INTERSTELLAR - Christopher Nolans 2001?
Die Menschheit samt Wissenschaft hat ihren Blick von den Sternen abgewendet und sich dringenderen, irdischen Problemen, wie Ernteausfällen durch Mehltau und daraus resultierenden Hungersnöten, zugewandt. So scheint es zumindest bis Ex-NASA-Pilot und mittlerweile Farmer Cooper (Matthew McConaughey) eine Gravitationsstörung im Kinderzimmer seiner Tochter entdeckt. Diese liefert ihm die Koordinaten zu einer versteckten Forschungsbasis gleich bei ihm ums Eck in der Wüste. Dort wird fieberhaft an einem geheimen Regierungsprojekt gearbeitet, welches die Umsiedlung der Menschheit auf einen bewohnbaren Planeten vorsieht. Da diese zweite Erde aber noch nicht entdeckt ist, kommt Shuttle-Pilot Cooper gerade richtig. Der emsige Mathematikfarmer steigt in das Projekt ein und begibt sich auf eine ungewisse Expedition, welche die Crew durch ein Wurmloch in eine fremde Galaxie führt…
"We Used to Look Up at the Sky and Wonder at Our Place in the Stars. Now We Just Look Down and Worry About Our Place in the Dirt."
Dass Christopher Nolan im Grunde gar keine wirklich schlechten Filme machen kann (*räusper* bis auf die BATMAN-Trilogie), ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Mit INTERSTELLAR liefert der Brite ein fulminantes, bildgewandtes Science-Fiction-Epos ab, das Erinnerungen an Kubricks 2001 weckt. Geboten werden phantastische, sphärische Weltraumaufnahmen von Wurmlöchern, Saturnringen, Sternennebeln und unendlichen Weiten. Noch intergalaktischer fallen die Kulissen der besuchten Planeten aus, z.B. ein Eisplanet und ein Wasserplanet mit gigantischen, Hochhaus hohen Riesentsunamis. Wie nicht anders zu erwarten, ist der Streifen optisch eine Wucht und absoluter State-of-Art. Vergleiche zu Galaxien aus Filmen wie SOLARIS, GRAVITY, 5TH ELEMENT oder STARGATE kommen einem in den Sinn. Ferner stellt Mastermind Nolan, ähnlich wie in INCEPTION, seine Vorliebe für das Aufheben der Naturgesetze unter Beweis, sodass oben und unten ebenso ihre Bedeutung verlieren wie das Wann und Wo. Hier greifen die Vergleiche zu Kubrick dann auch wieder. Ohne viel spoilern zu wollen, gelangt Astronaut Cooper gegen Ende, während er durch das Wurmloch schlüpft, an einen Ort, in dem die Dimensionen Raum und Zeit keine Wirkung haben. Dabei schwebt er durch eine Art Schacht voller unter Lichter und Lamellen, hinter denen sich Szenen seines Lebens verbergen, und landet dabei – ACHTUNG: HARDCORE SPOILER! – (warum auch immer???) im Kinderzimmer seiner Tochter, wo er hinter dem Bücherregal Poltergeist spielt. SPOILER ENDE. Das macht natürlich herzlich wenig Sinn, passt aber zum vor Kitsch und Knutsch überschäumenden Showdown. Gibt es etwas, das man dem Film ankreiden muss, dann ist es gewiss dieses expandierende Universum an Pathos und Schnulzigkeit, transportiert mittels einer heulerischen, problembehafteten Vater-Tochter-Beziehung. Um mich herum im Kino wurde tatsächlich lauthals geschluchzt. Ich war dagegen eher mit Augenrollen und belustigtem Kopfschütteln beschäftigt, aber ich hab wahrscheinlich einfach kein Herz.
Mal im Klartext: INTERSTELLAR hat seine bahnbrechend gigantische Seite - die Optik. Er hat seine fragwürdige bzw. allerlei Fragen aufwerfende und mächtig Platz zum Interpretieren einräumende Seite - das ist die Story. Cooper schickt vom Weltall aus Botschaften durch Raum und Zeit, die als Morsezeichen auf dem Sekundenzeiger einer Armbanduhr in der anfänglichen Gegenwart erscheinen. Ob das nun Sinn oder Unsinn ist, braucht man eigentlich nicht diskutieren, da es ja eindeutig anhand der Gravitationsanomalien zu belegen ist. Oder doch anhand der Singularität? Dann hat INTERSTELLAR noch seine beschissene, bis an die Kotzgrenze nervende Seite und das ist dieser ganze schleimige, vor Schwülstigkeit und Glimmer nur so triefende Hollywood-Pathos. Es ist Nolans kitschigster Film - mit Abstand! Mal wieder ist es die Liebe, die als Weltformel und Überbrückungskabel zwischen den Galaxien herhalten muss. Wäääh! So viel Schmalz auf einmal! Da wünscht man sich buchstäblich ne Scheibe Brot, um die Schlonze herunter zu bekommen. Was diese Scheibe Brot ist, muss tatsächlich jeder selbst entscheiden. Für meinen Teil reißen Story und FX genügend raus, um nicht am Schmalz zu ersticken. Ich könnte es aber verstehen, wenn dem einen oder anderen der Film zu arg auf die Tränendrüse drückt.
Ansonsten: Matthew McConaughey ist nicht mehr ganz so klapperdürr wie in DALLAS BUYERS CLUB oder TRUE DETECTIVE. Anne Hathaway wirkt in der Rolle der smarten Astronautin nicht 100% stimmig. Da war die Bullock in GRAVITY besser. Und Matt Damon als führender, selbstgerechter Wissenschaftler - ACHTUNG: SPOILER! - stirbt so wie es sich bestimmt viele schon lange gewünscht haben und zwar im Vakuum des Weltraums. SPOILER ENDE. Roboter "Tars" ist ein wandelndes Riesen-Kitkat mit Sarkasmus-Barometern und erinnert an eine Miniaturversion des Monolith aus 2001. Wir lernen von INTERSTELLAR: 1.) Ein Schwarzes Loch ist eigentlich eine Kugel, 2.) Singularität ist der Zustand des Universums beim Urknall, und 3.) "All You Need is Love, Love, Love is All You Need!"
"Und ich düse , düse, düse, düse im Sauseschritt
und bring die Liebe mit
von meinem Himmelsritt..."
Vom Aufbruch der Menschheit zu den Sternen und der Rückbesinnung auf die wahre Liebe. "Nolans 2001" ist es nicht geworden. Dafür fehlt der künstlerische Aspekt und ist der pathetische zu sehr ausgeprägt. Sehenswert ist INTERSTELLAR aber auf alle Fälle und er regt auch nachhaltig zum Grübeln an. Wer mit der Omega-Portion Hollywood-Kitsch umgehen kann, wird seine helle Freude haben. Allen anderen rate ich, wie gesagt, eine dicke Scheibe Brot, welches in flüssiger Form eingenommen vielleicht am besten wirkt.
"...Denn die Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, die macht viel Spaß,
viel mehr Spaß
als irgendwas."
Fazit:
Intergalaktisch kitschig! Trotzdem sehr sehenswert.