Hätte ich mir vor 20 Jahren träumen lassen, daß ich Filme wie "Deranged" mal in der unrated-Version, in Deutschland allerdings ab 16 freigegeben, im Kaufhof um 13 Euro erwerben würde können - und das nicht etwa deswegen, weil es damals diese Währung und auch das Medium DVD noch nicht gab? Nie!
Umso erfreulicher, um nicht zu sagen: erschütternder ist also dieser Fund, herausgebracht von der blutjungen Kölner Firma Legend Films International. Hier wird für so einiges entschädigt, was die Großen oft an Lieblosigkeit auf den Markt werfen: die Amaray-Case DVD kommt in einem sehr hübschen Pappschuber, hat drinnen noch ein anderes Cover, das ihr das Aussehen eines Holzkistchens gibt, ähnlich wohl denen, worin "Eddie" Gein gewisse Körperteile von Frauen aufbewahrte, und zum Darüberstreuen noch ein extensives Booklet mit sehr interessanten Infos zu Fall und Film. Bedenkt man dann noch den sehr gemäßigten Preis, muß selbst ich mal über meinen Schatten springen und ein bißchen Gratiswerbung erlauben.
Doch das hier ist eine Filmkritik und neben den sehr guten anamorphen Mastering wird dem Zuschauer eine der vielen schon fast vergessenen 70er Perlen präsentiert, die ihren Ruf in Spezialistenkreisen eher der 80er Videowelle verdankt als einem expansiven Kino-Verleih, obwohl "Deranged" seinen thematischen Geschwistern "Psycho" und "The Texas Chain Saw Massacre" nur wenig nachsteht.
Mit letzterem teilt er nicht nur das Produktionsjahr 1974, sondern auch witzigerweise einige Szenenähnlichkeiten wie eine (hier nur kurze) Verfolgungsjagd durch den Wald und einige sehr bizarre Sequenzen mit Knochen, Haut- und Körperteilen. Während Robert Bloch und Alfred Hitchcock in "Psycho" hauptsächlich die destruktive Mutterbeziehung des Edward Gein in der Vordergrund stellten und Tobe Hooper mit Kim Henkel in "Texas Chainsaw Massacre" die Nekrophilie und den vermuteten Kannibalismus zu einem der nach wie vor verstörendsten Filme machten, so beinhaltet "Deranged" Aspekte von beiden Filmen, während er bis zu Chuck Parellos "Ed Gein" als der den Tatsachen des echten Falles verpflichtetste Film galt. Natürlich stimmt das nur bedingt, denn die Produzenten (ein ganzer Haufen Leute) änderten einige substantielle Fakten, um dem Geschmack des vermuteten Durchschnittskinogehers (ja, damals war das die Hauptverschleißstelle für Filme) näher zu kommen. Also gibt es junge und hübsche Mädchen, die von Ezra Cobb verwurstet werden und keine gestandenen, mittelalterlichen Midwestlerinnen und viele der häßlichen sexuellen Konnotationen des Falls wurden natürlich auch ausgelassen, dennoch aber bleibt eine äußerst bizarre und ungute Atmosphäre übrig, die den wirklichen Begebenheiten wohl mehr Rechnung trägt, als alle anderen Filme, die sich auf sie, in welcher Weise immer, berufen.
Roberts Blossom (manche Eltern sollten für Namensgebung gerichtlich belangt werden!), der die Hauptrolle spielte und Gerüchten zufolge mit dem Film nicht mehr assoziiert sein will, auch wenn er weder jung war, noch Geld brauchte (das hat er nämlich bei dieser Produktion sicher nur von weitem gesehen), liefert eine beachtliche Performance ab. Er sieht Ed Gein nicht nur verstörend ähnlich, er schafft es auch, dessen seltsam abwesenden Blick und seinen undurchschaubaren Humor rüberzubringen. Umso erschreckender wirken dann auch die gewalttätigen Ausfälle, so zum Beispiel beim Mord an der Kellnerin Mary Hogan, die im Film doch einige Jährchen jünger ist als die echte, denn zwischendrin denkt man nur, einen skurrilen Sonderling vor sich zu haben, der eigentlich keiner Fliege was zuleide tun kann. Was vermutlich sogar stimmt, denn Frauen sind ja keine Fliegen.
Ezra Cobb pflegt also seine Mutter bis zu ihrem Tod, der für ihn eine Welt zusammenbrechen läßt - seine einzige. Also gräbt er sie wieder aus, um sie an ihrem Platz in dem schreinähnlich in Stand gehaltenen Zimmer ihrer letzten Stunden zu verbringen. Hier ist auch schon die deutlichste Abweichung vom Fall und eine Übernahme aus "Psycho", denn soviele Frauen Eddie auch aus ihrem letzten Schlummer gerissen hat, seine eigene Mutter war nicht dabei. Da hatte er vermutlich zuviel Respekt, was sich auch darin äußert, daß er in seinem nach einiger Zeit völlig verwahrlostem Haus das Zimmer seiner Mutter auf Hilton-Niveau hielt. Eszras weiteres Leben ist ziellos, er wohnt weiterhin in seinem Haus, hängt morbiden Gedanken nach, ließt Bücher über Geschlechtsumwandlungen und billige Groschenhefte mit entsprechendem Inhalt und betätigt sich als guter Nachbar, der immer zur Stelle ist, wenn Not am Mann. Doch er findet keinen rechten Anschluß, zu verschroben ist er und seine wenigen skurrilen Kontakte zu Frauen enden meistens....taxidermisch! Wobei er nicht der typische sadistische Serienkiller ist, seine Opfer lustvoll jagt, er lockt sie vielmehr mit List und Tücke in sein Netz, wobei ihm seine linkische und "unmännliche" Art zu Hilfe kommt, denn lebenserfahrene Frauen wie eben Hogan steigen natürlich nicht zu einem Mann ins Auto, lassen sich zu dessen abgelegenen Haus fahren, nur um Hilfe für ihren eigenen liegengebliebenen Wagen zu bekommen (wobei dieser auch nicht durch Zufall havarierte).
Jetzt ist "Deranged" sicher kein filmhistorischer Meilenstein wie seine Vettern, dazu ist die Inszenierung generell zu bieder, aber kaum ein Film verdient den oft mißbrauchten Titel "Kult-Klassiker" so wie dieses Werk. Nicht zuletzt auch wegen der Effekte von Tom Savini, der zwar damals noch im Übungsstadium war, dessen innovativer Erfindungsreichtum aber schon einige berückende Szenen ermöglichte. So zum Beispiel die "Kopf"-Szenen in der Ezra Cobb mit Hilfe eine Textbuches das Haupt seiner Mutter präpariert (und die die Freigabe im den USA zunichte machte) oder die Versammlung seines Harems am Abendbrottisch. Auf der deutschen DVD kommentiert Savini einige Super8 Filme von den Dreharbeiten in seiner launigen Art und es gibt zwei Features mit dem Produzenten Tom Karr, der zwar nicht unbedingt zum Anchorman taugt (er spricht ein bißchen so wie ich bei meinem ersten Grundschulreferat vor versammelter Klasse), aber einige interessante Hintergründe beleuchtet, die den Film sogar noch interessanter machen (was bekanntlich nicht die Regel ist).
Eine rundum gelungene Sache und jede/r, der/die für morbide Kriminalfälle, Horror-Obskuritäten aus den 70ern und generell weird filmmaking etwas übrig hat, kann hier eine lohnenswerte Sammlungserweiterung betreiben. Ich meinerseits habe mein Auge schon auf das Legend-Logo getrimmt, denn die Leute haben Geschmack, auch im Kinoverleih, der gerade Larry Clarks großartigen "Ken Park" im Rennen hat. Ein Lichtblick in der nebligen Landschaft des Filmschaffens.