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Außergewöhnliche Bühnenprogramme, technische Spielereien mit der Fernsehübertragung, Publikumsbeleidigungen, verschiedene Persönlichkeiten - Andy Kaufman war möglicherweise der radikalste TV-Star und Performance-Künstler im US-Showbusiness der 70er und 80er. Regisseur Milos Forman errichtet ihm mit seinem grandiosen Film „Der Mondmann" ein Denkmal - und gibt Jim Carey die Möglichkeit zur vielleicht besten Darstellung seiner ganzen Karriere.

Die künstlerische Radikalität, mit der Kaufman stets die Erwartungshaltungen des Publikums unterlaufen hat, wird von Forman schon mit der ersten Sekunde übernommen: Carey als Kaufman erklärt, dass er den Film blöd findet und gekürzt hat und dieser deshalb jetzt schon zu Ende ist - gefolgt von einem recht langen Abspannsbeginn und einer erstaunlich langen Schwarzblende. So viel leere Screentime direkt zum Beginn eines zweistündigen Hollywoodfilms dürfte ebenso ein Unikum sein wie einige von Kaufmans Auftritten, die teilweise auch später im Film zu sehen sind - etwa ein Auftritt an einem College, bei dem er den gesamten Abend über lediglich eine Live-Lesung aus F. Scott Fitzgeralds „Der große Gatsby" vornimmt.

Jim Carey gibt den exzentrischen und im Durchziehen seiner krassen Figuren unfassbar konsequenten Ausnahmekünstler mit einer schauspielerischen Intensität, die in seiner sonstigen Filmographie weitestgehend ihresgleichen sucht. Zwar gibt ihm auch diese schrille Figur reichlich Gelegenheit für Grimassen und Albernheiten, allerdings stehen die allesamt unter dem Stern der biographischen Radikalität Kaufmans. So kann Carey innerhalb von Sekunden zwischen völlig konträren Persönlichkeitszuständen wechseln, was ihm neben allerhand skurrilen Szenen auch so manchen nachdenklichen Einblick in eine Seele erlaubt, die selbst nicht so recht zu wissen scheint, wer sie eigentlich ist. Und für Gänsehaut kann eine emotional eindringliche Szene gegen Schluss sorgen, in der dieser Mensch, der sein ganzes Leben lang andere Menschen zum Narren gehalten hat, in der einzigen Sache, an die er jemals ohne jede Ironie geglaubt hat, selbst zum Gefoppten wird. Wie Carey diesen Moment rein mimisch verarbeitet, ist großes Kino.

Überhaupt schafft es Forman einmal mehr mit seinem Film, ein mitreißendes Biopic jenseits üblicher Hollywood-Konventionen zu gestalten. In hohem erzählerischem Tempo führt er durch die wichtigsten Stationen von Kaufmans Karriere, zeigt die krassen Irritationen, denen er seine gesamte Umgebung permanent aussetzt, und lässt immer wieder kurze Blicke hinter diese Doppelt- und Dreifachkulissen des Ausnahmekünstlers zu. So wird „Der Mondmann" zum grandios unterhaltsamen Fallbeispiel über die Frage, wie weit Kunst gehen darf und in welchem Verhältnis der Künstler zu seinem Publikum stehen darf und sollte - aus Sicht von Künstlern oder aus Sicht der Produzenten und Studios. Wie hier immer wieder sowohl Programmverantwortliche als auch Publikum über ihre Grenzen hinaus getrieben werden (besonders einprägsam in einer Szene, in der Kaufman dem Publikum anbietet, für einen Dollar seine Zyste im Nacken berühren zu dürfen, und das tatsächlich eine Frau macht), ist ganz starkes Kino und ein fesselndes Plädoyer für die Freiheit und unbegrenzte Fantasie echter Kunst.

Dabei werden auch die Schattenseiten solcher Radikalität nicht ausgespart - etwa das teils schwierige Verhältnis zu Kaufmans Frau, die bei ihm nie ganz sicher sein kann, wie echt seine Emotionen tatsächlich sind, oder der Unglaube bezüglich seiner Krankheit in seinem ganzen Umfeld, nachdem er jahrelang alle an der Nase herumgeführt hat. Zugegeben, die Charakterisierung hätte hier vielleicht noch ein wenig defiziler und tiefgründiger ausfallen können, und auch das Aussparen von biographischen Punkten vor dem Beginn seiner Karriere verhindert eine eindringlichere Beschäftigung mit dem kaum greifbaren Menschen hinter der Künstlermaske. Aber andererseits ist diese grundlegend schwere Fassbarkeit genau das, was Andy Kaufman im Kern ausmachte.

Mit „Der Mondmann" hat Milos Forman einen weiteren ebenso hochunterhaltsamen wie enorm klugen Beitrag zum Künstlertum geliefert, mit dem er seinem Hauptdarsteller Jim Carey eine der komplexesten Rollen seiner Karriere bietet und dank starker, dynamischer Kameraarbeit und eines furiosen Soundtracks, der unter anderem von R.E.M. bestritten wird, für zwei Stunden durchgehend fesselt. Ein geniales Werk eines genialen Künstlers über einen genialen Künstler - genial!

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