„Die Ehe ist harte Arbeit!“
Bevor US-Regisseur David Fincher („Sieben“) das Kino aufgab und sich der 2017 veröffentlichten Streaming-Serie „Mindhunter“ widmete, setzte er im Jahre 2014 mit seinem letzten Kinofilm noch ein dickes Ausrufezeichen: „Gone Girl“, seine Verfilmung des gleichnamigen Bestseller-Romans aus der Feder Gillian Flynns, die ihr eigenes Werk als Drehbuch adaptierte, ist dramatischer Psycho-Thriller, Groteske und Mediensatire zugleich.
„Wer immer sie hat, wird sie wieder loswerden wollen!“
Der Schriftsteller Nick Dunne (Ben Affleck, prophetisch: „Chasing Amy“) meldet seine Frau Amy (Rosamund Pike, prophetisch: „Das perfekte Verbrechen“) am fünften Hochzeitstag als vermisst. Es dauert nicht lang, bis Detective Rhonda Boney (Kim Dickens, „Hollow Man – Unsichtbare Gefahr“) immer mehr Hinweise darauf findet, dass Amy Opfer eines Verbrechens wurde. Und Amy ist nicht irgendwer, sondern eine prominente Frau, die von ihren Eltern als Protagonistin einer erfolgreichen Kinderbuchreihe vermarktet wurde. So wird ihr Verschwinden zu einem gefundenen Fressen für die Medien, die Amys und Nicks Ehe ausschlachten. Tatsächlich handelt es sich um alles andere als eine Bilderbuchehe. Hat Nick also seine Frau auf dem Gewissen?
„Ich hab's so satt, von Frauen wie der vorgeführt zu werden!“
Ungewöhnlich sind bereits Aufbau und Struktur des Films: Er beginnt mit einem Sprecher aus dem Off, der den Eindruck erweckt, ein Serienmörder zu sein – zu sehen ist dabei jedoch das Gesicht einer attraktiven Frau; es handelt sich um Amy. Diese liest im Anschluss ihre visualisierten Tagebucheinträge beginnend mit dem Jahre 2005 vor, als sie Nick auf einer Party kennenlernte, nachdem in einer vorgeschalteten Rückblende dieser an ihrem fünften Hochzeitstag einen Abstecher in die Bar unternahm, die er, wie sich herausstellen wird, zusammen mit seiner Schwester Margo (Carrie Coon, „The Leftovers“) betreibt. Es sind noch nicht einmal fünf Minuten vergangen, da wurden bereits drei Zeitebenen und Erzählperspektiven angerissen, die sich fortan abwechseln. Nachdem Amys Verschwinden bemerkt und die Polizei eingeschaltet wurde, dröseln weitere Rückblenden aus Amys Perspektive die Beziehung der beiden weiter auf und zeigen eine fast schon ekelerregend idealisierte Zweisamkeit.
„Ich brauch 'ne Leiche!“
Doch Nick hat einen pflegebedürftigen Vater und wird während der Wirtschaftskrise arbeitslos, es kommt zu Ehestreitereien. Ein Umzug in Nicks Heimat Missouri aufgrund der tödlichen Krankheit seiner Mutter wird zu einem weiteren Konfliktherd. Mittlerweile hat Nick eine Affäre. „Gone Girl“ avanciert zu einem immer deftigeren Beziehungsdrama. Datumseinblendungen helfen schließlich bei der Orientierung innerhalb der Zeitebenen. Amys Verschwinden wird immer mehr zu einem medialen und gesellschaftlichen Ereignis, in dessen Zuge Nick zunehmend vorverurteilt wird. Es stellt sich schließlich sogar heraus, dass Amy schwanger war. Angeblich habe sich eine Blutlache in der Küche befunden, Nick habe hohe Kreditkartenschulden, von denen er nichts wusste, und er würde von Amys Lebensversicherung profitieren – will Amy ihn hinter Gitter bringen, hat sie einen perfiden Plan ausgeheckt?
Es ist an dieser Stelle sicherlich nicht zu viel verraten, vorsichtshalber sei trotzdem ein Spoiler-Alarm ausgelöst: Ab hier besser erst den Film gucken, anschließend bei Interesse weiterlesen.
Ja, genau so ist es, Amy erklärt einem aus dem Off alles – bevor sich ihre Erzählebene mit derjenigen Nicks kreuzt, sie also auch aktiv in die Handlung eingreift. Nick wendet sich an einen Anwalt (Tyler Perry, „Alex Cross“), der ihr empfiehlt, seinerseits die Medien für eine Anti-Amy-Kampagne zu nutzen. Der medienkritische Aspekt der Handlung wird dadurch ein weiteres Level höhergehievt. Amy entpuppt sich als alles andere als ein Opfer, in der Vergangenheit hatte sie bereits eine Vergewaltigung vorgetäuscht. Das ist grundsätzlich recht dünnes Eis, auf das sich die Handlung nun begibt, möglicherweise klatscht an dieser Stelle manch Frauenhasser Beifall. Fakt ist, dass die überwiegende Anzahl angezeigter Vergewaltigungen tatsächlich verübt wurde und nur ein geringer Anteil Frauen falsche Vorwürfe erhebt, um die Angeklagten zu vernichten oder daraus Kapital zu schlagen. Fakt ist aber auch: Die gibt es. Und da Fincher mit keinem Filmmeter eine Allgemeingültigkeit suggeriert, sondern Amy als einen in vielerlei Hinsicht „besonderen“ Menschen herausstellt, dürften Misogynievorwürfe ins Leere laufen.
„Das nennt man Ehe!“
Während nun der eine untertaucht, sucht der andere sein Heil in der Flucht nach vorn durch Teilnahme an einer Fernsehshow und wird eine alte Liebschaft reaktiviert, um diese auszunutzen. Letztlich kulminiert alles in eine überraschende Wendung, deren Pointe dem Vorausgegangenen in Sachen Boshaftigkeit noch einen draufsetzt. Ein echter Schlag in die Fresse. Flynn und Fincher haben die Handlung dramaturgisch nach allen Regeln der Kunst voll ausgereizt und knüpfen mit der letzten Szene an die Eröffnungssequenz an, womit sich der Teufelskreis schließt. Mehr dürfte in dieser Hinsicht kaum möglich sein.
Spätestens bei der Reflexion des Gesehenen wird klar, dass es sich in erster Linie um eine Geschichte über Selbstinszenierung handelt, um die es bei Amy seit den Kinderbüchern ging – und der sich alles unterzuordnen hat. Wer ihr zu nahe kommt, wird selbst zum Teil dieser. Für diese Inszenierung werden Medien benötigt, die das Spiel aus ureigenem Interesse heraus nicht nur mitspielen, auch nicht nur befeuern, sondern ihm erst die Grundlage bieten. Die pulpige, plakative Übertreibung im Stil eines reißerischen Medienereignisses – das „Gone Girl“ als Kinofilm selbst ist –, mit der Fincher diese Prozesse seziert, erzeugen daraus eine bisweilen beinahe schon schwarzhumorige Mediensatire, die nicht mit Kritik an Medienmacht, Imagekampagnen sowie den involvierten Personen bis hin zum bigotten Publikum geizt.
Mit der weiblichen Hauptrolle erschuf man die wohl durchtriebenste Femme fatale seit Film-noir-Zeiten, die in Kombination mit ihrem weiß Gott auch nicht übermäßig integrem Mann Garantin für eine böse „Szenen einer Ehe“-Variation im Thriller-Format ist. Der Hauptunterschied zum Film- oder Neo-noir: „Gone Girl“ ist zwar überkonstruiert und kühl berechnend, aber auch betont unemotional, artifiziell – die Inszenierung wirkt inszeniert, was vor allem auf Amys Erzählperspektive zutrifft. Dies stellt sich bald als sich mit der Medienkritik paarender, bewusster stilistischer Kniff Finchers heraus, zu dem dann auch die zahlreichen Produktplatzierungen ebenso passen wie die sphärischen Ambient-Synthieklänge, die Trent Reznor als musikalische Untermalung beisteuerte.
In seiner Vielschichtigkeit ist „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ ein echter Fincher und in seiner Themenwahl und -verarbeitung provokant und polarisierend, wie es Fincher seit „Fight Club“ nicht mehr war. Bei näherer Betrachtung meine ich Sidney Lumet („Network“) als mögliches Vorbild in Sachen Mediensatire (und Überlänge) auszumachen, zu Unterhaltungsfilm-Edelmetall amalgamiert mit Anleihen bei expressionistischen (Noir-)Thrillern sowie radikal gegen Mainstream-Wohlfühlkino gebürstetem Independent- bis Exploitationfilm. Schade, dass Fincher kein Kino mehr macht.