Nicht immer nur generische Nonsens-Action, sondern mal wieder was mit Köpfchen, Eingebung und künstlerischem Wert, das war wohl die hochtrabende Planung für EuropaCorp und deren Chef Luc Besson, der bei „Lucy“ die Zügel höchstselbst in die Hand nahm.
Lucy ist nicht nur der Name der ersten, noch sehr affenartigen Frau der Erde, sondern auch der einen US-Studentin (Scarlett Johansson) in Taiwan, die von ihrem Freund, den sie vor einer Woche beim Saufen kennenlernte, in ein Hotel geschickt wird, einen Koffer für den mysteriösen Mr. Jang (Choi Min-sik) abzugeben. Der lässt Richard abknallen und zwingt Lucy den Koffer zu öffnen, nachdem er aus dem Hotelzimmer getreten ist, in dem er offensichtlich mehrere Leute massakriert hat. Warum er das alles tut (den Koffer hätte er ja eh erhalten), wer die Leute waren und andere Details interessieren Luc Besson als unheilige Dreifaltigkeit von Regisseur, Drehbuchautor und Produzent in Personalunion natürlich überhaupt nicht.
In dem Koffer befindet sich eine neue Wunderdroge, die Lucy prompt in die Heimat schmuggeln soll, nachdem man sie betäubt und ihr ein Paket in den Bauch eingenäht hat. Zusammen mit drei anderen unfreiwilligen Schmugglern erfährt sie, dass Zuwiderhandlungen mit der Exekution ihrer gesamten Familie bestraft werden. Anstatt die Eingeschüchterte direkt zum Flughafen zu bringen stecken die Übelwichte sie unsinnigerweise lieber in einen ihrer Kerker, wo ein übergriffiger Wächter ihr in den Bauch tritt (es ist ja nicht so, als ob sie dort die wichtigste Fracht seines Bosses transportieren würde), worauf der Beutel auch prompt platzt.
Anstelle des zu erwartenden Exitus tritt nach einer unfreiwillig komischen Transformationssequenz eine Veränderung bei Lucy ein: Sie kann mehr als die 10% Hirnkapazität, die jeder Mensch nutzt, anwenden und hat dadurch übermenschliche Fähigkeiten…
Dass die Grundthese des Films Bullshit ist, den Wissenschaftler widerlegt haben – geschenkt. Dass Lucys neue Fähigkeiten Telekinese, Frequenzbeeinflussung und derartiges beinhalten – auch egal. Aber dass Bessons Drehbuch seinen Background mit massiv pseudowissenschaftlichem Gesabbel authentifizieren möchte, gleichzeitig aber keine einzige Figur logisch erklären kann, das ist eine Unverschämtheit. Der Film versucht verzweifelt zu vermitteln, dass Lucy nach der Transformation die Menschen egal sind (wie etwa bei Dr. Manhattan in „Watchmen“), schafft dies aber nie überzeugend und torpediert die Botschaft auch immer wieder: Da nietet einen Patienten im OP um, da dieser eh nicht zu retten gewesen wäre, führt danach aber direkt ein weinerlich sentimentales Telefongespräch mit ihrer Mutter. Ganz kurios wird es im Finale: Lucy befiehlt einem Polizisten ein Gebäude gegen die verbliebenen Gangster zu sichern, das Gefecht hat nicht nur einige Tote zufolge, sondern gefährdet auch die Umsetzung von Lucys Plänen – warum erledigt sie die Übelwichte nicht kurz mit ihren Superfähigkeiten, was sie ja in Sekundenbruchteilen tun könnte.
So muss jede Gefahrensituation in „Lucy“ künstlich und bar jeder Logik konstruiert werden, da die Heldin bereits nach der Exposition quasi unbesiegbar ist, was ihren Kampf natürlich sterbenslangweilig macht. So fallen auch die Actionszenen, in denen Lucy ihre Gegner anfangs noch unspektakulär niederschießt, später einfach mit der Kraft ihrer Gedanken einschläfert oder schweben lässt, auch entsprechend schnarchig aus; einzige und allein eine rasante (aber auch CGI-unterstützte) Autofahrt durch den Pariser (Gegen-)Verkehr liefert da kurzfristig echte Schauwerte. Doch man sorgt sich dabei nie um die Heldin, nicht nur aufgrund ihres Superwesenstatus, sondern weil das Drehbuch sie eindimensional lässt: Man erfährt ein paar belanglose Fakten über Lucy, doch ein Charakter mit Emotionen, Wünschen oder Background wird nie aus ihr, weshalb dann auch ein später etablierter Wettlauf gegen die Zeit (die Droge löst Lucy langsam auf) ebenfalls vollkommen egal ist.
Doch als wäre all diese Belanglosigkeit nicht schon schlimm genug, versucht sich Bessons zwischendurch nach als großer Künstler, was dann allerdings nur zu unfreiwilliger Komik führt. Wenn reingeschnittene Naturaufnahmen einen auf Arthouse machen, aber nur auf Simpelmetaphorik hinauslaufen, etwa wenn Lucy anfangs von Jangs Schergen festgenommen wird und Besson parallel dazu Szenen montiert, in denen ein Gepard eine Gazelle reißt, wenn sich später Johansson-Lucy und die grunzende Affenfrau-Lucy gegenüberstehen und wenn die visuellen Gimmicks einfach banale Spielerei sind, dann versagt Bessons Kunstanspruch komplett und löst bestenfalls Lachanfälle aus. Noch dazu sind die Bilder selten wirklich schön oder ästhetisch ansprechend, sondern könnten auch in der Montage von gängigen Werbeclips vorkommen. Manchmal würden sich diese assoziativen Schnittfolgen im Rahmen eines echten Arthouse-Films oder einer Installation vielleicht besser machen, aber Besson besteht auf seinem generischen Rahmen, den er allerdings auch nie zu füllen weiß.
Schauspielführung liegt im anscheinend auch nicht mehr, denn Scarlett Johansson in der Hauptrolle liefert eine ihrer schwächsten Darbietungen ab, die zwischen übertriebenem Gewinsel (vor der Transformation) und aufgesetzter Emotionslosigkeit (nach der Transformation) schwankt. Noch schlimmer hat es allerdings Morgan Freeman getroffen, der als Hirnforscher Professor Norman nur holprig in den Filmfluss integrierte Erklärbärszenen bestreiten darf und vollkommen verschenkt ist. Allenfalls Choi Min-sik hat als Schurke ein paar ganz brauchbare Szenen. Andere Darsteller, etwa Analeigh Tipton als Mitbewohnerin oder Amr Waked als nutzloses Polizistenhelferlein, kommen dagegen nie wirklich im Film an.
Selten haben Anspruch und Realität so weit auseinander geklafft wie bei „Lucy“: Künstlerisch wertvoll, pseudowissenschaftlich und neu soll Bessons Film sein, doch die Bildsprache ist unbeholfen, über die Ausstaffierung der Gaga-Prämisse wird jede innere Filmlogik vergessen und Motive von „Lucy“ haben „Scanners“, „Ohne Limit“ sowie diverse Superheldengeschichte vorher deutlich besser verhandelt – der hier hingegen ist bloß hirnverbrannter Bullshit und kackenlangweilig noch dazu.