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Vergessen wir mal den sogenannten “Orb”, die Energiekugel, die ein ebenso austauschbarer MacGuffin ist wie der Tesserakt in „The Avengers“ oder der „Äther“ aus „Thor – The Dark Kingdom“. Konzentrieren wir uns lieber auf den „Awesome Mix Vol. 1“, eine Musikkassette in einem Walkman, die zu Beginn als Close-Up gezeigt wird und das absolute Gegenteil eines MacGuffins darstellt. Sie treibt die Handlung nicht voran, erweist sich diesbezüglich sogar als vollkommen entbehrlich, ist aber als Gegenstand selbst von besonderer Bedeutung, die für den Zuschauer (vor allem jenen in den Mittdreißigern) viel wichtiger ist als der Orb. Und damit auch für den Film, dessen Qualitäten ganz offensichtlich nicht von der Handlung ausgehen.

Es walten zwei Kräfte in „Guardians Of The Galaxy“. Eine gehorcht dem großen Marvel-Apparat und ist wie fast alle Produktionen des Studios seit „Iron Man“ einer Art „Seamless Branching“ verpflichtet, einem großen Fortsetzungskomplex, der ein eigenes Filmuniversum erschaffen soll und deswegen dazu verpflichtet ist, gewisse Regeln einzuhalten. Dazu gehören große Luft- und Allschlachten mit bildfüllenden Spezialeffekten, klassische Gut-gegen-Böse-Konstellationen und eingangs besagte MacGuffins, die in einer großen Spielwelt die Regeln des Chaos bei Laune halten und oberflächliche Interessenskonflikte generieren sollen.

Die andere Kraft ist - zumindest in dieser intensiven Ausprägung - neu. Sie stemmt sich erstaunlich frech gegen den Marvel-Dogmatismus und geht auf den Anarcho-Humor des Drebuchautoren und Regisseurs James Gunn („Slither“, „Super“) zurück, der keine Gelegenheit auslässt, um Filmkonventionen, die für das jüngere Blockbusterkino durchaus auch von Marvel selbst mitgeprägt wurden, gehörig auf den Arm zu nehmen. Da wird die Entdeckung neuer Welten, die in „Raiders Of The Lost Ark“ noch begleitet wurde von einer Aura der Andächtigkeit und des Staunens, zur respektlosen Tanzveranstaltung, und der sich an anderer Stelle zur romantischen Kulisse aufbäumende Score wird durch einen herrlich stimmungskillenden Oneliner ad absurdum geführt. „Guardians Of The Galaxy“ hält es keine fünf Minuten auf den Plätzen, ohne dass ein Gag auf das unselige Protagonisten-Quintett verteilt würde, der weit über den süffisanten Humor der vielen „Avengers“-Ableger hinausgeht, denn diesmal kommentiert er die Mechanismen des Comic-Universums nicht einfach nur, sondern setzt sie auseinander und baut sie in verschrobener Manier wieder zusammen.

Es wäre freilich töricht anzunehmen, dieser Entwicklungsschritt sei von Marvel nicht abgesegnet worden. Selbst wenn Ableger wie „Return Of The First Avenger“ zeigen, dass das Studio immer noch starke Filme abzuliefern weiß, wird die generische, sich selbst wiederholende Rezeptur mit jedem schwächeren Beitrag offensichtlicher. Insofern ist es ein wohl kalkulierter, deswegen aber nicht weniger charmanter Zug, die selbst errichteten Fassaden wieder sukzessive mit neuen Tönen einzureißen.

Obwohl man diesbezüglich dank Vorlage gut aufgestellt ist mit einem Fünfergespann, das mindestens so bunt ist wie die “Ice Age”-Herde und noch viel schräger drauf, fehlt gerade an den großen Eckpunkten die letzte Konsequenz. „Guardians Of The Galaxy“ versteht sich offensichtlich auch als Verbeugung und nicht zuletzt als eigener Beitrag zu den großen Space-Opera-Erzählungen, die nach wie vor von der „Star Wars“-Originaltrilogie angeführt werden. Um hier direkt anzuknüpfen, wären vermutlich noch ausgeprägtere Antagonisten und eine substanzvollere Geschichte notwendig gewesen. Natürlich bleiben auch Todesstern und Ring im Endeffekt reiner Vorwand im eskapistischen SciFi- und Fantasykino. Gunn verlässt sich dann aber doch eine Spur zu sehr auf Reliefs. Die Production Designer basteln eifrig an individuellen Alien-Creature-Designs, Raumschifftechnologien und andersweltlichen Darstellungen von Materialien und deren Nutzung, um eine einmalige Mythologie zu erschaffen, bringen damit aber eine lediglich visuell spektakuläre, substanziell jedoch ähnlich gehaltlose Mimikry naturalistischer Mechaniken zustande wie es beispielsweise bei Zack Snyders Vision des „Superman“-Planeten Krypton auch zu beobachten war. Und möglicherweise ist es auch einen Hauch zu einfach, Peter Quill mit Han Solo zu vergleichen, Groot mit Chewbacca, Ronan mit Darth Maul.

Dann aber ist da noch die andere Seite. Die mit der Musikkassette. Mit dem Tanzen. Dem ungepflegten Dreitagebart. Dem alten Raumschiff mit „Serenity“-Flair. Gunn hat verstanden, dass Science-Fiction-Kino nicht gleichbedeutend mit einer Flucht in rein digital erzeugte Welten sein muss. All die großen Klassiker, von „Star Wars“ über „Blade Runner“ bis „Terminator“, leben von der Verknüpfung mit der Authentizität greifbarer Bilder, an denen die Vorstellungskraft überhaupt erst andocken kann, um schließlich weitergetragen zu werden. Immerhin: Obwohl die Hintergründe Marvel-typisch artifiziell wirken und die Special Effects aus computergenerierten Lichtexplosionen bestehen, werden gerne reale Sets genutzt. Raumschiffe haben Kratzer, Kämpfe hinterlassen Dellen. Selbst der computeranimierte Waschbär schmiegt sich hervorragend ins Ambiente, zumal seine Animatoren stets mit physikalischen Kräften spielen und auch noch Gags daraus ziehen (wenn Rocket beispielsweise verschlafen aufsteht und das Backenfell auf der Schlafseite komplett plattgedrückt ist). Tatsächlich weckt seine Gestalt nicht zuletzt durch die schnoddrige Art glücklicherweise eher Erinnerungen an Cartoon- und Suitmation-Figuren aus Filmen der frühen 90er als an etwaige Disney- und Pixar-Tiere. Das natürlichste Element findet sich aber wohl im Hauptdarsteller: Chris Pratt ist eine waschechte Inkarnation der 80er Jahre und ein Geschenk an die 1979+-Generation, denn er verhält sich so, wie sich wohl nur ein heutiger Mittdreißiger verhalten würde: Als ein Verehrer des Analogen und Unperfekten, als ein Genießer der ganz besonderen Vorzüge eines guten alten Walkmans.

So überwiegen am Ende deutlich die Pluspunkte, insbesondere, wenn man selbst den konventionelleren Marvel-Filmen schon etwas abgewinnen kann. „Guardians Of The Galaxy“ ist keine Revolution, aber doch die dringend notwendig gewordene Frischzellenkur für das inzwischen auf stattliche Größe angewachsene Marvel Cinematic Universe, das auch weiterhin zu wachsen gedenkt und mit solchen Mitteln im Repertoire noch längst keine Angst vor dem Kollaps haben muss.

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