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Mit „Audition“ legte Takashi Miike einen der besten Horrorfilme vor, die mir je untergekommen sind. Ein Horrorfilm, der trotz seinem japanischen Ursprung völlig anders funktioniert als all die „Ringu“-Mitläufer, einfach deshalb, weil in ihm nichts Übernatürliches zu finden ist. Der trotz seinem berüchtigten Regisseur nicht in Blutfontänen und Eingeweiden ertrinkt. Und der vor allem etwas tut, was gerade der amerikanischen Fließbandhorrorware ein völlig unbekannter Begriff zu sein scheint. Er lässt sich sehr, sehr viel Zeit.
Man könnte ja zu Beginn fast meinen, es mit einer Romanze zu tun zu haben. Aoyama, gespielt von Ryo Ishibashi, wird nach einigen Jahren des Witwendaseins sowohl von seinem Sohn als auch von einem Freund dazu überredet, wieder zu heiraten. Dafür initiieren sie ein gefälschtes Casting, bei dem Aoyama sich unter den Frauen seine zukünftige Lebensgefährtin aussuchen soll. Bis hierhin wird Aoyama noch als netter, mittelalter Single dargestellt, auch wenn dieses gefälschte Casting eine ziemlich chauvinistische Schweinerei ist, er ist einfach so sympathisch, dass man ihm seinen Erfolg wünscht, immerhin ist er der Sache gegenüber ja selbst noch skeptisch eingestellt. Er ist jedenfalls völlig angetan von der geheimnisvollen Asami, die zurückhaltend, schüchtern und elegant genau die Eigenschaften in sich vereint, die Aoyama in einer Frau sucht, schließlich soll er nach wie vor der Mann im Haus bleiben.
Wer aber nach diesem Casting noch immer an eine gewöhnliche Romanze und einen angenehmen Ausgang des Films glaubt, ist entweder unachtsam oder unglaublich naiv. Denn die skeptischen Äußerungen seines besten Freundes sollte man in Filmen sowieso nicht missachten und spätestens der mysteriöse Leinensack in Asamis Wohnung lässt dem Zuschauer die Haare zu Berge stehen.
Ja, genau das ist die Schlüsselszene. Asami, die regungslos neben ihrem klingelnden Telefon und jenem zuckenden Leinensack sitzt. Von hier an schleicht sich allmählich das blanke Grauen in den Film ein, allerdings ohne dem Zuschauer sofort ins Gesicht zu springen. Die Szene lässt einen nicht mehr los, was fortan für eine unbehagliche Grundstimmung sorgt, alle optimistischen Hoffnungen sind mit einem Mal wie weggeblasen, da können auch all die wunderschönen, fast schon kitschigen Landschaftsaufnahmen nicht mehr helfen.
Aoyama hingegen ist natürlich immer noch guter Dinge, wähnt sich beim gemeinsamen Ausflug ans Meer quasi schon in den Prä-Hochzeits-Flitterwochen, ist begeistert ohne Ende von seiner unterwürfigen neuen Bekanntschaft, die ja so glücklich ist, einen so tollen Mann an ihrer Seite zu haben. Dann das böse, weil alleinige Erwachen, von Asami fehlt jede Spur. Auf der Suche nach ihr stößt Aoyama erstmals auf einige Ungereimtheiten, die auch ihn endlich stutzig machen. Was ihm nun allerdings auch nichts mehr nützt.
Denn nach anderthalb Stunden des schleichenden Horrors, des stetigen Unbehagens und der unangenehmen Vorahnungen, folgt die ultimative Alptraumsequenz, in der Aoyamas Psyche alle gesammelten Puzzleteile, alle Details über Asamis Vergangenheit kombiniert mit seinen eigenen Ahnungen zu einem grauenhaften Ganzen zusammenfügt. In ihr manifestiert sich auch sein Frauenbild, wenn eine orale Befriedigung erst von Asami, dann von seiner von ihm stets abgewiesenen Sekretärin und schließlich von der Freundin seines Sohnes ausgehen soll. Die totale Beliebigkeit des Geschlechtspartners, eine Sicht der Dinge, für die er durch Asami bald teuer bezahlen werden muss.
Und ja, wir bekommen zu sehen, was in dem Leinensack steckt. Und ja, es ist erschreckend. Und ja, es wird von Asami gefüttert (eine Szene fernab jeglicher Beschreibung). Doch wer glaubt, es gehe nicht mehr schlimmer, ist ganz gewaltig auf dem Holzweg. Denn nach dieser grandios montierten, absolut wirren, verstörenden Szenenfolge, die sich letztlich nur für den Bruchteil einer Sekunde in Aoyamas Kopf abgespielt hat, muss er dem wahren, nicht mehr psychischen, sondern vollkommen physischen Horror ins Auge blicken, der sich nun in seinem Wohnzimmer abspielt.
Dieses Finale ist dann noch mal ein Meisterwerk für sich, wenn auch ein äußerst schmerzhaftes. Denn durch die quälend kompromisslose Echtzeitinszenierung und die unangenehme Ruhe der Kamera überträgt sich Aoyamas Schmerz unmittelbar auf den Zuschauer, obwohl letztlich gar nicht so viel so explizit gezeigt wird. Doch allein die eindringliche Darstellung Eihi Shiinas, die hier Asami nicht mehr einfach nur spielt, sondern schlichtweg ist, sorgt für eine Gänsehaut. Ganz zu schweigen von den abstoßenden Toneffekten. Es ist eine einzige Tortur, bar jeder augenzwinkernden Ironie. Einen kurzen Moment der Erleichterung gönnt Miike seinem Publikum aber noch mal, doch entpuppt sich diese Erleichterung schnell als bloßes Wunschdenken, was die gesehenen Gräuel noch mal ganz fett unterstreicht. Und das abscheuliche Bild, das sich am Ende bietet, ist nichts anderes als das Ergebnis, der Preis für Aoyamas Chauvinismus.
Doch auch wenn die Kritik am japanischen Frauenbild teilweise überdeutlich wird, lehnt Miike eine Interpretation in dieser Hinsicht ab. Was er schaffen wollte, war ein Film, der den Zuschauer verstört und nicht mehr so schnell loslässt. Mit der Hilfe von Neuentdeckung Eihi Shiina, seinem Stammkameramann Hideo Yamamoto und einem abgründigen Skript von Daisuke Tengan ist ihm das auch mehr als gelungen. Horror, was schließlich übersetzt nichts Anderes heißt als Abscheu, Grauen und Schrecken, in seiner reinsten Form, beängstigend realistisch und ganz ohne Geister und Flüche.

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