Die unvollendete Kafka-Erzählung „Der Bau“ handelt von einer nicht näher benannten Kreatur, vermutlich einem Maulwurf, der in einem unentwegten Gedankenstrom über seine unterirdische Behausung sinniert; erst zufrieden, mit jeder Überlegung jedoch besorgter, bis hin zur verzweifelten Erkenntnis, dass der Zweck seiner Baut, die Sicherheit, nichts als eine Illusion bleiben muss.
Jochen Alexander Freydank ist nun der erste Filmemacher, der sich der Kurzgeschichte annimmt. Dass er die Kreatur im Höhlensystem gegen einen Familienvater tauscht, der sich durch den Kauf einer Wohnung am Ziel seines Strebens wähnt, mag gewagter scheinen als es ist; Kafka kehrt das Tier ohnehin deutlich als Metapher heraus, so dass die weitaus gewagtere Variante wohl jene gewesen wäre, beim Tier zu bleiben.
Davon abgesehen erfährt die Vorlage sogar ein hohes Maß an Treue, was bei einer Kafka-Verfilmung aufgrund der breiten Interpretierbarkeit der Stoffe nicht selbstverständlich ist. „Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen“, so beginnt das geschriebene Wort auf Papier, und das gesprochene im Film tut es ihm nach.
Für Hauptdarsteller Axel Prahl bedeutet dies, er muss Theaterarbeit leisten, meist auf sich allein gestellt, die Kamera als einziges Livepublikum. Vorwiegend treiben ihn innere Monologe an, die jedoch keine Hirngespinste bleiben, sondern stets ausformuliert werden. Folglich legt Prahl seine Figur als Besessenen an, der unentwegt mit sich selbst spricht, diese Gespräche sogar teilweise auf dem Camcorder festhält, wodurch Freydank der Materie eine moderne mediale Lesart abgewinnt. Auch der Einbezug einer Familie, die den Bau zunächst noch mit bewohnt, ist durchaus als geglückt zu bezeichnen, gehören die Szenen der Entfremdung doch zu den stärksten Momenten, insofern sie die Isolation des Mannes begreifbar machen.
Von vorgegaukeltem Glück hält der Regisseur wenig: Selbst die ersten Minuten, als die Welt noch in den Fugen zu sein scheint, wird man mit blassfahlen, oft unscharfen Bildern niedergeschlagen. Der Filmtitel ist bei seiner Einblendung in die brutalistische Architektur des zu beziehenden Hochhauses eingeschlagen, das wie ein hässlicher roter Legoklotz aus der Landschaft ragt – Denis Villeneuves Doppelgänger-Mysterythriller „Enemy“ teilt, wenn er nicht sogar ein direkter Einfluss war, starke Gemeinsamkeiten. An leblosen Panoramen aus schwebender Überstadt-Perspektive scheint die Kamera ebenso interessiert wie an der Klaustrophobie des Kammerspiels, tatsächlich spielt sie beide Einstellungen gerne gegeneinander aus.
Angesichts der präzisen, formellen Sprache allerdings, mit der Kafka Obskures zu weben verstand, zerdehnt Freydank den Weg ins Chaos zu sehr. Tapeten lösen sich, Lichter flackern, Obdachlose vermüllen den Hausflur, um der Flucht des Mannes in die Winkel seines Baus einen Grund zu geben. Freydank ist um Subtilität bemüht und möchte keine ruckartigen Veränderungen riskieren, doch seine Vorgehensweise ist dem Zuschauer nur allzu schnell klar, was die Symbole der sich verformenden Welt innerhalb und außerhalb des Baus zu durchschaubar macht. Die Ereignisse fordern bald nicht mehr, im Mittelteil kehrt sich die intendierte Wirkung ins Gegenteil um und verursacht Ungeduld. Fast zwei Stunden sind zu viel, um einer 25-Seiten-Geschichte beizukommen; Freydank ist so zur Konstruktion einer Unmenge von Details gezwungen, die nicht immer glücken können.
Wo er allerdings zwingend liefern muss, da liefert er wieder, im Ausgang nämlich, den er eigenständig zu interpretieren hatte und einigermaßen ansprechend löst. Bleibt noch festzustellen, dass dies nicht die letzte Verfilmung von „Der Bau“ gewesen sein muss. Diese Erste ist zweifellos keine ultimative, gleichwohl von Ambitionen und interessanten Ansätzen durchzogen.
(5.5/10)