Brother - Vom Altern und Töten
Kitanos neuer Film Brother ist ein Gangsterfilm. Viele werden denken, es sei ein Epos wie die ganzen Mafiafilme oder gar ein hipper Gewaltstreifen wie Pulp Fiction, aber sie liegen alle falsch: Der Film taucht wie alle Kitanos tief ein in die Psyche eines Menschen. Hier ist es ein alternder Yakuza (gespielt von ihm selbst), mit sehr traditionell-japanischen Werten der Ehre, Loyalität und der damit verbundenen Selbstaufopferung.
Als der Film anfängt ist Aniki (so heißt er) bereits tot. Zumindest soll er es sein, da er in Konflikt mit einer Yakuzafamilie in Japan gerät. Sein Bruder (in der Bedeutung ähnlich dem Blutsbruder in Winnetou) täuscht jedoch nur seinen Tod vor, sodass Aniki zu seinem Halbbruder (hier die Verwandheits-Bedeutung) nach LA flüchten muss. Und weil er es nicht anders gelernt hat, baut er aus der afro-latino-amerikanischen Dealerclique seines Halbbruders eine der einflussreichsten Mafiaorganisationen in LA auf, die sich dann zu weit hinauswagt und gegen die italienische Mafia kämpfen muss.
Das Besondere des Films ist jedoch weniger die Biografie einer Multikulti-Mafia. Vielmehr geht es um das Sterben, den Umgang damit, aber auch um Begegnung und Freundschaft. Getötet wird hier sehr viel und sehr brutal, aber nie auf eine verherrlichende Art und Weise. Ein Schuss, viel Blut, Zack und Schnitt. Der Tod ist also einfach ein kurzer Endpunkt, kaum wahrgenommen oder erwartet, sodass der Prozess des Sterbens auf ein Minimum reduziert ist. Doch wird hier auch die andere Art des Todes geschildert: Eine vorbestimmte, erwartete und gesteuerte Schicksalsangelegenheit. Aniki ist sich von Anfang an seines baldigen Todes bewusst, akzeptiert es und lenkt sich selbst gezielt in seine Richtung. Das ist es schließlich auch, was ihn so wagemutig und skrupellos macht, und so unberechenbar und überraschend für seine Gegner.
Parallelen zum Krieg Amerika-Japan werden bemerkbar. Ein Japaner, bereit für seine Ideale zu sterben, kommt überraschend nach Amerika und zettelt einen Krieg an. Seine Gleichgültigkeit gegenüber ihm selbst, die daraus resultierende Risikobereitschaft (für ihn ist es ja kein Risiko) und die dadurch entstehenden unerwarteten Handlungen überraschen die Ortsansässigen. Sie sind deswegen völlig unvorbereitet und stecken schwere Verluste ein. Doch auf Dauer funktioniert das Prinzip nicht, die Gefahr kann durch hart durchgreifende Säuberungsaktionen gebannt werden.
Doch zurück zum Film: Aniki tötet nicht mit Hingabe, vielmehr aus einem inneren Zwang heraus und von der Situation bedingt. Oft scheint es die einfachste Lösung, um spätere Probleme zu verhindern, außerdem ist es das einzige, was Aniki beherrscht. Nicht selten sind die kurzen Tötungen von bitterem Humor geprägt, sie zerreißen die sonst so ruhige Erzählweise des Films für einen Augenblick. Auch wenn Aniki dabei gleichgültig wirkt, so gehen die Opfer nicht spurlos an ihm vorbei. Hinter seiner Fassade, hinter der Sonnenbrille, welche seine Augen schützt und somit die Preisgabe seines Inneren verhindert, steckt ein vom Leben gezeichneter Mann, dem es zunehmends Leid wird, zu töten, sodass er schlussendlich selbst zu einem der vielen Opfer wird. Das ist die knallharte Realität in überspitzter Form: Irgendwann stirbt jeder, aber oft kommt es unerwartet. Der Antrieb für einen Menschen, weiterzustreben nach seinen Zielen, ist in gewisser Weise die Akzeptanz des Todes. Aniki tut das richtige und bekämpft nicht das unabwendbare Schicksal, sondern nutzt es aus.
Der zweite Inhaltsbereich des Films ist die Freundschaft Anikis zu dem schwarzen Dealer Denny. Die Teilhaber zweier völlig unterschiedlicher Kulturen prallen aufeinander und stoßen sich zunächst ab. Langsam aber bricht die Barriere, und Denny wird für Aniki die einzige Vertrauensperson, der einzige, dem er seine Gefühle offenbart. So wird im Film tiefgründig eine menschliche Beziehung beschrieben, die sich durch gegenseitige Opferungsbereitschaft, Unterwürfigkeit, Vetrauen und Vergebung stark in den Freunden verwurzelt. Der Kampf füreinander gibt Aniki und Denny Kraft, sodass sie es am längsten von ihrer Mafiaorganisation überleben. Die unzerbrechliche Freundschaft macht die Gangster und Killer Aniki und Denny schließlich zu den einzigen Helden in Brother.
Alles in Allem kann man sagen, dass Kitano mit Brother wieder ein philosophisches Meisterwerk geschaffen hat. Die grausame bittere Brutalität steht in scharfem Kontrast zu den so schön menschlich beschriebenen Gefühlen und Beziehungen der Protagonisten. Verpackt in der typischen ruhigen Kitano-Bildsprache wird aus dem Stoff ein grandioses Epos geschaffen, das alle bisherigen Hollywood-Mafia-Filme bei weitem in den Schatten stellt. 10/10.