Zunächst sind es Namen, Termine oder Ereignisse der letzten Tage, dann wird die Herdplatte vergessen, es folgen Wortfindungsschwierigkeiten, Orientierungslosigkeit. Der Gang wird schlürfend, die Motorik merklich langsamer, so dass ein Mittagessen bis zu einer Stunde dauert. Mit Glück wird die Toilette noch gefunden und die Exkremente landen dort wo sie hingehören, bis schließlich die letzte Phase der Krankheit einsetzt. Demenz, insbesondere Alzheimer-Demenz zählt zu den grausamen Krankheiten, die jeden erwischen kann, schlimmstenfalls auch Menschen um die 50, wie uns das Drama des Regieduos Glatzer/Westmoreland vermittelt.
Alice (Julianne Moore) ist Autorin und Dozentin für Linguistik und feierte gerade ihren 50. Geburtstag, als sie beim Joggen kurzfristig die Orientierung verliert. Kurz darauf fällt ihr bei einem Vortrag ein bestimmter Begriff nicht ein, so dass sie sich zu einer neurologischen Untersuchung entschließt. Die Diagnose lautet Alzheimer im frühen Stadium. Mithilfe ihres Mannes (Alex Baldwin) und ihrer jüngsten Tochter (Kristen Stewart) versucht sie, ihren Alltag weiterhin zu meistern…
Menschen, die Alzheimerpatienten in ihrem Umfeld haben, werden einige Situationen vertraut vorkommen, jedoch spart er die wirklich krassen Begleiterscheinungen aus, was nicht zuletzt an der Erzählperspektive liegt. Die Sichtweise von Alice gerät fast nie aus dem Fokus, audio-visuell wird dies einige Male unterstrichen, indem Bilder verschwimmen, der Ton undeutlich wird oder Ereignisse so beiläufig angesiedelt sind, dass sie kurz darauf in ähnlicher Form wiederholt werden. Stationsartig klappert die Erzählung das Krankheitsbild der Betroffenen ab, klammert das familiäre Umfeld jedoch weitgehend aus, so dass von den drei Kindern eigentlich nur das jüngste wichtig erscheint.
Dass Julianne Moore zu den besten Darstellerinnen unserer Zeit zählt, dürfte sie allerspätestens mit dieser brillanten Leistung untermauert haben, denn mehr Feingefühl in Sachen Mimik und Gestik ist diesbezüglich nicht möglich. Baldwin ist überraschend gut und selbst Stewart performt besser als erwartet. Blass bleibt hingegen Kate Bosworth, vielleicht auch, weil ihre Figur nicht sonderlich sympathisch rüberkommt.
Der Score bleibt unauffällig, Kamera und Schnitt arbeiten zweckdienlich, nur diverse Rückblenden tragen nichts zur Handlung bei, zumal zu keiner Zeit ein Bezug zu Schwester/Mutter der Hauptfigur aufgebaut wird.
Bei alledem ist bemerkenswert, wie das Regieduo nahezu sämtliche Sentimentalitäten umgeht oder allenfalls in Ansätzen streift. Selbst gegen Ende versinkt man nicht im Pathos, sondern bleibt bodenständig, jedoch auch würdevoll, was die letzten sensiblen Momente gelungen und auch ein wenig nachhaltig unterstreichen. Und auch hier ist es der wunderbare Kontrast einer markanten Kristen Stewart ohne viele Schnörkel in der Mimik und einer Moore, die zuletzt nur noch ein Wort von sich gibt.
Vielleicht hätte die Erzählung noch ein wenig intensiver gestaltet werden können, denn etwaige Konflikte werden überwiegend weichgespült und dramatische Ausbrüche gibt es eigentlich nicht. Die Wirklichkeit sieht in vielen Fällen anders aus, weshalb hier auch nur andeutet wird, wie es der Titelfigur in den kommenden Wochen und Monaten ergehen dürfte.
Dennoch ein sensibles und einfühlsames Drama ohne Kitsch, teils herausragend performt und durchaus ansprechend verpackt.
7 von 10