So tot wie die Bösewichte aus Sergio Leones Low- Budget- Western war auch der klassische US- Western, als mit "Fistful of Dollars" der Italo- Western in die Kinos einzog. Vorbei war die Zeit, in denen aufrechte Männer ihre Ansprüche von Recht und Moral mit dem Schießeisen durchsetzten. Die saubere Trennung von Gut und Böse, Gesetz und Verbrechen, war auch unter dem Eindruck der gesellschaftlichen Einflüsse immer unglaubwürdiger geworden und lockte kaum noch einen Zuschauer hinter dem Ofen hervor geschweige denn auf die Kinosessel. Mit dem Italo- Western begann die Demontage des sauberen Western, in dem der Gute stets artig vor der Dorfschullehrerin den Hut zog und die Bösen brav vom Pferd fielen ohne sich beim Sterben wehzutun.
Leone gab dem Westen ein neues Gesicht. Nicht Abenteuerlust oder Freiheitsliebe trieben die Desperados an, sondern schiere Gier und Gewinnsucht, gepaart mit Skrupellosigkeit und Machtstreben. Schauplatz des Geschehens ist das kleine Wüstennest San Miguel. Zwei verfeindete Räuberbanden haben sich in "Fistful of dollars" ihre eigene kleine Diktatur errichtet, in der sie schalten und walten wie es ihnen beliebt und die Dorfbewohner nach Herzenslust schikanieren. Im "Wilden Westen" herrscht bei Leone keine Gerechtigkeit mehr, sondern eine nach dem darwinistischen Prinzip funktionierende Ordnung, in der die Starken sich gegen die Schwachen durchsetzen- nicht mit moralischer Überlegenheit, sondern mit brutaler Gewalt. Der Stärkere hat Recht. Das gilt auch in dem kleinen Wüstenstädtchen, bis ein unbekannter Fremder auftaucht...
Mit Clint Eastwood betrat in "Fistful of Dollars" ein völlig neuer Typus des Westernhelden die Bühne: der Mann ohne Namen. Schweigsam, verschlagen, brutal, und mit dem Colt stets einen Hauch schneller als seine Widersacher. Eastwood tritt im staubigen Poncho in Erscheinung und kaut unablässig auf einem Zigarrenstummel, eine Hommage an Akira Kurosawas "Yojimbo", der der Handlung von "Fistful of dollars" zugrunde liegt. In der Rolle des undurchschauberen Fremden kam Eastwood zu Weltruhm und erlangte einen Mythos, den er mit späteren Filmen wie "High Plans Drifter" und "Pale Rider" beständig ausbaute.
Leone schuf mit Eastwoods Charakter einen Antihelden, der zur Demontage des moralisch integren Westerns passt wie die Faust aufs Auge. Im Gegensatz zu den Ikonen des US- Westerns wie Gary Cooper oder Randolph Scott treibt Eastwood nicht Gerechtigkeitssinn an, sondern schlichte Gewinnerzielungsabsicht. Der Fremde will seinen Schnitt machen. Er will an den Geschäften der Banden teilnehmen und lässt sich von beiden Seiten kaufen, um den Gewinn zu mehren. Mit Pokerface, zynischen Sprüchen und seiner Schießfertigkeit spielt er die beiden Clans gegeneinander aus. Zunächst läuft alles nach Plan, doch das Blatt wendet sich, als der Fremde sich für eine Mexikanerin erwärmt, deren Familie Bandenchef Ramon als Geisel genommen hat, um die Frau gefügig zu halten. Mit einem Trick kann er der Familie die Flucht ermöglichen, doch damit hat er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt, und sein Doppelspiel fliegt auf. Die Welt von Sergio Leone kennt eben kein Erbarmen. Nur der Gnadenlose triumphiert, menschliche Regungen werden bestraft. Übel zugerichtet kann der Fremde dennoch mit Hilfe des Totengräbers flüchten. Die folgende Schlussabrechnung ist eine Art 12 Uhr mittags im Planquadrat der absoluten Vernichtung. Am Ende liegen die Banditen im Staub, und während der Fremde mit prall gefüllten Taschen die Stadt verlässt misst der Totengräber schon mal seine Kunden aus..
Der knochenharte Realismus schlägt sich besonders in den Gewaltszenen von "Fistful of dollars" nieder. Szenen wie Eastwoods Misshandlung durch die Rocco- Banditen oder die minutenlange Tortur des Kneipenwirts gehen einem an die Nieren. Niemals zuvor wurde im Westernkino so gefoltert wie in "Fistful of dollars". Dennoch wird die Schwelle zur Menschenverachtung im Gegensatz zu unzähligen Folgefilmen des Genres nicht überschritten. Gerade diese drastischen Darstellungen verleihen dem Film seinen realistischen, außergewöhnlichen Anstrich. In den idealistischen Western gab es auch jede Menge Gewalt- nur wurde sie aufgrund der Ästhetik vom Zuschauer nicht als solche empfunden. Leone macht Gewalt nur spürbar und überlässt es letztendlich dem Zuschauer, ob dieser sich daran berauscht oder sie verabscheut.
"Fistful of dollars" bricht mit allen Konventionen des klassischen Western. Fingen Regisseure wie Ford und Co. vor allem die Weite der Prärie ein, füllt bei Leone oft nur ein einziges Augenpaar die Kinoleinwand aus. Die Filmmusik von Ennio Morricone sollte sich als wegweisend für zahllose Folgefilme des Italo- Western- Genres erweisen. Viel entscheidender für die Atmosphäre des Films ist aber die Stille. Oft ist nichts weiter zu hören als das Pfeifen des Windes, das Knarren morscher Dachbalken oder die Schritte der Desperados im Wüstensand.
Natürlich sieht man "Fistful of dollars" das niedrige Budget an. Bei den Schusswechseln sind keine Einschusslöcher zu entdecken, die Nachtszenen sind sehr leicht als "Day for Light"- Effekte auszumachen, und die Bevölkerung von San Miguel ist nur zweimal zu sehen. Dennoch ist und bleibt "Fistful of dollars" ein Film, den man gesehen haben sollte, auch 40 Jahre nach seiner Entstehung hat er nichts von seinem Charme eingebüßt und schlägt "For a few dollars more" und "The good, the bad and the ugly", mit denen Leone seine Dollar- Trilogie fortsetzte, immer noch um Längen. Und alle anderen Western sowieso.