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„Freundliche Leute...“

Basierend auf Akira Kurosawas japanischem „Yojimbo - Der Leibwächter“ verfasste der italienische Filmemacher Sergio Leone zusammen mit Duccio Tessari ein Drehbuch, um es 1964 selbst zu verfilmen. Zuvor hatte er als Regisseur lediglich bei einigen Produktionen an der Seite von Kollegen ausgeholfen, jedoch immerhin auch den Sandalenfilm „Der Koloss von Rhodos“ inszeniert. Die Low-Budget-Produktion „Für eine Handvoll Dollar“, die im mexikanischen Grenzgebiet zu den USA spielt, wurde in Spanien gedreht – und avancierte zum kommerziell einträglichen Startschuss eines neuen Genres: dem sich deutlich vom US-Western abgrenzenden Italo-Western. Zudem befeuerte er die Karrieren von Hauptdarsteller Clint Eastwood („Noch heute sollst du hängen“), Antagonisten-Mime Gian Maria Volonté („Vergewaltigt in Ketten“) und Filmkomponist Ennio Morricone, die damit erstmals größere internationale Aufmerksamkeit erlangten.

„'ne üble Gesellschaft – alles Schmuggler und Banditen!“

Ein namenloser, einsamer Fremder (Clint Eastwood) stattet dem Wüstenort San Miguel einen Besuch ab und begibt sich zwischen die Fronten zweier rivalisierender krimineller Clans: den US-amerikanischen Baxters, deren Oberhaupt (Wolfgang Lukschy, „Die toten Augen von London“) zugleich der amtierende Sheriff des Orts ist, und den mexikanischen Rojos um Anführer Ramón (Gian Maria Volonté). Die normale Bevölkerung lebt in Verunsicherung und Angst und schreitet auch dann nicht ein, wenn vor ihren Augen ein Vater mitsamt seines kleinen Jungen misshandelt werden. Wirt Silvanito (José Calvo, „Viridiana“) hat nur mahnende, desillusionierende Worte für den Fremdling übrig, doch dieser denkt gar nicht daran, schnell wieder das Weite zu suchen. Er heuert bei den Rojos an, um sich an denjenigen der Baxters zu rächen, die ihm direkt bei seiner Ankunft übel zugesetzt haben. Am nächsten Tag wird er Zeuge, wie die in Uniformen der US-Armee geschlüpften Rojos eine Postkutsche überfallen. Zahlreiche Tote auf Seiten der US- und mexikanischen Soldaten sind die Folge. Von nun an stellt sich der Fremde abwechselnd in den Dienst der Baxters und der Rojos, arbeitet jedoch stets auf eigene Rechnung – und spielt beide Clans nach und nach gegeneinander aus…

„Wenn man einen Mann umlegen will, dann muss man ihn mitten ins Herz treffen!“

Ein animierter Vorspann mit Schuss-Samples auf der Tonspur und natürlich Morricones kongenialer Titelmelodie stimmt auf einen Film ein, der wenig mit dem verklärenden, mitunter mit Rassismus gegen die indigenen nordamerikanischen Völker gespickten Bild des guten, alten Wilden Westens gemein hat, das so viele US-Western mit ihren heldenhaften Protagonisten transportiert hatten. Leone etablierte das Prinzip des von egoistischen Motiven geleiteten, meist wortkargen Antihelden, der sich einer unsolidarischen, vom Recht des stärkeren und der Gier nach schnellem Reichtum geprägten frühkapitalistischen Gesellschaft durchschlägt. Einher geht dieser Paradigmenwechsel mit einer neuen Bildsprache, die ein dreckiges, staubiges Ambiente ebenso betont wie sie die Mimik ihrer oft nicht weniger schmuddeligen Figuren durch distanzlose Nah- und Detailaufnahmen hervorhebt. Die Landschaftspanoramen in Supertotalen hielten jedoch erst mit Leones Fortsetzung „Für ein paar Dollar mehr“ Einzug ins Genresujet. 1964 musste Kameramann Massimo Dallamano noch mit einem recht übersichtlichen Filmset auskommen. Das gewählte Techniscope-Breitwandformat korreliert indes hervorragend mit Eastwoods zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen, insbesondere wenn man sich den Film im Heimkino auf kleinerem Bildschirm ansieht.

Eastwood existiert in seiner Rolle ebenso ausschließlich im Hier und Jetzt wie seine Gegner – man erfährt nur das Allernötigste über ihn, jedoch nicht, wer er wirklich ist, woher er kam und wohin er gehen wird. Eine Vorgeschichte zum Konflikt der Clans wird ebenso ausgespart, auch ihre Mitglieder bleiben auf ihre wichtigsten Eigenschaften beschränkt. Der Sarghersteller Piripero (Joseph Egger, „Mikosch im Geheimdienst“) wiederum ist ein westerntypisches Comic Relief, jedoch auch ein Unterstützer des namenlosen, von ihm „Joe“ getauften Antihelden, fast so etwas wie ein Freund. „Für ein Handvoll Dollar“ ist auf das Wesentliche reduziert, und als jenes wird hier der Mammon definiert. Abweichungen von dessen Fokussierung bringen sofort Probleme mit sich, dafür exemplarisch erscheint die selbstlose, emotional motivierte Befreiung Marisols (Marianne Koch, „Liebling, ich muß dich erschießen“) und ihres Kinds aus den Fängen der Rojos, woraufhin diese „Joe“ übel zurichten.

Ein Problem des Films ist es, dass beide Clans – im Prinzip erst einmal Alkohol- versus Waffenschmuggler – einander nie ebenbürtig wirken, die Rojos sind wesentlich größer, fieser, kaltblütiger. Sie sind gewissenlose Mörder, die eine ganze Armeeeinheit auslöschen. Weniger klare Kräfteverhältnisse hätten die Handlung sicherlich noch spannender gestaltet und für zusätzlichen dramaturgischen Kniff gesorgt. „Joe“ wiederum beweist sich als Revolverheld und Meisterschütze, der ohne diese Eigenschaften vollkommen aufgeschmissen wäre. Der große Showdown zwischen beiden Clans geht mit spektakulären Explosionen und Feuersbrünsten einher, was an religiös konnotierte Motive vom reinigenden oder Fegefeuer gemahnt. Anschließend greift „Joe“ wieder direkt ein und widmet sich den Übriggebliebenen, bevor ein klassisches finales Duell von einem bestimmten Gimmick eines der Kontrahenten mitentschieden wird.

„Für eine Handvoll Dollar“ ist noch Leones konventionellster Western, bedingt durch den Verzicht auf die epische Komponente, die seinen späteren Werken stets immanent war. Die wichtigsten Eckpunkte des neuen Subgenres schlug er jedoch bereits eindrucksvoll ins Fundament, angefangen beim grimmigen Nihilismus über die eingangs genannten visuellen Charakteristika und Morricones fantastische musikalische Untermalung bis hin zur reduzierten Mimik des schweigsamen Antihelden, die Eastwood ins Gesicht geschrieben scheint. Die Intelligenz der Figurenzeichnung, die psychologische Wechselwirkung zwischen den Charakteren aller Reduktion zum Trotz, wird hier indes noch nicht derart deutlich wie in späteren Filmen, ist aber bereits angelegt und Teil des Faszinosums. Zwei Filme später noch größere Bedeutung erlangen sollte die Szene, in der „Joe“ den Wirt vom Galgen schießt – Leones Meisterwerk „The Good, the Bad and the Ugly“ hat hier seinen Ursprung, weshalb „Für ein Handvoll Dollar“ auch als erster Beitrag zur losen „Dollar-Trilogie“ gilt.

Dieser ist ein ungeschliffener Rohdiamant, der etliche Landsleute Leones sowie natürlich den italienischen Filmmarkt derart inspirierte, dass sich der Italo-Western als eigenes Subgenre etablierte und zahlreiche Meisterwerke nicht nur Leones, sondern insbesondere auch seiner Namensvettern Sergio Corbucci und Sergio Sollima hervorbrachte und sogar eine Wechselwirkung mit dem US-Western erzielte, der wiederum unter Italo-Einfluss für einige Produktion den raueren Stil annahm. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass die Italiener ihr neues Genre durch ein Vielzahl ähnlich angelegter, qualitativ jedoch eher durchschnittlicher und inhaltlich uninspirierter, trittbrettfahrender Produktionen über kurz oder lang totritten. Nichtsdestotrotz macht es bis heute Spaß, auch in der zweiten Reihe des Italo-Westerns nach Gold zu schürfen – insbesondere, wenn man sich von Epik und Pathos der auf diesen Meilenstein gefolgten, nahezu perfekten Western Leones geradezu erschlagen fühlt. Die Bewertung mit 7 von 10 Galgenvögeln ist vor dem Hintergrund eben jener 8- bis 10-Punkte-Glanzleistungen Leones zu verstehen.

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