Sie folgt dem Geschlechtsverkehr auf dem Fuße, die ängstigende Bedrohung, die [Achtung: Spoiler!] in immer neuen Formen ihre jüngsten Opfer in "It Follows" schleichend heimsucht. "It Follows" ist ein Film, der überdeutlich Motive, Abläufe und Bedeutungen aus "Halloween" (1978) und "A Nightmare on Elm Street" (1984) aufgreift, aus dem mehr oder weniger klassischen Slasher-Film also, in welchem nur die Jungfrauen überleben können, wie es später der selbstreflexive Subgenre-Beitrag "Scream" (1996) verkündete. In "Halloween" werden die auf sexuelle Abenteuer hoffenden Freunde & Freundinnen der unschuldigen Laurie vom absolut Bösen in Menschengestalt gemeuchelt, während Laurie selbst in der Nacht des Grauens als Babysitterin tätig ist und der Gefahr mit Müh & Not entgehen kann: Der sexuell aktive Teenager wird bestraft, glaubt man einer gängigen Lesart des Slasher-Films, die diesem einen konservativ-reaktionären Gestus attestiert; unter anderer Prämisse kann man ebenso behaupten, dass es ein eher subversiver Film über die absurde Unangemessenheit solch eines Bestraftwerdens sexueller Umtriebigkeit durch einen geistesgestörten Erwachsenen ist.[1] In "A Nightmare on Elm Street" gesellt sich dazu noch der Umstand, dass der bestrafende Täter seinerseits ein (untoter) tödlich bestrafter, sadistischer Sexualstraftäter ist (was im 1984er Original nur unterschwellig zur Geltung kommt, um im 2010er Remake ausformuliert zu werden): seine Opfer begegnen ihm in ihren Träumen - und damit auch ihren bislang erfolgreich verdrängten Erfahrungen mit einer unfreiwilligen, sadistischen, sexualpathologischen Form der Sexualität.
"It Follows" stellt nur mit viel Phantasie eine Art Neo-Slasher dar und variiert im Grunde bloß das alte Motiv des Fluchs und der Heimsuchung, um zugleich an populäre Interpretationen des Slasher-Films anzuknüpfen, in welchem jugendliche Sexualität und deren Bestrafung so einheitlich & exzessiv betrieben wird, wie in wohl kaum einem anderen Subgenre des Horrorfilms. (Man kann sich also auch an "Curse of the Demon" (1957), "Ringu" (1998), "Final Destination" (2000) oder "Drag Me to Hell" (2009) erinnert fühlen, denen "It Follows" kaum weniger verpflichtet ist, auf die er allerdings deutlich weniger & weniger deutlich anspielt und über die und deren Subgenre er weniger zu vermitteln hat...)
Das, was die Figuren hier nach dem Geschlechtsakt in wechselnder Gestalt heimsucht, sucht sie ganz explizit infolge dieses Aktes heim und wird überdeutlich als Folge der Sexualität herausgestellt - und sieht dabei mitunter so harmlos aus, dass man schnell in paranoide Verdächtigungen von jedermann verfällt. Anders als die Täter des Slasher-Films ist dasjenige, was hier auf die sexuelle Betätigung folgt, eine unfassbare, beliebig maskierte und letztlich gesichtslose Bedrohung, unter der man schnell auch in Paranoia zu verfallen droht (weshalb auch im Body Snatcher-Subgenre Einflüsse zu verorten sind); und bei der schnell auf der Hand liegenden Frage, was denn nun eigentlich (den Figuren & nach dem Sex) folgt, und angesichts des offensichtlichen Platzhalter-Charakters der jeweiligen Tätergestalten liegt es nahe, bloß eine gefährlichere, mörderische Ausprägung ganz realistischer, postkoitaler Befürchtungen zu vermuten. So folgt etwa auf den Geschlechtsverkehr mitunter die Angst vor Krankheiten, allen voran die HIV-Infektion & AIDS (welche - natürlich zufällig - kurz nach Aufleben des Slasher-Films boomten und ihn gemeinsam mit konservativ gefärbten Debatten über Homosexualität & Promiskuität fortan begleiten). Die Angst vor einer Schwangerschaft ist - bei Männchen und Weibchen gleichermaßen - ebenfalls populär; und auch die Angst, dass die Kunde vom Sexualakt die Runde macht, ist keinesfalls selten (und meist umso größer, je lieber man ihn aus welchen Gründen auch immer geheimzuhalten gedenkt). Etwas eitler folgt bei manchen bisweilen die Angst, 'nicht gut' gewesen zu sein; oder es kommt die Befürchtung in einem auf, dass das rein Körperliche des Sexualakts für den Partner (oder die Partnerin) zugleich der einzige Grund für ebendiesen Akt war.
Dasjenige, was verboten, folgenschwer, anrüchig, peinlich ist oder sein könnte, wird im Moment der Lust vergessen, um einen im Anschluss verfolgen zu können - gerade auch im jungen Alter, in welchem man älteren Mitmenschen noch Rechenschaft ablegen muss (oder zu müssen scheint) und zudem noch dabei ist, sich selbst, seinen Kern und seine Grenzen zu erkunden. Es sind diffuse, mitunter auch ganz berechtigte Ängste von - ihre Körperlichkeit entdeckenden und Mitmenschen auf neue Weise nahekommenden - Heranwachsenden und es sind die Tabuisierungen der Sexualität, welche sich schon in den Täterfiguren des Slasher-Films personifiziert haben und nun in "It Follows" den sexuell aktiv gewordenen Figuren folgen: Man muss bloß mit einer infizierten Person schlafen, damit deren Plagegeist auf einen selbst übergeht und einen heimsucht, bis man ihn an einen weiteren Sexualpartner weiterreicht. Zu sehen ist diese in unterschiedlichen Gestalten daherkommende Bedrohung nur für aktuelle oder frühere Opfer, die sie meist nur daran erkennen können, dass sie von den meisten Mitmenschen unbemerkt auf sie zuschreitet (um sie zu töten - und sich im Falle des Erfolgs wieder auf das vorangegangene Opfer zu stürzen).
Dankenswerterweise wird die viele Fragen aufwerfende Prämisse nicht allzusehr mit Erklärungen und Hintergrundgeschichten konkretisiert, sondern bloß grob umrissen in den Raum geworfen (und zwar vom ansteckenden Beischlafpartner der Hauptfigur Jay, welcher sein Leiden an sie weiterreicht und sie - und das Publikum - anschließend über die Regeln des Heimgesuchtwerdens und des Überlebens aufklärt, sodass Jay als Hauptfigur gar nicht mehr groß zu grübeln braucht, was sie da eigentlich wieso & weshalb plagt): insofern geht der Film den Unglaubwürdigkeiten & Unsinnigkeiten seiner Prämisse weitestgehend aus dem Weg, um sich ganz auf seine unheimlich effektive Wucht und seinen Subtext zu verlassen.
Und wuchtig ist dieses unheimliche Horrorstück allemal... Wenn eine alte Frau im Nachthemd zielstrebig über den Schulhof auf ihr Opfer zuschlurft, wenn ein nackter Mann starr & starrend auf einem Hausdach steht, wenn ein hochgewachsener Typ mit blutunterlaufenen Augen in großen Schritten durch einen Hausflur auf sein Opfer zuschreitet oder eine nackte, hübsche Frau nachts durch die Wildnis geht, dann erzeugt "It Follows" ganz vorzüglich nacktes Entsetzen; Übergriffe & Attacken sind gar nicht nötig (und werden auch kaum verwendet), um zu verstören: es reicht die unbeirrbare, beharrliche Zielstrebigkeit, mit der sich das Unheil dem Opfer (nicht selten in gemächlich beobachtenden, langen Einstellungen) nähert - ganz besonders dann, wenn äußerliche Attribute des jeweils angenommenen Körpers bizarr & unpassend anmuten. Solche Äußerlichkeiten verweisen dann meist nochmals auf die dem Unheil zugrundeliegende Sexualität: ein Jüngling kommt mit krassen Augenringen daher (die einer erzkonservativen Erziehung zufolge der Onanie entspringen), einige Verfolger treten nackt auf, andere suchen einen in Nachthemd oder Schlafanzug heim - und beides scheint auch eine liebevolle Referenz an "Night of the Living Dead" (1968) zu sein! -, manche lassen ihre entblößten Frauenbrüste erkennen oder pissen durch ihr Höschen auf den Fußboden, derweil sie dem Objekt ihrer Heimsuchung entgegenwanken - der altersbedingte Verlust von Schönheit, abjekte Körperlichkeit oder ungeschützte, angreifbare Nacktheit laufen als Schreckgespenste der Schattenseite der Sexualität umher.[2]
Viele Gestalten der Heimsuchung sehen aber auch erschreckend unauffällig aus, um eine paranoide Stimmung zu bewirken, die gerade nach dem Finale zu voller Blüte gelangt: nachdem sich die heimgesuchte Jay nur kurzzeitig von ihrem Fluch befreien konnte - ihr vorgewarnter & freiwilliger Beischlafpartner lässt sich kurzerhand von einer milf im offenen Nachthemd attackieren und ent(lebens)saften, woraufhin Jay erneut die Angeschmierte ist! -, gelingt es ihr mithilfe ihres Freundeskreises, den nur für sie sichtbaren Angreifer zu morden, woraufhin jedoch kein Leichnam, sondern bloß eine riesige Blutlache zurückbleibt... und wenn sie dann mit ihrem Verehrer und zweiten Sexualpartner händchenhaltend dem Abspann entgegengeht, wandelt hinter ihnen unaufhörlich ein ausgesprochen plötzlich erscheinender Teenager hinterher: harmloser Passant oder erneute, gefährliche Heimsuchung? Das Publikum weiß es nicht - und bereits aufgrund dieses offenen Endes verbietet sich eigentlich jede Fortsetzung! - und Jay und ihr Freund Paul scheinen nicht einmal zu wissen, dass hinter ihnen jemand oder etwas wandelt; und dennoch scheint sich in ihrem Händchenhalten nicht bloß intime Innigkeit, sondern auch Schutzsuche und Hilflosigkeit auszudrücken: Mit ihrer kleinen Reifung in Richtung Erwachsenendasein gehen auch Unsicherheit & Misstrauen einher, geht eine kindliche Leichtigkeit verloren.
David Robert Mitchell, der mit "Kiss" (2001) einen Film über den ersten Kuss einer jungen Frau produziert hat und als Regisseur einen Kurzfilm namens "Virgin" (2002) - der sich laut IMDb-Inhaltsangabe über Jungfräulichkeit & wahre Liebe dreht - und die Coming of age-Tragikomödie "The Myth of the American Sleepover" (2010) gedreht hat, scheint mit "It Follows" seinem bisherigen Interessengebiet treu zu bleiben - und hat dennoch einen beziehungs- & anspielungsreichen Horrorfilm gedreht, der sich recht eigenständig von seinen Vorbildern absetzt und diese zugleich ohne postmodern-ironische Thematisierungen deutet.
7,5/10
1.) Beide Lesarten gehen letztlich nicht gänzlich auf - ob man nun davon ausgeht, dass es ein Film ist, in welchem erst die Keuschheit die Figuren überlebensfähig sein lässt (wobei auch Nebenfiguren sterben, die keine Jugendlichen mehr sind und über deren Sexualleben man nichts weiß), oder davon, dass es ein Film ist, der jugendliche Freiheit gegen restriktive Vergeltung ausspielt (wobei der Killer sich im Grunde gegen jedermann richtet, auch wenn er eine Vorliebe für junge Liebespaare hat, sodass der Eindruck der gezielten Vergeltung erst durch die Bedeutung, die das Drehbuch den Opfern zumisst, entsteht); aber es gibt deutliche Tendenzen in beide Richtungen, auch bei etlichen anderen Slasher-Filmen, ehe mit "Scream" eine ironische, parodistische Reflexion & Distanzierung einsetzte, die es bisweilen zu einer Umkehrung der Verhältnisse brachte, wie sie etwa in "Cherry Falls" (2000) zelebriert wird.
2.) Und das Altern scheint in diesem Film über die Schwellensituation von Teenagern eine große Rolle zu spielen: Jays ansteckender Sexualpartner gibt früh im Film an, dass er gerne wieder ein Kleinkind wäre, welches sein ganzes Leben noch vor sich hat, derweil Jays Freundeskreis in einer vergangenen Kultur zwischen Dostojewski, T. S. Eliot und 50er, 60er Jahre Monsterfilmen lebt - derweil "It Follows" selbst erstaunlich unzeitgemäß wirkt mit seinen wenigen Handys zwischen Röhrenmonitoren und Schreibmaschinen... wie in einer Vergangenheit beinhaltenden, Zukunft weitgehend abweisenden Blase lebt man in "It Follows" - was die Bewährungsprobe des ersten Mals als Initiationsritus umso beängstigender erscheinen lässt.