Review

Andreas Baader und Co. ziehen, revolutionäre Phrasen schwingend, durch Deutschland und versuchen mit Bomben die Gesellschaft zu verändern. Sich in das Bewusstsein der Gesellschaft zu bomben damit es aufbricht, wie es Vadim Glowna in einer Szene des Films sagt. Der Film behandelt die Jahre 1967 bis 1972 aus dem Blickwinkel des Andreas Baader, und zwar, könnte man meinen, aus dem ausgesprochen persönlichen Blickwinkel des Andreas Baader.

Fakt ist, dass Christopher Roth hier das Experiment wagt, eine historische Gestalt in ein teilfiktionales Umfeld zu stecken. Tatsächlich geschehene Vorgänge mit erfundenen Spielszenen anzureichern. Und als Krönung dem Ganzen ein Ende zu verpassen, das so niemals stattgefunden hat, wohl aber in der Fantasie des Andreas Baader durchaus hätte existieren können.

Ein spannendes Experiment, auf das man sich als Zuschauer allerdings einlassen muss. Mehr als alle anderen Mitglieder der Baader-Meinhof-Bande polarisiert Andreas Baader bis heute am Meisten. Er hatte nicht die coole Sexyness einer Gudrun Ensslin, nicht die intellektuellen Möglichkeiten einer Ulrike Meinhof, und auch nicht den studentischen Hintergrund etwa eines Jan-Carl Raspe oder eines Holger Meins, die sich auch vor der Extremisierung bereits als Protestierer gegen empfundene Missstände mit dem Staat anlegten. Ehrlich gesagt war Baader nichts als ein Prolet, der oft ein asoziales Verhalten an den Tag legte, sein Leben lang einen Hang hatte zu Lederjacken und schnellen Autos, wegen Autodiebstahl öfters mal im Gefängnis war, und eigentlich nur ein Arsch war. Aber er hatte halt, wenn man zeitgenössischen Quellen glaubt, großes Charisma, und konnte dieses auch instinktiv einsetzen. Eine geborene Führernatur also …

Mit dem ebenfalls sehr charismatischen Moritz Bleibtreu hat Uli Edel 2008 Andreas Baader ein ewig währendes Denkmal gesetzt. Charmant, aggressiv, und im ständigen Wechsel seiner Stimmungen oft unberechenbar, verbinde selbst ich als Zeitzeuge der zweiten Generation RAF Baader mittlerweile automatisch mit Bleibtreu.
BAADER allerdings ist 6 Jahre früher entstanden. Die Schauspieler sind unbekannt, das Budget ist sichtlich niedrig, und die Sache mit dem Charisma wird ein wenig hintenangestellt. Wenn man Edels BMK zuerst sieht, und das ist der Bekanntheit des Films heutzutage fast von selber geschuldet, tut man sich mit Frank Gierings spröder und extrem zurückhaltender Darstellung gleich doppelt schwierig. Also alles nicht so einfach …

Hinzu kommt der Umstand, dass BAADER in seiner Machart oft an zeitgenössische Filme erinnert: Wenn junge Menschen in schwarzweiß auf einem Feld sitzen und revolutionäres Geschwurbel ablassen. Wenn die Erzählung durch die Jahre mäandert und streiflichtartig einzelne Episoden eines Lebens erzählt, ohne dass der Zuschauer weiß, ob sich diese Episoden tatsächlich zugetragen haben oder ob sie erfunden sind. Wenn unendlich viele Personen mit Sprechrollen auftauchen ohne Namen zu bekommen. Oder sich nur und ausschließlich mit Decknamen anreden. Das alles könnte so auch aus einem Autorenfilm der späten 60er kommen, und für diese Filme muss man heute(!) bekanntlich sowieso ein etwas breiteres Filmverständnis mitbringen.

Auch der Inhalt der erwähnten Episoden ist nicht immer verständlich. Warum wird eine kurze Sequenz auf der Transitautobahn gezeigt und sogar zeitlich und örtlich festgelegt, obwohl auf diese Szene nie wieder irgendein Bezug genommen wird? Warum muss Laura Tonke ihre hübschen Brüste beim Abschiedsgespräch mit dem Vater nackt in den fallenden Schnee recken? Auch die ein oder andere Szene im palästinensischen Ausbildungslager ergibt erst dann Sinn, wenn man entweder die Historie sehr gut kennt, oder den BAADER-MEINHOF-KOMPLEX gesehen hat, der die gleiche Geschichte stringent und verständlicher erzählt.

Christopher Roth macht es einem also beileibe nicht leicht. Aber sagen wir es doch mal so: Die Idee, im Jahr 2002 eine Geschichte der Jahre 1967 – 1972 mit den filmischen Mitteln dieser Zeit zu erzählen ist bei aller Gewagtheit auf jeden Fall interessant. Auch die Sache mit der Vermischung zwischen Historie und Fiktionalität ist durchaus spannend. (Kann man das dann eigentlich bereits Mockumentary nennen?) Ich behaupte mal, dass der Filmtod Baaders sehr wohl der Tod war, den Baader sich selber erträumt hat – mit vielen Einschusslöchern und in Zeitlupe, wie von Sam Peckinpah inszeniert. Und das erfundene Gespräch zwischen Baader und dem BKA-Präsident Krone (respektive Horst Herold in der Realität) hätte ein echter Höhepunkt des Films sein können. Leider erschöpft sich die Szene im Austausch von Phrasen, was zwar realistisch gewesen wäre, aber besagten Höhepunkt leider etwas verwässert. Herold, der durchaus Verständnis für die Probleme der Protestierenden hatte, und sehr wohl wusste aus welchen Gründen ein militanter Untergrund entsteht, Herold und Baader im Gespräch, das hätte in der Realität durchaus interessant sein können …

So entsteht insgesamt ein recht zwiespältiger Eindruck. Vor allem im Vergleich mit dem hochbudgetierten und vergleichsweise glamourhaften BMK ist BAADER ein ganzes Stück kleiner, schmutziger und düsterer. Was ja bei einer Geschichte, die im Untergrund spielt, beileibe nicht schlecht sein muss. Die Szenen zur Weihnacht ’71, wenn das kleine Grüppchen ohne Heizung und ohne Essen in einem leeren Haus sitzt und kurz vor dem Aufgeben ist, diese Szenen sind intensiv und sicher auch nah an der Wirklichkeit. Auch Frank Giering gelingen einige starke Momente, vor allem wenn die Kamera nur auf ihm ruht und seine Ausstrahlung einfängt. Seine, den anderen Revolutionären nachgeplapperten Phrasen, werden beim ihm zum Programm, und kommen zwar einigermaßen plattitüdenhaft, aber eben auch mit einer gewissen Überzeugungskraft rüber – So, wie es wohl in der Wirklichkeit auch gewesen ist: Hohl, aber kraftvoll. Auch heute noch die Grundausrüstung vieler Führungspersönlichkeiten …
Auf der anderen Seite ist dann dieses Übermaß an anderen Personen, die so gar nicht zur Geltung kommen (Gudrun Ensslin einmal ausgenommen). Ulrike Meinhof ist hier nur eine Person unter vielen, und wichtige Namen wie Petra Schelm oder Jan-Carl Raspe sind zwar vorhanden, werden aber nicht (bzw. nur mit Decknamen) genannt. Somit zeigt BAADER die Vorgänge der damaligen Zeit tatsächlich aus der, ich erwähnte es bereits, höchstpersönlichen Sichtweise des Andreas Baader, in der sich alles nur um ihn und Gudrun dreht, und alle anderen vernachlässigbare Fotzen oder Arschlöcher sind. Die Vermischung aus Realität und erfundenen Vorgängen kann ich mir ohne weiteres als die Wahrnehmung des (realen) Protagonisten vorstellen, der in seiner eigenen Welt halt ein Übermensch war, dem alle immer nur ans Zeug flicken wollten.
 
Auch wenn ein gutes Grundwissen über die Vorgänge der damaligen Zeit Voraussetzung ist, um dem Film überhaupt folgen zu können, so ist das Ganze auf jeden Fall ein interessantes Experiment, was wiederum zu den filmischen Grenzgängen der Handlungsjahre führt. Spannendes Kino also, auch ganz ohne große Stars und Eichinger-Flair.

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