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Zwischen den großen Blockbustern, in denen Chris Evans Superhelden und andere Actionheroen verkörpert, versucht sich der Schauspieler auch immer wieder an kleineren Projekten im Independentbereich, so etwa auch bei seinem Regiedebüt „Before We Go“, an dem auch Mark Kassen als Schauspieler und Produzent mitwirkte, nachdem Evans in dessen Regiearbeit „Puncture“ die Hauptrolle übernommen hatte.
Es beginnt mit einem Zufallstreffen: Musiker Nick (Chris Evans) spielt seine Trompete in seinem New Yorker Bahnhof, als Kunsthändlerin Brooke (Alice Eve) an ihm vorbeirauscht, ihr Handy verliert und von ihm zurückbekommt. Danach gibt das gute Teil allerdings seinen Geist auf und Brooke verpasst zu allem Überfluss noch den letzten Zug nach Hause, nachdem man ihr zuvor die Handtasche gestohlen hat. So bietet Nick ritterlich seine Hilfe an, obwohl auch er kaum Knete dabei hat.
Gemeinsam suchen sie erst nach der Tasche, doch nachdem dies misslingt, schlagen sie sich gemeinsam durch die Nacht. Brooke muss nämlich unbedingt zeitig heimkehren, während Nick auf einen Termin zum Vorspielen am nächsten Tag wartet und für die Nacht noch zu einer Party eingeladen ist, um deren Besuch er sich allerdings zu drücken scheint…

Der Titel „Before We Go“ mag sich eventuell an Richard Linklaters „Before…“-Filmen orientieren, die auch mit der Zufallsbekanntschaft zweier Menschen unterschiedlichen Geschlechts begannen. Was man dem Drehbuch, an dem die „Playing It Cool“-Autoren Chris Shafer and Paul Vicknair sowie Jen Smolka und der altgediente Ronald Bass („Rain Man“, „Gardens of Stone“) schrieben, anrechnen kann, ist der Verzicht auf RomCom-Konventionen. Hier treffen sich nicht zwei perfekte Partner und kommen zusammen, sondern bei der gemeinsamen Odyssee der verheirateten Brooke und des ungebundenen Nick stellt sich die Frage, ob sich überhaupt etwas zwischen den Leads entwickeln wird, wenn ja was und ob dies überhaupt Bestand haben kann.
Evans‘ Inszenierung geht dabei betont nah an die Figuren heran und arbeitet dementsprechend viel mit der Handkamera, um eine möglichst authentische Atmosphäre des Dabeiseins zu kreieren. So ist „Before We Go“ auch dann am stärksten, wenn er nachvollziehbare, lebensnahe Momente bietet – etwa dann, wenn Nick sich tatsächlich zu der Feier bewegt, man die Gründe für sein Sträuben erfahren hat und er sich dort einer Situation stellen muss, die er fürchtet. Tatsächlich sind es meist die Momente und Handlungsfäden um Nick, welches dieses Gefühl von Authentizität schaffen. Auch der Humor, den der gewitzte Musiker und eigentlich der gesamte Film vertreten, ist vor allem ein paar gewitzten, aber nie überlebensgroßen Sprüchen zu sehen, in kleinen Dreistigkeiten, die man den Figuren auch zutraut. Hier gibt es keinen Slapstick, keine artifiziellen Wortgefechte, sondern „Before We Go“ schreibt sich den Realismus auf die Fahnen.

Leider stehen die Handlungsstränge um Brooke diesem Vorhaben diametral entgegengesetzt entgegen: Die Gründe für ihre persönliche Krise und den Wunsch unbedingt noch in den nächsten Stunden heimzukehren sind reichlich konstruiert, so wie auch die zahlreichen Missgeschicke, die diesen Plan torpedieren. Oft hat man das Gefühl, als würde das Drehbuch all das nur passieren zu lassen und die Handlung am Laufen zu halten, anstatt dass diese sich organisch entwickeln würde. Und je mehr man die Drehbuchseiten rascheln hört, umso weniger überzeugend wirkt „Before We Go“ dann leider auch.
Dabei kann der Film auf zwei motivierte Hauptdarsteller bauen. Chris Evans inszeniert sich selbst als nachdenklichen, einfühlsamen netten Kerl von nebenan, was gut zu dem Rollenimage passt, dass er gern vertritt, Ausnahmen wie den drogensüchtigen Anwalt aus „Puncture“ mal ausgenommen. Alice Eve ergänzt ihn gut als Karrierefrau in der schwersten Nacht ihres Lebens und die beiden haben zudem eine Chemie, die den Film trotz seiner Drehbuchschwächen zu tragen weiß. Der Rest der Darsteller bekommt wenig Raum zum Glänzen; am ehesten kann noch Mark Kassen als betrunkener Kumpel Nicks punkten. Eine Minirolle hat Chris Evans‘ jüngerer Bruder Scott als Concierge.

Mit seinen zwei harmonierenden Stars, einer Geschichte, die nicht nur auf gängige Klischees setzt, und sehr authentisch wirkenden Momenten beschreibt „Before We Go“ (zumindest phasenweise) eine Nacht, wie sie unter Umständen stattfinden könnte. Doch leider scheinen die Autoren ihrer eigenen Geschichte nicht zu vertrauen und setzen teilweise auf sehr forcierte Drehbuchvolten. Ein netter Independentfilm mit dem Herz am rechten Fleck, aber auch keine Großtat.

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