Angenommen, man wollte bis zur totalen Sonnenfinsternis vom Londoner Zentrum aus die Welt zerstören und hätte dafür nur wenige Stunden Zeit - wie sollte man so eine Sache als Einzelperson am besten anpacken, um erfolgreich zu sein?
Tatsächlich ist das Vorhaben freilich vollkommen unmöglich - so sagt es wenigstens der gesunde Menschenverstand - und wenn sich ein Film eine solche Prämisse auf die Fahne schreibt, ist man schnell dazu verführt, von Trash zu reden. Doch die Logik einmal ausgeblendet, mutet auf einmal nur noch die mit Galgenhumor transportierte beißende Ironie trashig an. Nun regiert der Wahnsinn. Die Handlung an sich verwandelt sich vom Zweck ins Mittel. Der neue, eigentliche Zweck von “Die neun Leben des Tomas Katz” dreht sich darum, die cineastische Dynamik in den Mittelpunkt zu setzen, vermittelt eben durch die Handlung. Wie bei Michael Haneke wird die Diachronie der Filmrealität ausgehebelt: Fast Motion, Slow Motion, Rücklauftaste und sogar Sprung in der Schüssel. Und auf einmal ist es verflucht einfach, die Welt zu zerstören. Man muss es sich einfach nur wünschen. Ist ja alles nur ein Film. Der Chroma Key ist der Schlüssel zur Negation von Materie, Schallwellen und Licht.
Und nun sprießen die Assoziationen. Als Tomas Katz (bewusst profillos spielend im Stil eines Chamäleons: Thomas Fisher) mit den Füßen voraus der Kanalisation entsteigt, um die Welt ins Chaos zu stürzen, entwickelt sich der Plot perlenkettenartig, da der mysteriöse Mann, halb zum Geiste entmaterialisiert, Rollenwechsel vornimmt. Wie aus “Dämon” oder “Pentagramm” bekannt, schlüpft er von einer Person in die nächste, bewegt sich so fort und lässt schließlich leere Hülsen zurück, die in der sozialen Rolle des vorherigen Menschen gefangen sind und verwirrt über die Restbestände ihrer alten Mentalität grübeln. Selbstverständlich führt den kundigen Zuschauer diese Art des körperlichen Missbrauchs sogleich zu David Lynch, der auch nicht viel von der These hält, dass Körper und Geist eine Einheit sind - welchen Platz hätte dann schließlich noch die Transformation in unserer Welt der Fiktion?
Während Tomas Katz also munter die Körper wechselt, wird eine Salve von stilistischen Genrefragmenten abgeschossen. Im rekordverdächtigen Schnelldurchlauf fliegen wir in Windeseile durch die Filmgeschichte. Stummfilm, Hollywood-Kino der 40er Jahre, Kriegssatire der 60er im Stil von “Dr. Seltsam” und letztendlich gar Independent-Kunstfilm der Postmoderne, womit zum Teil sogar das reflektiert wird, was Ben Hopkins’ Arbeit selbst ist. Die formelle Gestaltung alleine ist bereits Hinweis darauf, dass die nackten Filmmechanismen für Hopkins bedeutend interessanter sind als die Geschichte vom biblischen Armageddon, die in der Schlusspointe unübersehbare Parallelen zum weißen Raum aus “Matrix” hat. Dieses Ziel macht diesen Film zum Bruder im Geiste mit “Singapore Sling”, der seine Dynamik auf ähnliche Weise durch das Zusammenspiel unvereinbarer Genres zu generieren verstand.
Auf Dauer wird die Handlung in ihrer von Level zu Level aufsteigenden Stringenz leider trotz der kurzen Laufzeit etwas eintönig. Schon nach rund 40 Minuten macht sich streckenweise Redundanz breit. Die surrealistische Komponente droht hier und da einzubrechen. Doch kurz vor der Schwelle zur Langeweile reißt eine unsichtbare Kraft wieder alles zurück ins Aufmerksamkeitszentrum. Vielleicht ist es das elegante Spiel mit Sprachbausteinen; die Dialoge wirken nicht bemüht schräg, sondern durchdacht, und es sind nicht nur die absurden Inhalte, sondern auch die Art und Weise, mit der sie vorgetragen werden. So wie die flache, ausatmende, langgezogene Stimme der U-Bahn-Ansagerin und das darauffolgende Raubtiergebrüll, das aus dem schwarzen U-Bahn-Tunnel ertönt. Und vor allem der britische Humor kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden; er packt den intellektuellen Experimentalismus am Kragen, zieht ihn aus dem Elfenbeinturm heraus und wirft ihn auf die Straße des gemeinen Pöbels. Das ist nun Darren Aronofskys “Pi”, aber am Boden festgeklebt, Höhenflüge vereitelt.
Trotz aller erfolgreicher Bemühungen, hin und wieder kommt dann für ganz kleine Augenblicke doch noch die prätentiöse Filmstudentenattitüde, wenn Hopkins kurz mal vergisst, die eigene Arbeit ironisch zu brechen. Aber das sind nur Ausnahmen in einem weitgehend gelungenen surrealen Experimentalfilm, der sich auf raffinierte Weise per Augenzwinkern von der Abgehobenheit reinwäscht, die man ihm unter normalen Umständen vorgeworfen hätte. Aber “Die neun Leben des Tomas Katz” ist ja schließlich nur British Comedy.
7.5/10