Review

Heiterkeit und Bestürzung, Menschen und Bestien, Opfer und Täter, Schöpfer und Geschöpf(t)e

Es gibt in Literatur und Film Werke, in denen das Bedrückende und das Absurde auf höchst sonderbare Weise miteinander verquickt sind, sodass Bestürzung und Heiterkeit seltsam zusammenfallen. Wenn man am Ende von "Starship Troopers" (1997) Mitleid mit dem geängstigten, schließlich gepeinigten Brain Bug hat, kommt man kaum umhin, ein schiefes Lächeln angesichts dieser Konstellation aus fühlenden Rieseninsekten mit Bewusstsein und Karikatur-Faschisten an den Tag zu legen. Etwas mehr Zeit für solch einen Moment nahm sich Jean Ray in seiner makaberen Erzählung "Irish Whisky" (1925): Darin wird der unsympathische Gilchrist gegen Ende zerschmettert und zerknetet, um schließlich in eine Spinne mit menschlichem Bewusstsein verwandelt das restliche Dasein zu verbringen, derweil ihr der Ich-Erzähler nicht bloß zeigt, wie er das dem Geschöpf einst so wichtige Geld verbrennt, sondern ihm auch die Nahrung qualvoll rationiert und in größeren Abständen Beinamputationen ankündigt und auch durchführt; das Spinnentier lässt angesichts solcher Misshandlungen sogar eine kleine Träne im Augenwinkel erkennen. Ein perverses sadistisches Schauspiel geht hier eine Verbindung mit einer realitätsfernen Monstrosität ein, die eher lächerlich, wie ein schlechter Scherz wirkt. Nicht in eine Spinne verwandelt, sondern mit einer Fliege verschmolzen findet sich dagegen der Forscher in George Langelaans "The Fly" (1957) wieder: Als es kein Zurück mehr in seine menschliche Gestalt gibt, zerquetscht er sich selbst den Fliegenkopf auf seinem Menschenkörper in einer Metallpresse; ein Freund wird trotz seiner Übelkeit auch noch den großen Fliegenbein-Arm zerquetschen lassen. In Kurt Neumanns Verfilmung "The Fly" (1958) kommt die Melange aus Absurdität und Beklemmung gut zum Tragen, wenn Vincent Price, der sich beim Dreh das Lachen kaum verkneifen konnte, Zeuge wird, wie eine winzige Fliege mit menschlichem Kopf in einem Spinnenetz panisch ihrem grausigen Tod entgegensieht. In "The Fly" (1986) hat David Cronenberg es geschafft, den Blick vor allem auf das Beklemmende der Handlung zu lenken, in der die Verwandlung Jeff Goldblums in eine monströse Fliege sinnbildlich für den Verfallsprozess des Altern einsteht; das Absurde wird hier weitgehend überspielt. Im Sequel "The Fly II" (1989) gibt es dagegen wieder eine Szene, in der das Absurde recht deutlich bleibt: da ist es das geliebte Haustier, das nach einem Experiment in einen blutigen Klumpen verwandelt wurde; als sein liebendes Herrchen die gequälte Kreatur findet, guckt sie mit einem traurigen Hundeblick zu ihm hoch, der an die Nieren gehen kann, obgleich die Szene mehr als nur eine Spur absurder Komik in sich birgt. Noch monströser verwandelt wird der Erzähler in "I Have No Mouth, and I Must Scream" (1967), der von einem Supercomputer in eine Art Blob transformiert wurde; als solcher durchlebt er die Peinigungen der künstlichen Intelligenz: ohne Mund, unfähig zu schreien.
Nahezu all diese Beispiele handeln von Verwandlungen (meist menschlicher) Körper in andere Körper oder formlose Massen, die jede Glaubwürdigkeit vermissen lassen, derweil die Geschichten mitleiderregende Schicksale ersinnen. (Nur in "Starship Troopers" gibt es keine Verwandlung; dort ist es indes ein wenige Zeit vorher eingeführtes gallertartiges Rieseninsekt, das einem in seiner Angst und in seinem Schmerz näher steht als die menschlichen Faschisten, die angesichts ihrer Beute triumphieren.) Man findet diese Beispiele in Filmen, die in erster Linie Komödien sind – etwa beim Opfer der Organtransplantationen bei lebendigem Leib in Monty Pythons "Meaning of Life" (1983) –, und in Filmen, die vor allem auf Horror und Splatter abzielen – etwa beim Opfer des Horrorclowns in "Terrifier 2" (2022), das weitgehend zerfleischt doch noch lebt und die hereinkommende Mutter ebenso mitleiderregend anschaut wie der gequälte Hund sein Herrchen in "The Fly II".

Kevin Smith' "Tusk" steht also in einer langen Tradition, die wahrlich nicht erst mit "The Human Centipede (First Sequence)" (2009) beginnt; man könnte diese Tradition weit zurückverfolgen, mindestens bis hin zu Vorstufen wie dem Marquis de Sade, bei dem Sexualität und Grausamkeit monströse Formen annehmen, oder gar bis zu den monströsen Körpern in François Rabelais' Zyklus um Gargantua und Pantagruel (1532-1564).
Es gibt aber eine ganz andere Tradition, die viel entscheidender ist und im Film auch wesentlich deutlicher angespielt wird. Hätte man vor Kevin Smiths erstem Teil einer noch unvollendeten True North Trilogy nach Tusk gegooglet, hätte man neben allerlei Stoßzähnen und dem einen oder anderen Walross unter anderem auch noch einen stoßzahnbewehrten Koloss von Batman-Schurken vorgefunden. Mit diesem hat "Tusk" direkt zwar nichts zu tun, aber es ist dennoch ein in mancher Hinsicht sehr batman-esker Film geworden, den Kevin Smith hier abgeliefert hat, dessen Comic- und Superheldenvernarrtheit berüchtigt ist: nicht bloß schreibt sich dieses Interesse über Stan-Lee-Cameos und die Comicfiguren Bluntman und Chronic innerhalb der Filme in selbige ein, sondern Smith selbst hat auch mehrere Comic-Veröffentlichungen vorzuweisen, darunter "Batman: Cacophony" (2008-2009), und seine Tochter allen Ernstes Harley Quinn taufen lassen. (Sie spielt wie auch die Tochter des Stars Johnny Depp eine Nebenrolle in "Tusk" und eine wichtige Rolle in der True North Trilogy).

Bekanntermaßen erzählt "Tusk" folgende Geschichte: Wallace Bryton ist Podcaster, der nicht bloß mit viel Häme andere Menschen aufs Korn nimmt, sondern auch – zum Entsetzen seines Kollegen Teddy Craft – seine Freundin Ally Leon mit willigen Groupies betrügt. Ally erkennt in dem doch recht zynischen, gefühlskalten Karrieristen ihre große Liebe indes kaum noch wieder. So kommt es auch zu einer Affäre zwischen ihr und Teddy, als Wallace frisch nach Kanada gereist ist, um dort das allseits gemobbte Kill Bill Kid zu interviewen, das sich vor der Cam bei der Zurschaustellung vermeintlicher Kampfküste sein rechtes Bein abgesäbelt hat (und freilich auf das Phänomen rund ums Star Wars Kid mit seiner unvorteilhaften Laserschwert-Show und den Medienrummel und den teils reichlich niederträchtigen Spott anspielt).
Doch das Kill Bill Kid hat sich inzwischen umgebracht, wie Wallace fassungslos und wenig einfühlsam registrieren muss. Auf der Suche nach einem Ersatzobjekt für seine Show kommt ihm da die Anzeige eines alten Seebären ganz recht. Doch Howard Howe weiß nicht nur zu erzählen, wie er einst als Schiffsbrüchiger von einem Walross gerettet wurde, das er während der gemeinsamen Zeit auf einer Insel "Mr. Tusk" getauft hatte, sondern wird seinem Gast auch etwas Betäubungsmittel in den Tee kippen, um ihn fürderhin Stück für Stück in ein Walross zu transformieren. Wallace wird für Howes Projekt geopfert werden, nicht Howe für Wallaces Projekt...
Teddy und Ally indes haben sich nach einer Nachricht auf dem Anrufbeantworter aufgemacht, um dem Entführten beizustehen. Ihnen hilft der findige Schnüffler Guy Lapointe (Johnny Depp in einer Art Inspector-Clouseau-Rolle), man wird aber letztlich nur den noch lebenden, aber vollständig transformierten Wallace bergen können, der seinen Peiniger kurz zuvor mit seinen Hauern gemeuchelt hat. Ihm winkt eine Zukunft im Zoo, wo ihn Ally und Teddy, nun ein Pärchen, besuchen und Fisch mitbringen. Eine Träne wird aus seinem Auge rinnen (wie der menschlichen Spinne in "Irish Whisky"); eine Träne, die den Menschen, wie Ally eingangs sinnierte, vom Tier abhebe. (Denn Tiere, bzw. Walrosse, weinen nicht, wie Howe dem umgewandelten Walross-Mann später ans Herz legen wird.)

Ein Verweis auf das Batman-Franchise findet sich überdeutlich im Studio des Not-See-Party-Podcasts: Dort hängt ein kleines Plakat im Hintergrund, das Wallace und Teddy als Zeichentrickfiguren im Batman- bzw. Robin-Outfit zeigt, wie sie – (dem Duo angemessen) homoerotisch konnotiert – an einem Seil eine Mauer emporsteigen. Ein geradezu klassisches Motiv des Superhelden- und -schurken-Comics: Smith hat es mit Harpo-Marx-Durchsetzungen schon in "Mallrats" (1995) zitiert, aber auch im "Batman: Cacophony"-Comic. Noch ein zweites Plakat zeigt sie darüber hinaus in Batman- und Robin-Montur.
Andere Verweise sind da weniger deutlich, für sich genommen unbedeutend, aber in der Summierung von Interesse: Da erklingt etwa ein Musikstück in "Tusk", das Bildungsbürger(innen) sofort Stephen Foster zuordnen dürften, das Kinder der Popkultur aber wohl vor allem auch mit Tim Burtons "Batman" (1989) assoziieren dürften: "Beautiful Dreamer" – was übrigens auch der Name einer Jack Kirby-Figur ist – erklingt dort, als der Joker wie ein toxischer Verehrer Vicki Vales Apartment betritt, just als Bruce Wayne ihr seine Identität als Batman offenbaren will, nun aber stattdessen im Joker den Mörder seiner Eltern erkennen wird. In "Tusk" erklingt selbiges Stück, als Howe erstmals im Film dem vollständig transfomierten Wallace einen Besuch abstattet und den vernarbten Walross-Mann als seinen alten Mr. Tusk identifiziert.
Da wäre auch der rohe Fisch, den Wallace als bereits physisch transformierte Walross-Kreatur dem Überlebenstrieb gehorchend oder bloß äußerst hungrig verschlingt, obgleich er weiß, dass er sich damit Howes Willen beugt: Diese Szene der (erzwungenen Selbst-)Degradierung und Entwürdigung erinnert an jene Szene, in der Danny DeVito in Burtons "Batman Returns" (1992) als unahnsehnlicher Pinguin vom eleganten Max Schreck (Christopher Walken) vorgeführt wird, der ihn als Bürgermeisterkandidaten präsentiert, während er gerade mit bloßen Händen einen rohen Fisch verzehrt.
Auch das Kindheitstrauma von Bruce Wayne taucht hier auf; aber nicht Wallace, die selbsternannte Batman-Kopie, sondern Howe weist es auf: seine Eltern wurden eines Abends in einer Seitengasse vor seinen Augen ermordet. Das Québec, in dem er zunächst im Waisenhaus, dann in einer Irrenanstalt einsitzt, wo er nach seiner Erzählung von Priestern, Nonnen und Politikern vergewaltigt worden ist, gleicht derweil in seiner Schilderung einem Gotham City – mit einer korrupten, korrumpierten Elite und kriminellen Monstern, die nachts aus ihren Verstecken kommen. Hier greift Smith, der ansonsten mit Kanadier- und US-Amerikaner-Klischees spielt, wahre Misstände im Québec zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf, in die der damalige Premierminister von Québec, Maurice Duplessis, verwickelt war: sowohl der Kindesmissbrauch als auch die Überführung aus Waisenhäusern in Psychatrien sind keine Erfindungen Smith'.
(Und als hätten die Verantwortlichen der deutschen Synchronfassung diese Parallelen und Verweise noch verstärken wollen, lassen sie Ally ihrem Partner im Bett sagen, er solle aufhören, den Joker zu spielen...)
Das ist nicht einfach rein willkürliches Fanboy-Gehabe eines Regisseurs, sondern verfolgt durchaus eine Linie. Eine Linie, die er auch mit Anleihen bei Hitchcocks "Psycho" (1960) zeichnet: Schon dort geht es um eine moralisch schuldig gewordene Hauptfigur, die in der Mitte des Films radikal getilgt wird: von Leben zu Tod bei Hitchcock, von Mensch zu Tier bei Smith. In beiden Filmen suchen zurückgebliebene Partner mit einer weiteren nahestehenden Person und einem Schnüffler nach der Hauptfigur. In beiden Filmen macht man im Keller eine schreckliche Entdeckung, die viel mit dem Verkleiden, dem symbolischen Wiederbeleben von Toten und einem durch eine begangene Tötung bedingten Trauma zu tun hat. Smith zitiert "Psycho" nur ein einziges Mal direkt – über den im Sumpf versenkten Wagen –, aber aber er orientiert sich überdeutlich an der Struktur – wenngleich der mehrfache Mörder bei Smith, den Guy LaPointe seit Jahren als Serienmörder jagt, eher den bizarren Serienkillern eines Thomas Harris gleicht (während ein Norman Bates als Tierpräparator ausschließlich seine Mutter mumifizierte). (Hingegen sind ganz direkt benannte Filme wie "Kill Bill" (2003-2004) oder "The Big Lebowski" (1998) tatsächlich eher bloß schmückendes Beiwerk ohne inhaltliche Relevanz.)

Trotz dieser weitgehend parallel geordneten Handlungsstruktur ist das mehrfach vage angespielte Batman-Franchise aber wesentlich relevanter: Verkleidung und Trauma spielen auch dort eine große Rolle; die symbolische Wiederbelebung der Toten (bzw. die smybolische Fortschreibung eines beendeten Lebens) findet man indes kaum... wohl aber symbolische Wiederholungen und Spiegelungen – zu denen auch die Verkleidungen gehören –, mit denen Figurenkonstellationen erschaffen werden, die geradezu mythische Qualitäten aufweisen. (Und unter symbolische Wiederholungen ließen sich auch die symbolischen Wiederbelebungen und Fortschreibungen fassen, die in "Psycho" und "Tusk" auftauchen.)
"Tusk" arbeitet mit solchen comichaften mythischen Konstellationen, um Schuldfragen zu verhandeln; und nimmt sich dabei ernst genug, um Beklemmung und Bestürzung auszuösen (und als eigenständige Horrorkomödie zu funktionieren), und andererseits selbstironisch genug, um als parodistische Superhelden- und -schurken-Geschichten durchzugehen. Smith geht dabei nicht so direkt vor wie ein Takashi Miike, der in "Koroshiya 1" (2001) permanent und konsequent deutlich klarstellte, dass er sich eine Batman-Joker-Beziehung zum Vorbild nahm, aber er arbeitet mit ähnlichen Konstellationen.

Tauchen als direkte und indirekte Verweise Batman-Zeichungen, "Beautiful Dreamer"-Klänge, selbsterniedrigender Fischverzehr vor Zeugen, die Ermordung der Eltern vor Kinderaugen in einer Seitengasse und ein schmieriger Moloch von Großstadt auf – sowie (eher zufällig?) die Bezeichnung Joker in der deutschen Synchronfassung –, liegen die Ähnlichkeiten also in den Beziehungen der Figuren untereinander und den Beziehungen der Figuren zu ihren Alter Egos: Die offenkundigste Entsprechung findet sich in der Verwandlung von Mensch in Tier wieder, dann sowohl Batman, als auch Figuren des Batman-Franchise wie Catwoman, der Pinguin, Man-Bat, Killer Croc, Killer Moth oder Tusk weisen tierische Merkmale auf, wobei das Tier manchmal bewusst zum persönlichen Totem gewählt und aus einem persönlichen Bezug gespeist wird – so weisen sowohl Bruce Wayne als auch der Batman-Gegner Bane je nach Erzählung ein Angsterlebnis im Zusammenhang mit Fledermäusen auf – oder aber einer vagen oder intensiven optischen Ähnlichkeit geschuldet ist wie beim Pinguin, der bei Tim Burton wesentlich monströser gezeichnet wird als in vielen Comics oder Filmen. Wallace besitzt vor seiner Verwandlung bereits einen passenden walrossgerechten Schnauzbart, über den sich auch zwei Verkäuferinnen lustig machen; auch zeigt er vor seiner Verwandlung begeistert, fast eifersüchtig Interesse am stattlichen Penisknochen eines Walrosses.
Für Howe ist er indes trotz dieser passenden Details zunächst ein beliebiges Zufallsopfer – dann aber auf einer anderen Ebene doch auch noch etwas mehr als das. Howe, der seit seiner Kindheit von den Mitmenschen, auch von Geistlichen und Politikern, vergewaltigt und misshandelt worden ist, fand als Schiffasbrüchiger im Mr. Tusk getauften Walross nicht nur einen Retter sondern auch einen Freund – den er dann aber doch hungrig attackierte, um sein Überleben zu sichern und langfristig wieder in die Welt der Menschen zurückzukehren. Dass er kaum nach der Tötung des Tieres Rettung erhielt, dürfte sein Schuldgefühl gesteigert haben. Er hat als fähiger Arzt und Chirurg schon mehrere Opfer in Walrosse umgewandelt, die ihm seinen Mr. Tusk ersetzen sollten, und sich selbst ebenfalls ein Walross-Kostüm genäht, in das er zu Walross-Zweikampf-Zwecke schlüpfte. Aber nie geht er völlig in der Walross-Rolle auf; er bleibt auch Mensch, um den Walrossen die menschliche Grausamkeit zu lehren, provoziert sie solcherart, um endlich sein Opfer bringen zu drüfen, um endlich von einem wahrhaft Mr. Tusk gewordenem Opfer entleibt zu werden, um dem Tier das Opfer zu bringen, zu dem er es einst gemacht hatte.
Auf der Ebene der psychologischen Beweggründe hat sich Howe eine – absurde, wenig realitätsnahe – Praxis ersonnen, die eigene Schuld symbolisch zu verarbeiten und eine sehr reale Buße in einem doch noch symbolischen Akt zu leisten, für die freilich im Vorfeld allerlei Menschenleben notwendig sind; aber Menschen, und da nimmt sich Howe gar nicht aus, sind grausam, sind Täter und Bestien, um die es nicht weiter schade ist. Wallace ist da für ihn bloß das nächste Zufallsopfer, das auf seine Anzeige reagiert hat (und insofern zumindest eine Mindestvoraussetzung erfüllt). Auf der Ebene der Dramaturgie und der Inszenierung kommt eine andere Begründung hinzu: Die Ebene der Inszenierung wurde soeben erwähnt; es ist der Bart, der Wallace von Anfang an einen kleinen Walross-Look verleiht. Auf der Ebene der Dramaturgie ist es neben dem Interesse am Walross-Penisknochen noch seine misanthropische Arschlöcherigkeit, die auch im eigenen Podcast Thema ist: für seine Witze über das Kill Bill Kid werde er in der Hölle brennen, unkt Teddy. Passenderweise äußert sich Howe in einem frühen Gespräch äußerst abwertend über das Reality-TV, das das Gute im Menschen endgültig eleminiert habe. Zwar handelt es sich beim Reality-TV und bei Podcasts, selbst wenn man sie auf politisch unkorrekte Comedy-Blödel-Podcasts begrenzt, um unterschiedliche Formate, aber die kritisierbaren niederträchtigen Phänomene, die mit Bloßstellung und Vorführung arbeiten, findet man in beiden wieder. Insofern erscheint Wallace als zufälligerweise enorm passendes Gegenstück und Opfer.
Hinzu kommt eine Parallelisierung von Howe und Wallace; oder eher eine Ausgewogenheit, weniger eine Parallelisierung. Guy LaPointe behauptet im Gespräch mit Ally und Teddy: "And but for the last 10 years of my life, I have been hunting an animal who is doing the masquerade as the man." Er sieht in dem von ihm verfolgten Serienkiller eine Bestie in Menschengestalt (nichtsahnend, dass diese Bestie ihrer Menschengestalt gelegentlich ein Bestienkostüm überzieht; und nichtsahnend, dass diese Bestie das Bestialische im Menschlichen verortet). Zugleich entfaltet sich die Geschichte des Menschen, der nach und nach in ein Tier umoperiert wird. Eine ähnliche Ausgewogenheit findet man in der Nutzung der Rollstühle wieder: Während sich der vermeintlich gehbehinderte Howe bald überraschend und bedrohlich aus seinem Rollstuhl erheben wird, wird Wallace bald nach Amputation des ersten Beines auf den Rollstuhl angewiesen sein. (Am Ende wird sich Howe nochmals erheben: aus seinem reißenden Menschenhaut-Walross-Anzug heraus wieder zum aufrechten Menschen anwachsend, derweil Wallace als sein tierartiges Gegenüber nun vollends in der Walross-Rolle aufgeht und zur tödlichen Attacke bläst.)
Auch für diese Entwicklung scheint Wallace der perfekte Kandidat zu sein, hat er sich im Rahmen des Podcasts über den Verlust des Kill Bill Kids des eigenen Beines noch lustig gemacht – und gefoppt, dass es damit populärer geworden sei als er selbst mit seinem Not-See-Party-Podcast... und die Frage damit verbunden, weshalb er selbst denn zwei Beine bräuchte. Einer grausigen Moral folgend, bekommt Wallace somit, was er eingefordert hat. Und Kevin Smith sendet früh die ersten Vorzeichen: Da wäre die Meerjungfrau, die sich – ausgerechnet! – unter bzw. vor dem Spiegel im Badezimmer von Ally und Wallace befindet: halb Tier, halb Mensch – eine verheißungsvolle Chimäre vor dem Spiegel, dem Medium der Selbsterkenntnis.

Ohne Wallace und Howe hier schon den Helden- und Schurkenrollen der Comics zugeordnet zu haben, sei an dieser Stelle ein kleiner Exkurs zu den Figurennamen eingeschoben, die zu den spannendsten und überseh- bzw. -hörbarsten Details gehören:
In Bruce Wayne, der bürgerlichen Gestalt von Batman, hat sich bekanntlich neben Anthony Wayne – der für Nicht-US-Amerikaner schon immer und auch für Letztere mittlerweile als Volksheld eher suspekte Züge aufwies bzw. -weist – auch Robert the Bruce eingeschrieben. Einen anderen schottischen Freiheitskämpfer hat Kevin Smith mit William Wallace in Wallace Bryton eingebaut: nerdig genug, um sowohl den Batman-Background als auch "Braveheart" (1995) und "The Bruce" (1996) und somit die schottischen Freiheitskämpfer (William Wallace und Robert the Bruce) zu kennen. Wallace Bryton eröffnet allerdings einen noch größeren Bedeutungsraum, wenn man bedenkt, dass Bryton mit seiner Namensbedeutung auf eine britische Herkunft verweist und Wallace ursprünglich einmal "foreigner, Celt, Welshman"[1] bedeutete. Nicht zwei Kämpfer bilden hier den Namen wie bei Bruce Wayne, sondern ein schottischer Freiheitskämpfer britischer Herkunft, was dem ruhmvollen Klang des Names bei näherer Betrachtung eher abkömmlich ist. Darüber hinaus weist die Namensbedeutung den US-Podcaster in Kanada als Fremden aus; streng genommen auch schon als Fremden in den USA. Und tatsächlich ist Wallace schon in den USA fremd: seiner Freundin etwa, die ihre große Liebe schon vor der verhängnisvollen Reise gar nicht mehr wiedererkennt – um ihn dann am Ende erst recht kaum noch wiedererkennen zu können.
Auch Howard Howe gleicht dem Namen nach der bürgerlichen Existenz eines Superhelden, wenn auch weniger aus dem Batman-Franchise: wie bei Marvel ist es eine Alliteration; man kennt das von Daredevil, Matt Murdock, oder von Bruce Banner, von Peter Parker, Jessica Jones oder Wade Winston Wilson. Man kennt das aber auch von DC, am prominentesten im Fall von Superman, der seinen menschlichen Zieh-Eltern den Namen Clark Kent verdankt. Es passt, dass Wallace Bryton mehr mit Bruce Wayne assoziiert wird und Howard Howe mehr mit einem Namen wie Clark Kent. Denn Howe wird von LaPointe als Tier in menschlicher Hülle beschrieben (derweil ein Clark Kent ein Superman in menschlicher Hülle ist), wohingegen Wallace ein Mensch ist, der in ein Tier umoperiert wird (derweil ein Bruce Wayne ein Mann ist, der sich nachts in einen Superhelden verwandelt).
Kevin Smith spielt ausgiebig mit solchen Superheldencomic-Versatzstücken: Selbst der von Howe noch als Grund für die Beinamputation – den ersten Schritt auf der Tierwerdung des Menschen Wallace – vorgeschobene Spinnenbiss lässt sich als Verballhornung der Spider-Man-Vorgeschichte mit dem Biss einer radioaktiven Spinne lesen.

Aber anders als bei Miikes "Koroshiya 1" gibt es hier trotz aller Anleihen keine 1:1-Übertragungen vom Joker zu einem Kakihara oder vom Batman zu einem Ichi; hier verschmelzen in Howard Howe und in Wallace Bryton unterschiedliche Aspekte der Comic-Superhelden- und -schurken-Standards.
Nun, Wallace zeigt sich auf seinen Podcast-Plakaten gerne als Batman, derweil er Teddy die weniger männliche, knabenhaftere Robin-Rolle überlässt (der auf dem ersten, homoerotisch konnotierten Plakat mit der Fassadenerklimmung die passive Rolle des Penetrierten einnimmt). Aber eigentlich wird er – Scherze auf Kosten anderer machend, über andere lachend, auf seine Außenwirkung wert legend – tatsächlich auch eher mit Elementen des Jokers belegt. Und Howe wird zwar als Täter präsentiert, hat aber zugleich (ein wenig wie Batman) eine bittere Vorgeschichte mit allzu realem historischen Hintergrund, in der er das Opfer einer ganzen Gesellschaft ist, in der seine Eltern ermordet und er über Jahre von einflussreichen Personen auf jede erdenkliche Weise vergewaltigt worden ist. Die Grundkonstellation übernimmt viele Aspekte insbesondere der burtonschen Batman-Filme, in denen die Schurken ein Produkt der Gesellschaft (Pinguin) oder des Superhelden (Joker) sind, derweil Batman wie im 21. Jahrhundert immer häufiger – als hemmungsloser Selbstjustiz-Machtmensch agiert. Es ist die Mitleid- und Skrupellosigkeit der Gesellschaft, die Wallace als erfolgreicher zynischer Podcaster verkörpert, die Howe zum Täter werden ließ, derweil Howe aus Wallace herausholt, was in ihm steckt, aber von keinem erkannt wird: die Bestie, das Tier (welches Howe LaPoint zufolge sein soll). Weder Wallace, der sich eher als Batman sieht, erkennt diesen eigentlichen, bestialischen Kern in sich selbst, noch Ally, die ihn immer weniger wiedererkennen können wird; bei soviel mangelnder Klar- und Weitsicht passt es dann auch, dass der eigene Podcast Not-See-Party heißt.
Eine absurde wie bedrückende Horrorkomödie hat Kevin Smith damit vorgelegt, die Grenzen auch zwischen Tätern und Opfern, Menschen und Bestien, Schöpfern und Geschöpf(t)en verwischt, während sie ihr Augenmerk auf gesellschaftliche Schieflagen richtet: auf alte, deren Folgen heute noch nachwirken (zumal es nun wahrlich nicht so ist, dass der Missbrauch durch Geistliche seit den 50er Jahren nennenswert abgenommen hätte), und auf neue, deren Wirkungen die Gesellschaft gerade erst zusätzlich zu zersetzen beginnen. Serviert wird das Ganze als nerdiger Ritt durch die populäre Comic- und Filmkultur, der viel Liebe und Hintersinn ins Detail steckt.
6,5/10

1.) Cleveland Kent Evans: The Great Big Book of Baby Names. A Complete Guide From A to Z. Publications International 2006; S. 313.

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