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Nachdem Regisseur Peter Weir mit seinen australischen Filmen Weltruhm erlangt hatte, rief Hollywood und übertrug ihm „Der einzige Zeuge“, eine Mischung aus Krimi und Drama über einen Großstadtcop bei den Amish.
Anders als man vielleicht erwarten könnte, beginnt Weir seinen Film auch bei der strengreligiösen Glaubensgemeinschaft, die technische Fortschritte als Eitelkeit sowie Mangel an Bescheidenheit und Gottesfurcht ablehnt. Zu dieser Gemeinschaft gehört auch Rachel Lapp (Kelly McGillis), die gerade ihren Mann verloren hat und mit ihrem Sohn Samuel (Lukas Haas) bei ihrem Vater Eli (Jan Rubes) wohnt. Ähnlich wie Weir seine ersten Erfahrungen im US-Filmgeschäft macht, so geht es auch in „Der einzige Zeuge“ um ihre Erfahrungen mit der fremden Welt der amerikanischen Großstädte.
Eigentlich sind Rachel und Samuel nur wegen eines Familienbesuchs auf der Durchreise, als Samuel zufällig auf der Bahnhofstoilette den Mord an einem Cop beobachtet. Mit dem Fall betraut man John Book (Harrison Ford), den der Film allerdings auch mit den Augen der Amish beäugt: Anstatt dass der Cop als cooler Held erscheint, kommt er immer etwas rüpelig rüber, gerade das generische Aufmischen eines Verdächtigen inszeniert Weir mit mehr Abstand als diverse Kollegen. Es kristallisieren sich schnell die Unterschiede heraus, wenn Book die beiden Amish gegen deren Willen bei seiner Schwester einquartiert oder im Imbiss erstaunt ist, dass diese vor dem Essen beten.

Als Samuel den Polizisten McFee (Danny Glover) als einen der Täter identifiziert und Book dies seinem Chef meldet, muss er feststellen, dass der mit in der Sache steckt: Book entkommt nur knapp einem Mordanschlag. Er bringt Mutter und Sohn darauf zurück in ihre Gemeinde, damit sie dort sicher sind, muss aber in Folge einer Schussverletzung selbst bei den Amish bleiben…
Womit sich „Der einzige Zeuge“ zu einem ungewöhnlichen Copfilm der 1980er entwickelt, denn weder die polizeilichen Strukturen werden untersucht (trotz Korruption und zwielichtiger Geschäfte in den Reihen der Gesetzeshüter) noch gibt sich Weir der damals sehr populären Cop-Action hin. Die wenigen Konfrontationen des Films, nämlich den Anschlag auf Book und den Showdown, inszeniert er nicht als beiläufige Gefechte, sondern realistische, einschneidende Erfahrungen, in denen zwar die Waffen sprechen, aber viel mehr Bauernschläue, Taktieren und Abwarten gefragt sind. Gleichzeitig sind dies Grenzerfahrungen, gerade für die Amish, was Weir unterstreicht, wobei er diese nicht als weltfremd vorführen will, sondern eher den Mut herausstellt, mit dem sich die Gemeinde diesen Tatsachen stellt, obwohl sie Gewalt in jeder Form ablehnt.
So geht es auch in erster Linie um Books Integration in eine ihm fremde Umwelt, in der er nicht als souverän oder fortschrittlich, sondern in erster Linie als anders dargestellt wird. Mit Respekt schildert Weir diesen sehr leisen Clash der Kulturen, bei dem natürlich die Akzeptanz beider Seiten am Ende steht: Book erkauft sich nicht nur als Zimmermann (eine Parallele zu Fords realer Ausbildung) den Respekt der Amish, während er auch diese zu schätzen lernt. Und doch: Am Ende muss Book erkennen, dass er eigentlich nicht in diese Welt gehört, wobei der Schluss offen bleibt, die Frage erlaubt ob Book noch zurückkehren könnte oder Rachel ihm unter Umständen in die Großstadt folgen würde.

Denn neben einem Copkrimi und einem Culture-Clash-Drama ist „Der einzige Zeuge“ auch ein Liebesfilm. Ein teilweise vielleicht etwas formelhafter Liebesfilm, wenn der lockere Book mit gebührendem Respekt das Herz von Rachel erobert, die wiederum unter den Amish noch eine der Weltoffeneren ist, wenn Daniel Hochleitner (Alexander Godunov) interessiert, aber auch chancenloser Rivale um Rachels Gunst auftritt. Doch Weir inszeniert diese Formeln mit dem richtigen Einfühlungsvermögen, betont den gegenseitigen Respekt der Rivalen voreinander und gibt in Rachels Dilemma keiner Seite, weder ihren Gefühlen für Book noch ihrer Verbundenheit zur familiären Amish-Tradition, eine Konnotation als richtig oder falsch, sondern zeigt wie sich zwei Menschen näherkommen, die streng genommen nicht zusammen sein dürfen, weshalb das erwähnte Ende auch das einzig folgerichtige ist.
Dass Harrison Ford sich sehr zurückhält, was sein Abenteurer- und Draufgängerimage angeht bzw. dieses auf den eher kleinen Rahmen des Films umdeutet, ist ein Gewinn für den Film, zumal er mit Kelly McGillis eine ebenbürtige Spielpartnerin findet. Lukas Haas überzeugt bereits im Kindesalter, während Danny Glover und Josef Summer als korrupte Cops in erster Linie markige Präsenz zeigen müssen, dies aber stimmig tun. Alexander Godunov ist okay als Books Rivale, in einer kleinen Nebenrolle tritt der damals noch junge Viggo Mortensen als jüngerer Hochleitner-Bruder auf.

Manche Elemente in „Der einzige Zeuge“ mögen durchaus formelhaft sein, aber Peter Weir inszeniert diese ungewöhnliche Mischung aus Liebesfilm, Copkrimi und Culture-Clash-Drama als einfühlsame Studie über Menschen und verschiedene Lebensarten, die sich eindeutige Wertungen verkneift und trotz aller Langsamkeit durchweg spannend ist.

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