Wie stellt man sich eigentlich einen lesbischen Vampir vor? Dünn, flachbrüstig, knapp 180 cm groß, hohle Wangenknochen, dunkle Haare, Hakennase und glutroten Augen? Oder doch lieber zwei heiße Feger vom Kaliber Ewa Strömberg (süße Schwedin) und Soledad Miranda (feurige Spanierin)? Exploitation-Urgestein Jess Franco entschied sich für letzteres und drehte mit "Vampyros Lesbos" einen echten Evergreen, irgendwo anzusiedeln zwischen Kunst und Trash.
Eines vorweg: bei "Vampyros Lesbos" handelt es sich um keinen Film im eigentlichen Sinne, sondern um einen psychedelischen Trip im besten Seventies-Style. Die Rahmenhandlung um eine junge Frau, die in Istanbul dem weiblichen Abkömmling Draculas begegnet und dabei immer mehr in einen Strudel bizarrer Ereignisse gerät, ist nur Staffage, um einen faszinierenden Bilderbogen aus verschwimmendem Realitätsbewusstsein, bedeutungsschwangerer Symbolsprache und softer Lesbenerotik zu präsentieren.
Ja, richtig interpretiert! Franco liefert ein echtes kleines cineastisches Kunstwerk ab, das bis heute zu seinen besten wie bekanntesten Werken gehört. Seinem Sinn für Architektur kommt er genauso nach wie seinem Faible für schöne Frauen. Strömberg und Miranda sind zwei echte Eyecatcher in Aktion. (Für alle Homophoben: Keine Angst, es wird schon nicht zu doll...). Darüber hinaus bietet Franco einige wirklich eindrucksvolle Bilder mit viel Symbolik. Was ein Drache am Himmel, ein toter Skorpion im Swimming Pool oder wortlose erotische Show-Performances genau zu bedeuten haben, bleibt wohl das Geheimnis des Regisseurs. Nicht selten wird überhaupt kein Wort gesprochen. Als "Musik" dienen geheimnisvolle Beschwörungsfloskeln. Und das stylishe 70er-Interieur ist schlichtweg atemberaubend.
Der einzige Wehrmutstropfen ist, das "Vampyros Lesbos" bisweilen einpaar Durchhänger hat. Leuten, die regelmäßig das Multiplex-Kino um die Ecke besuchen, ist von diesem kleinen Meisterwerk abzuraten. Wer sich jedoch für interessante wie etwas abseitige Filmkultur begeistern kann, der kommt um "Vampyros Lesbos" wohl nicht umhin. 9 von 10 Punkten.