Review

Mit "Carlito`s Way" widmeten sich Brian De Palma und Al Pacino zum zweiten Mal dem Sujet des Latino-Gangster-Milieus. Allerdings geht es hier nicht um das Aufwärmen eines erfolgreichen Rezepts, denn Carlito Brigante erzählt uns eine gänzlich anders geartete Geschichte als es Tony Montana zehn Jahre zuvor tat.


Widmete sich De Palma in "Scarface" dem Aufstieg und letztlich unvermeidbaren Fall des Koksbarons Montana, so reduziert er den Blick auf Carlito Brigante auf wenige Monate nach dessen Haftentlassung, die von dem gescheiterten Versuch eines Entkommens aus dem Milieu geprägt sind. 

Interessanter Weise legte De Palma dabei großen Wert auf eine gesteigerte Sentimentalität, die so manches Mal schon ins Kitschige abdriftet. In diesen Sequenzen kann man dann eventuell auch Kritikpunkte finden. Auch wenn ich diese altmodische Liebesdramatik irgendwie passend finde, ist Penelope Ann Miller vielleicht nicht die beste Wahl gewesen. Immerhin stellt diese Figur den magnetischen Pol für die Hauptfigur dar, aber insgesamt wirkt Miller zu blass und legt ihre Rolle deutlich zu naiv an. Ein Format wie Pacino will einfach nicht so recht dazu passen. Letztlich bleibt hier ein zentrales Handlungsmotiv des Helden zu schwach ausgeleuchtet.

Ebenso klassisch wie die Liebesgeschichte reiht sich auch der Rest des Films in bekannte Muster ein. Unkreativ ist dies hier aber bei Weitem nicht, denn ein großer Wille hin zur ausgeklügelten Erzählung einer klassischen und vor allem dramatischen Gangsterstory ist durchgehend zu erkennen. Zwar ist "Carlito`s Way" kein echter Neo-Noir, aber die Anleihen sind eindeutig zu erkennen und ergeben eine stimmige und anhaltende Atmosphäre. Den Vorwurf des „Style over Substance“ lasse ich aber nicht gelten, denn letztlich haben alle Gangster-Filme ähnlich gelagerte Inhalte. Man wirft ja auch einer Folge „Tatort“ nicht vor, dass es dort um Mord geht. Und letztlich werden alle Handlungsstränge nach den geltenden Gesetzen des Genres schlüssig auserzählt.

Ein ebenso einfacher wie effektiver Ansatz De Palmas ist es dabei, grandiose Spannungsszenen im Film so zu platzieren, dass die sehr ausführlichen ruhigen Szenen im Film in die Spannung eingebettet werden und tatsächlich keine Langeweile aufkommen lassen, selbst wenn wir Carlito auf Schritt und Tritt durch seine dunkle Welt folgen und dabei eine Vielzahl an Figuren kennenlernen, die oftmals in ruhigen Dialogen eingeführt werden. Aber Pacino würde man in dieser Rolle auch zwei Stunden beim Billardspielen zuschauen, er liefert einfach eine großartige Vorstellung ab.

Unter den zwielichtigen Gestalten, die hier ihr Unwesen treiben, bleiben viele im Gedächtnis. Im Gegensatz zur weiblichen Hauptrolle machen die Beteiligten hier aber ausnahmslos alle eine gute Figur und es gibt viele denkwürdige Dialogszenen zwischen Pacino und Kollegen, wobei besonders Luis Guzmán und John Leguizamo in den kleineren Nebenrollen hervorstechen.

Sean Penn liefert hier eine Galavorstellung als langsam durchdrehender Anwalt ab und sein Aussehen mit Stirnglatze, Kotletten und Minipli ist der Wahnsinn. Aus meiner Sicht ist das hier seine beste Rolle.

Dass die Spannung, bzw. der Unterhaltungswert des Films nicht abreißt, liegt neben der exzellenten Kameraarbeit ganz besonders an der Musik. Sowohl die gewählten Disco-Tracks als auch die Kompositionen von Patrick Doyle prägen den Film und lassen mich merken, wie selten Filme genau so gut klingen wie sie auch aussehen. Der Drive des Films wird wesentlich aus dem perfekten Zusammenspiel von Bild und Ton geprägt, wodurch eine große Eleganz entsteht, die dem Thema angemessen ist, aber lange nicht von jedem Milieu-Film gelungen umgesetzt wird. Poser gibt es im Film zwar reichlich, aber der Film selbst muss sich diesen Vorwurf wahrlich nicht bieten lassen. Form und Inhalt werden hier in absoluten Einklang gebracht.

Gerade die großartigen Schlussszenen mit Verfolgungsjagd und am Bahnhof sind so spannend, wie ich es nur selten zuvor gesehen habe. Hier könnte man De Palma mit Blick auf "Die Unbestechlichen" von 1987 vielleicht vorwerfen, er kopiere sich selbst, aber beide Filme sind jeder für sich genommen schlicht großartiges Handwerk.


Fazit

"Carlito´s Way" ist ein gelungenes Gangster-Drama mit einem Al Pacino in Bestform, interessanten Figuren, beeindruckender Kameraarbeit, tollem Soundtrack und perfekten Spannungsszenen. Vielleicht neigt der Film mitunter zum Kitsch, jedoch fühlt sich alles zusammen einfach wie großes Hollywood-Kino an, das noch nicht hauptsächlich über seine optischen Schauwerte funktionieren will, sondern über gutes, altes Filmhandwerk im allerbesten Sinne unterhalten will. Neu erscheint hier nichts, aber alle Bestandteile werden nahezu perfekt in Komposition gebracht.

Allerdings war der Film bei Erscheinen eventuell doch innovativer als es heute den Anschein hat, denn "Casino" kam erst zwei Jahre später ins Kino und somit war der Gangster-Film seit "Good Fellas" von 1990 eher ein Nischenprodukt.

Wem der Film zusagt, dem könnte man jetzt noch den vollkommen zu unrecht nahezu vergessenen "Im Vorhof zur Hölle" von 1990 empfehlen, der ebenso die Schwierigkeiten schildert, sich von einem kriminellen, mafiösen Milieu, in diesem Fall einem irisch geprägten, zu lösen.


STAND DEZEMBER 2020: WARUM GIBT ES KEINE DEUTSCHE BLU-RAY-VERÖFFENTLICHUNG DES FILMS??? 
Jeder Mist kommt in HD raus, aber diese Perle muss man sich in Deutschland antiquarisch auf DVD von 2004 bestellen. Geht's noch, Universal? Es gibt zwar englisch-sprachige Blu-rays, aber die wirklich gelungene Synchronisation mit Klaus Kindler und vor allem Ulrich Matthes möchte ich nicht missen. Auch wenn Al Pacino natürlich einer der coolsten Stimmen überhaupt hat.

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