Ein seltener Glücksfall, denn bei diesem Film stimmt einfach alles: das Drehbuch, die Dialoge, die Kamera, der Schnitt, die Schauspieler, die Ausstattung, die Musik und der Regisseur, der all das unter einen Hut gebracht hat. Brian de Palma gehört für mich zu den besten Regisseuren überhaupt, allerdings sind nur wenige Filme von ihm auf der ihm möglichen Höhe. "Carlito" steht ganz klar im de-Palma-Zenit, "Dressed To Kill" und "Carrie" gehören für mich auch noch ganz nach oben, aber eine kontinuierliche Qualität wie Kubrick oder Scorsese hat de Palma nie erreicht. So einen völligen Fehlgriff wie "Mission To Mars" sucht man bei den genannten vergebens, de Palma begibt sich häufig ins Mittelmaß ("Verdammten des Krieges", "Black Dahlia").
Dabei beweist "Carlito's Way", dass de Palma weiß, wie man mit einem Film erzählen kann. Sean Penns Krankenhausszene ist cineastisches Gold wert: als ein Killer eintritt und Penn vergeblich nach seinem eigenen Revolver greift, um ihm zuvor zu kommen, kippt die Kamera langsam nach rechts und evoziert so eine ungeheure Verunsicherung beim Zuschauer, die mit der Verunsicherung Penns korreliert: in einer Montage sehen wir Al Pacino, der mit nachlässiger Bewegung die Patronen aus Penns Revolver in einen Mülleimer wirft und sich von seinem ehemaligen Freund verabschiedet.
Sowohl Al Pacino wie auch der extrem wandlungsfähige Sean Penn bieten in diesem Film Höhepunkte ihrer Schauspielkarriere. Die Entwicklungen ihrer Charaktere spiegeln sich: Pacino als Carlito, der aus der Gangsterwelt, in der er sich entscheidungssicher und instinktiv bewegt, aussteigen und ein unanfechtbares Leben führen will - Penn als Kleinfeld, der sich mehr und mehr aus seiner Anwaltskanzlei in die Welt der Kriminellen begibt, von deren Gesetzen er allerdings nicht die geringste Ahnung hat. Die sich überkreuzende Entwicklung beider Figuren inszeniert de Palma in Zuspitzung bis zur Kathastrophe, deren Unabwendbarkeit mit Kleinfelds Doppelmord besiegelt ist. Carlito erkennt im Gegensatz zu Kleinfeld, welches Verbrechen unter Verbrechern ein Verbrechen, was ein Fehler ist, aber auch er unterschätzt manche Kleinigkeiten, die sich später an ihm Rächen werden. Dabei wissen wir seit dem Beginn des Films, dass er nicht glücklich endet und auch Pacinos Off-Stimme, mit der uns Carlito rückblickend seine Geschichte im Moment des Sterbens erzählt, lässt daran keinen Zweifel.
Was zu den de Palma auszeichnenden Qualitäten gehört, sind Plansequenzen, in denen sich die Kamera nahezu frei bewegt, während Schauspieler und Komparsen einer ausgetüftelten Choreographie folgen, um eine größtmögliche Illusion von Realität im Film herzustellen. In beinahe jedem seiner Filme finden sich derartige Sequenzen. In "Carlito's Way" spielt sich eine solche Plansequenz im Bahnhof ab, wo zwischen Al Pacino und seinem Zug in die Freiheit die feindlichen Killer stehen. Daraus entwickelt sich ein regelrechtes Ballett aus Schleichen, Beobachten, Flüchten, Entrinnen, Verfolgen, über Rolltreppen, Gänge, Hallen - gefilmt mit einer Steadycam und ohne Schnitt inszeniert. Ein einziger Genuß. Sofern man überhaupt noch an filmische Methoden denken kann, während man mit Carlito um seinen rettenden Ausweg bangt.