom Kaliber von „Dirty Harry“, „Death Wish“ oder „Walking Tall“ ist: Die Schauwerte sind knapp, die Darstellerleistungen nie überragend und die eine oder andere Durststrecke hat der langsam erzählte Film auch. Und doch hat „Billy Jack“ als Entwurf eines Hippie- und Gegenkultur-Actionfilms, als Portrait von steigender Aggression in der Kleinstadt, als mit Martial Arts angereicherter Actionfilm vor der Bruce-Lee-Welle und als Bindeglied zwischen Western und modernem Actionkino einen Reiz, den man ihm nicht absprechen kann und der ihn nicht nur aus actionhistorischer Sicht sehenswert macht.

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