Spanien in den 1950er Jahren. Die unter Agoraphobie leidende Schneiderin Montse lebt mit ihrer jüngeren Schwester, die nur „die Kleine“ genannt wird, völlig zurückgezogen in einer stattlichen Altbauwohnung und damit in ihrer eigenen Welt voller Religiosität, die durch eine unglückliche(?) Kindheit geprägt ist. Und weil Montse wegen ihrer Erkrankung nicht vor die Wohnungstür tritt, ist Schwesterchen das einzige Bindeglied zur wirklichen Welt. Am 18. Geburtstag der „Kleinen“ wird Montse gewahr, dass ihre Schwester wohl bald Verehrer haben und die Heimstatt verlassen wird. Da kommt es Montse gerade recht, dass ihr Nachbar Carlos vor ihrer Tür mit gebrochenem Bein zusammenbricht, sie den jungen Mann in ihre Wohnung schleppt und quasi entführungsgleich „gesundpflegen“ will. Eine Katastrophe bahnt sich an…
Wow, was für ein Psycho- bzw. Horrorthriller. Auch wenn sich oben stehender Kurzinhalt nicht wirklich spektakulär anhört (mehr sollte wegen Spoilergefahr nicht verraten werden!), so entpuppt sich doch der anfangs als zartes, leicht schräges, „Misery“-ähnliches Ménage-à-trois-Kammerspiel geglaubte „Shrew’s Nest“ als ein sehr, sehr zünftiger Genrevertreter, der nicht nur einige inhaltliche Wendungen parat hält sondern im Schlussdrittel sogar mit bluttriefender Direktheit überrascht, ohne dabei in spekulative Splatter-Gefilde abzudriften. Das spanische Genrekino kann also stolz auf einen weiteren Höhepunkt des Schaffens blicken, der nach den Worten von Guillermo del Torro wieder viel Raum für den ganz privaten Exorzismus bietet (*, siehe unten). Ganz getreu den eher dem Gothic-Horror zuzuordnenden Geisterfilmen à la „Das Waisenhaus“ oder „Julia’s Eyes“ ist auch der unter der Produzenten-Ägide von Alex de la Iglesia und Franck „Inside“ Ribière entstandene „Shrew’s Nest“ trotz limitierter Schauplätze eine „bildgewaltige“, weil sorgsam in fahlen Farben abfotografierte Psychoanalyse geworden, die nicht nur vom Stoff her morbide und klaustrophobisch wirkt sondern auch den passenden Look dazu liefert. Getragen von ganz herausragenden schauspielerischen Leistungen entwickeln die Regisseure Juanfer Andrés und Esteban Roel daraus ein erzählerisches, Hitchcocks „Psycho“ nicht unähnliches Mikrokosmos-Gesamtkunstwerk, das noch viele Jahre als Messlatte für ein Subgenre dienen dürfte, welches immer noch am Besten dazu geeignet ist, uns einen Spiegel vorzuhalten und messerscharf Befindlichkeiten und den einen oder anderen Wahnsinn zu sezieren. Dass neben all den Schrecken, den „Shrew’s Nest“ gekonnt ausbreitet, auch eine zutiefst menschliche Tragödie hinter dem Ganzen steckt, braucht dabei wohl nicht extra betont zu werden. Kurzum: filmisch wie inhaltlich ein Meisterwerk. Bildformat: 2,35:1. Mit Macarena Gómez, Nadia de Santiago, Hugo Silva, Luis Tosar u. a.
(*) Folgendes, besser-kann-man-das-spanische-Horrorkino-nicht-beschreiben-Zitat stammt von Patrick Wellinski (kino-zeit.de): „Laut Guillermo del Torro (selbst Mexikaner) sind die Spanier dazu verdammt, Filme wie Shrew's Nest zu machen, weil die unheilige Mischung aus Franco-Faschismus, der Inquisitionsgeschichte der katholischen Kirche und der gotischen Horrorliteratur (die hier so populär war wie sonst nirgendwo in Europa) einen Regisseur geradezu zwingen, die Verfehlungen der spanischen Geschichte im Genrekino auf- und abzuarbeiten. Fast jeder Film wird so zu einer Art Exorzismus, nach welchem es sich zumindest ein bisschen besser atmen lässt.“
© Selbstverlag Frank Trebbin