Hier haben wir mal wieder einen richtigen Miike-Film, wie er im Buche steht. Sieht man die ersten 90 Minuten, ist er als solcher zwar nicht zu erkennen, betrachtet man aber die volle Laufzeit, wird es einem sofort klar, wer hier seine Finger nur allzu viel im Spiel hatte.
Noch nie, nein, wirklich noch nicht einmal ansatzweise, hat es einen Film wie "Audition" gegeben, der gegen Ende so explodiert, sich so in eine völlig andere Richtung begibt, der zwei so verschiedene Erzählweisen besitzt. Die ersten eineinhalb Stunden sind wirklich kinoreif gefilmt, perfekt gespielt, mit wunderschönen, ja schon epischen Bildern und einer gewissen Melancholie, dass es teilweise schon eine Freude ist, den Liebenden Aoyama und Asami zuzusehen. Dieser Teil des Films würde eine fabelhafte, träumerische Romanze abgeben, denn auch die Story, die zwar sehr profitlich klingt, aber recht nett verläuft, ist die eines Liebesfilms.
Es geht um den Witwer Aoyama, dessen Frau vor 7 Jahren gestorben ist und der nun alleine mit seinem Sohn lebt. Aoyama ist Geschäftsmann, hat sehr viel zu tun, kümmert sich aber um seinen Sohn, wo er nur kann. Dennoch steht ihm das Hausmädchen Rie zur Seite, die die Arbeit übernimmt, die er selbst nicht schafft. Eines Abends macht Aoyamas Sohn ihm den Vorschlag, wie es denn mit einer weiteren Heirat stehe. Zuerst eher noch abgeneigt von der Idee, will der allein erziehende Vater zunehmendes aus eigenem Antrieb an heiraten. Er möchte aber gerne die für ihn perfekte Frau, am liebsten möchte er unter vielen diejenige auswählen, die am Geeignetesten ist. Diesen Vorschlag berichtet er auch einem Freund, einem TV-Produzent. Dieser hat die Idee, im Sinne einer fiktiven TV-Sendung Vorsprechungen zu machen, denen Aoyama beisitzt und schließlich unter den Kandidatinnen seine "neue" Frau auswählt. Schon als er die Unterlagen und Bewerbungen für das Casting daheim durchforstet, stößt er auf Asami, eine Frau Mitte 20. Nach den Vorsprechungen treffen sich Azaki und Aoyama immer öfters, eine Beziehung entwickelt sich. Als die beiden an einem Wochenende gemeinsam in den Urlaub fahren, möchte er Aoyama seiner Geliebten einen Antrag machen, doch über nachts ist diese spurlos verschwunden. Aoyama macht sich auf die Suche, und als er sie findet, beginnt der Horrortrip...
"Audition" zählt zweifelsohne zu den Filmen, denen man wirklich Zeit geben muss. Er taugt nicht als Partyfilm oder fürs Zwischendurch, man sollte sich voll konzentriert und am besten alleine vor den Fernseher sitzen und ihn sich ansehen. Und man sollte danach nicht unbedingt was Bestimmtes vorhaben, denn "Audition" zieht runter, er deprimiert und er gibt zu denken. So geht es auch mir, so fasziniert und angetan ich von den ersten 90 Minuten war, so entsetzlich ist der Rest. Er ist auch kein "Schundfilm", der nur gewalttätig sein möchte und außer auf blutige Metzeleien auf nichts Wert legt, nein, ganz im Gegenteil, alles ist handwerklich perfekt, sehr schön anzusehen.
Gegner des Films jedoch werden sowieso ihre liebe Müh mit diesem Meisterwerk haben, da eine Gesellschaftskritik sehr verborgen liegt, aber dennoch vorhanden bleibt. So klug und für ihn auch undiskriminierend der Vorschlag Aoyamas Freund ist, die Stellung der Frau wird auf jeden Fall in Frage gestellt. Das mag hier in Deutschland nicht dermaßen dramatisch sein, doch in Japan soll die Frau weitaus weniger Rechte haben als sie hier in Deutschland hat, wo Mann und Frau ja gleichberechtigt sind. Klar kann die Aussage auch anders eingefangen werden, wie es Mike dann letztendlich tut, doch er neigt eben zum Extrem und schont den Zuschauer keine Sekunde, was sein muss, muss eben sein. Selbst Leute wie ich, die die grobe Handlung von "Audition" schon vorher kennen, werden geschockt sein, mal ganz von den Leuten abgesehen, die nicht die leiseste Ahnung von der Story des Films haben.
Miike ist von diesem Standpunkt aus gesehen jeder Aufgabe gewachsen, er schafft es immer wieder, den Zuschauer, egal auf welche Weise, in seinen Bann zu ziehen, um ihn dann, so unglaublich es vorher auch erscheinen mochte, in eine ganz andere Welt zu stürzen, die trotzdem immer noch diese Welt, die unsere, ist. Gefallen wird der Film sicherlich nicht jedem, denn er ist keine Gewaltorgie wie seine anderen Werke wie "Dead or Alive", "Ichi the Killer" oder auch "Visitor Q", sondern "Audition" baut vielmehr zu Beginn, ja fast bis zum Ende, etwas auf, was sehr positiv, sehr angenehm und vor allem sehr schön scheint, um dann doch noch den Horrortrip zu vollziehen, denn eigentlich jeder seiner Filme beinhaltet.
Fazit: Wunderschöne Bilder, brillante Schauspieler und eine stoische Erzählweise machen "Audition" zur 90-Minuten-Romanze, bei der es einem warm ums Herz werden könnte und die dann durch kalte, abstoßende Bilder und Rückblenden in Asamis Vergangenheit im brutalen wie abstoßenden Finale seinen Höhepunkt findet. Ob Aoyama überlebt oder nicht bleibt ungewiss, aber ein Teil von ihm ist sowieso gestorben. Nicht jedermanns Geschmack, für Fans ein Muss, alle anderen Finger weg. 9,5/10 Punkte