Ein Film über einen grotesken Betrugsfall der 50er Jahre, ohne Ausflüge in fremde Welten und über die Kunst im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit - durch Warhol zum Beispiel: das klingt nicht unbedingt nach dem, was man von Tim Burton erwartet; Burton steht für romantische oder vielmehr schwarzromantische Fantasie, für postmodern gehuldigten gothic horror, für Zitationen des phantastischen Films, für surreale oder expressionistische - in jedem Fall aber ziemlich manierierte - Ausstattungen usw.
"Big Eyes" basiert [Achtung: Spoiler!] auf einem Drehbuch von Scott Alexander und Larry Karaszewski, die gemeinsam schon die von Milos Forman umgesetzten Biopics "The People vs. Larry Flynt" (1996) & "Man on the Moon" (1999), sowie das von Tim Burton umgesetzte Biopic "Ed Wood" (1994) aufs Papier gebracht hatten. "Ed Wood" kam Burtons Vorlieben damals in jeder Hinsicht entgegen und war - trotz Howard Shore-Score anstelle von Danny Elfman-Klängen! - der perfekte Burton-Film. "Big Eyes" ist in seinen visuellen Motiven nur sehr selten burtonesk, aber an der Geschichte dürfte Burton ziemlich wahrscheinlich ein großes persönliches Interesse gehabt haben.
Der Film erzählt die wahre Geschichte von Margaret Keane, die mit Gemälden großäugiger Mädchen populär geworden ist, wobei jedoch zunächst ihr geschäftstüchtiger Ehemann Walter den Ruhm einheimste und sich als Maler dieser Bilder ausgab: Seine Selbstinszenierung als Künstler, sein Gespür fürs schnelle Geld & für Publicity und seine vorgeschobenen Gefühle für die Kinder der ganzen Welt haben diesen schnell hingemalten kitschy camp enorm begehrt werden lassen; er hat Poster dieser Gemälde und Postkartenversionen dieser Poster an den Mann (oder die Frau) gebracht, hohe Preise für die Originale erwirken können und seine Frau und die eigentliche Erzeugerin dieser Werke jedoch derart sträflich behandelt, dass diese sich nach Jahren zur Scheidung und zur Klage vor Gericht genötigt sah. Als Margaret vor den Augen des Richters und der Geschworenen ein Originalgemälde anfertigt und Walter wegen eines angeblichen körperlichen Leidens nur eine leere Leinwand 'anzufertigen' weiß, fliegt der Schwindel schließlich auf.
Alexanders und Karaszewskis Vorliebe für exzentrische Figuren, die ihren schrulligen Vorstellungen unbeirrbar folgen, findet in der auf kulleräugige Mädchen fixierten Künstlerin und dem selbstgefälligen, ruhmsüchtigen Schwindler den perfekten Stoff; aber was mag Burton gereizt haben? Oberflächlich gesehen mag es der sehr persönliche Strich der Künstlerin sein, der wie auch bei Burton (der ebenfalls eine Vorliebe für große Augen bei seinen Zeichen- & Puppentrick-Werken zu haben scheint) ausgesprochen markant ist und sich von seinem Umfeld recht eigenwillig abhebt. Und natürlich der Umstand, dass Burton selbst begeisterter Keane-Sammler & -Liebhaber ist - was man schon 1990 in "Edward Scissorhands" erahnen konnte - und ihr in den 1990er Jahren auch einige Auftragsarbeiten zugetragen haben soll.
Wichtiger dürfte aber die Kluft sein, die zwischen sehr persönlich motiviertem Schöpfertum und einer lukrativen Marke liegt - und die Kluft, die zwischen Kritiker-geprüfter Qualität und dem breitenwirksamen Erfolg liegen kann: Margaret Keane lässt unter der Fuchtel ihres Mannes ihren ohnehin manieristischen Stil in die optimal vermarktbare, pausenlose Wiederholung der allseits beliebten Versatzstücke übergehen, Walter kurbelt fleißig seine frühe Merchandising-Trommel, der so abgehobene, wie autoritäre, seriöse und charismatische Kritiker findet die Machwerke scheußlich, der Masse ist das egal... Tim Burton selbst, der in den frühen 80er Jahren in den Disney-Studios arbeitete und dort nur mit Mühe seine kreative (und für Disney etwas zu morbide) Ader im rigiden Studiosystem entfalten konnte, was ihm vor allem in "Vincent" (1982), aber auch in "Frankenweenie" (1984) ausgesprochen gut gelungen war, ist im Laufe der Zeit zu einer Marke geworden, die - gerade in den melancholiebegeisterten Emo- und Gothic-Szenen - erbarmungslos vermarktet worden ist. Als Grenzgänger zwischen Mainstream- und Autorenfilm hat Burton sich zwar durchaus in die Filmgeschichte einschreiben können, wird aber von konservativeren Autorenfilm-Verfechtern eher belächelt, was seinen häufigen Erfolg an den Kinokassen freilich kaum schmälert: In der jüngsten Zeit hat er dann aber doch auch bei Fans etwas von seinem Glanz einbüßen müssen; die Kombination Burton & Depp ist schon lange kein Garant mehr für eigenwillige Klassiker des phantastischen Films, "Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street" (2007) dürfte sich zwar noch in die Reihe von Burtons rundum guten Filmen einreihen, wenngleich der CGI-Gebrauch seiner Vorliebe für (und seiner Huldigung an) das klassische Kino zuwiderläuft, aber "Dark Shadows" (2012) war einfach bloß ziemlich nette, nostalgische Unterhaltung, während "Alice in Wonderland" (2010) nicht einmal mehr diese zu bieten vermochte - an den Kinokassen dafür jedoch hervorragend ankam. Von "Beetlejuice" (1988) über "Batman" (1989), "Edward Scissorhands" und "Batman Returns" (1992) bis "Ed Wood" bewies Burton bei Kritik und Publikum gleichermaßen eine große Treffsicherheit, die ab "Mars Attacks" (1996) über "Planet of the Apes" (2001), "Alice in Wonderland" oder "Dark Shadows" immer wieder einmal ein wenig ins Schwanken geriet, sein geplantes Superman-Pojekt scheiterte Ende der 90er Jahre ebenso, wie ein Robert L. Ripley-Biopic, das er um 2006 nach einem Drehbuch von Alexander und Karaszewski in Erwägung gezogen hatte. Als Burton, der sich knapp 25 Jahre Jahre zuvor nur mit Mühe gegen Disneys Vorgaben behaupten konnte, nach "Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street" einen Vertrag über zwei Filme mit (den offener geworden) Disney-Studios abschloss und mit "Alice in Wonderland" dann eine von Zugeständnissen nur so wimmelnde und Lewis Carrolls Intentionen meilenweit verfehlende FX-Show zelebrierte, bzw. mit dem ziemlich Burton-typischen "Frankenweenie" (2012) 'bloß' eine (recht gelungene) Umsetzung jenes Stoffes bewirkte, der unter Disneys Aufsicht 1984 noch etwas mager ausgefallen musste, war das schließlich eine etwas befremdliche Allianz, die recht deutlich erkennen ließ, dass Burton längst seine zur Mode geratenen Merkmale an die Selbstkopie, an die Zugeständnisse und Kompromisse, an die grotesken Merchandising-Gepflogenheit der Disney-Studios anzupassen bereit war: Der kommerzielle Aspekt in Burtons Kunst, die Berechnung hinter dem Ausverkauf der einst ziemlich eigenwilligen, ungewöhnlichen Ideen trat wohl kaum jemals deutlicher zutage als zu diesem Zeitpunkt.
Da verwundert es nicht, dass Burton nun einen Film nachschiebt, der mit Warhols Urteil beginnt, dass Keanes unter Kitschverdacht stehende Kunst gut gewesen sein müsse, weil sie so viele Menschen erreicht habe, der über Campbells-Suppendosen bis hin zu billigen Reproduktionen gefragter Kunstwerke immer wieder auf Warhols Pop Art-Universum Bezug nimmt und um eine Frau kreist, die sich als Künstlerin erst einmal gegen ihren übergroßen, besitzergreifenden, schmierigen Ehemann behaupten muss, die sich mit ihren kreativen Ideen der Nachfrage des Marktes beugt und geradezu Auftragsarbeiten ihrer altbekannten Nummer abliefert, die ihrer Kunst mit viel Herzblut verbunden ist, gleichwohl diese durch die Werbestrategien ihres Mannes einem Ausverkauf unterworfen wird.
Und dabei geht Burton durchaus neue Wege, besetzt die Hauptrollen mit Waltz und Adams, die beide nicht dem Burton-Kosmos angehören, beschränkt sich auf eine relativ natürliche Ausstattung, die nur in der Supermarkt-Sequenz recht burtonesk ausfällt, lässt einen mechanischen Vorgang während des Vorspanns erstmals in einem realistischen Licht erscheinen (anstatt die Druckerpressen jenen Fließ- und Förderbändern anzupassen, die er regelmäßig in phantasievoller Ausschmückung dargeboten hat) und hält sich mit überspitzt dargestellten Charakteren ein wenig zurück, gleichwohl etwa ein italienischer Kunst-Konsument oder der von Terence Stamp mit Bravour verkörperte Times-Kritiker durchaus eine Nähe zu üblichen Burton-Karikaturen aufweisen. Dass Burton diesen Vertreter der Hochkultur zwar hart und unnachgiebig erscheinen lässt, ihm zugleich aber sehr viel Charisma & Würde zubilligt, verleiht dem ganzen Film letztlich einen sehr versöhnlichen Anstrich: vermeintlich große, erhabene Kunst und vermeintlich geschmäcklerischer Kitsch werden nicht gegeneinander ausgespielt, aber auf die Daseinsberechtigung solchen Kitsches wird nachdrücklich gepocht.
Das macht aus "Big Eyes" eine liebenswürdige Geschichte, die ein interessantes Themengebiet umkreist und dabei ausgesprochen selbstreflexiv anmutet. Burton-Fans wird dieser bloß recht milde Burton-Touch vermutlich zuwenig bieten, Burton-Gegnern dürfte er noch immer störend auffallen: Diese Behandlung von Burtons eigenem Dilemma zwischen Kreativität und Kommerz, diese Aufarbeitung des eigenen Aufstiegs aus dem Schatten ins Rampenlicht ist weder ein totaler Ausbruch aus vielfach durchgespielten Formen (und scheint, wie "Miss Peregrine's Home for Peculiar Children" (2016) andeutet, wahrlich keine Kehrtwende zu markieren), noch eine Konzentration auf die bezeichnendsten Charakteristika; und dass dieses - dem Inhalt nach - sehr persönliche Werk in einer Form daherkommt, in der die einst eigenwilligen, nunmehr ausverkauften kreativen Ideen bloß ein wenig hinter ganz konventionellen Mainstream-Standards zurücktreten, enttäuscht dann doch und lässt gerade dieses recht persönliche Werk wie eine (durchaus sehr routinierte) Auftragsarbeit wirken.
7/10