Als ich die Blu-ray in den Händen hielt,
warf sie erst mal einige Fragen auf: Was ist das denn? Es war für den Oscar nominiert? Aus Argentien? Die Verpackung ließ verheißungsvoll
verlauten, es handele sich um einen "unbändigen Spaß" und einen "wilden Ritt". Also gut.
Wild Tales (OT: Relatos salvajes,
was übersetzt überraschenderweise tatsächlich "Wilde Geschichten"
bedeutet) ist eine schwarzhumorige Drama-Komödie aus dem Jahr 2014, die
sich in sechs voneinander unabhängigen Episoden mit menschlichem
Kontrollverlust, Rachegelüsten und Vergeltung auseinandersetzt.
Geschrieben und inszeniert von Damián Szifron, der für mich ein völlig
unbeschriebenes Blatt war, aber in Argentien schon durch seine
TV-Arbeiten auffiel, vor allem mit Los Simuladores (Wikipedia).
Vorab: Der Film ist das reinste Vergnügen.
In der ersten Episode stellen im Verlauf eines zunächst harmlosen
Smalltalks nach und nach sämtliche Passagiere eines Flugzeugs fest, dass
sie in der Vergangenheit alle mit derselben Person Kontakt hatten und
sie auf die eine oder andere Art verärgert haben - und dass diese Person der Pilot des Flugzeugs ist und soeben die Cockpit-Tür verriegelt hat
Weiter geht es mit einer Kellnerin, die eines späten Abends in ihrem
gottverlassenen Schnellimbiss ausgerechnet den Mann bedienen muss, der
das Leben ihrer Familie ruiniert hat (ohne sich daran noch zu erinnern,
da er als Kredithai andauernd anderer Leute Leben ruiniert). Das hätte
sie nicht so unüberlegt der mordlüsternen Köchin erzählen sollen...
Episode 3 befasst sich mit einer Situation, die viele von uns kennen: Man fährt
gemütlich über die Landstraße und plötzlich rast von hinten jemand mit seiner dicken Karre heran, gibt Lichtsignale, hupt, fuchtelt wild herum,
will halt unbedingt und sofort vorbei. Es kommt zu einem kurzen
Austausch verbaler und gestikulärer Beleidigungen während des
Überholmanövers. (Wahlweise kann man sich auch in die Rolle des
Überholenden versetzen.) Was geschieht also, wenn der Angeber mit seiner schönen Limousine auf dieser verlassenen Straße eine Panne hat und der
Überholte als einziger in der Nähe ist? Mehr als nur ein Mittelfinger im
Vorbeifahren. In Wild Tales wird das Ganze zu einem Kampf auf Leben und Tod. Wirklich richtig köstlich.
In der vierten Geschichte muss die Stadtverwaltung auf bittere Weise lernen, dass es eher suboptimal ist, einen (vor allem von der Ehe) frustrierten Sprengmeister mit Falschparker-Tickets zu verärgern.
Die vorletzte Story behandelt den missglückten Versuch einer betuchten
Familie, den Autounfall mit Fahrerflucht, den ihr Sohn in der letzten Nacht begangen hat, zu vertuschen. Besonders schräg wird es, als der Anwalt der Familie hinzukommt und es darum geht, welche Version der Geschichte man wem erzählt, wie man die Indizien manipuliert und wen manmit welcher Summe bestechen muss. Doch völlig unbeeindruckt von solchen Ränkeleien schlägt das Karma zu.
Das Highlight des Filmes kommt zum Schluss: in Episode 6 erfährt die Braut während der Hochzeitsfeier, dass ihr frischgebackener Ehemann eine Affäre hat und dass diese Affäre sich sogar unter den Gästen befindet. Und dann dreht sie wirklich vollkommen durch, im Beisein hunderter Gäste. Die Eskalation dieser Situation wird wunderbar aufgebaut und bleibt trotz ihrer Absurdität und Drastik stets nachvollziehbar. Am Ende gibt es zwar nicht gerade Tote, aber jede Menge Blut und Tränen.
Eine wirklich fantastische, rabenschwarze, clever inszenierte, emotional mitreißende Komödie. Ganz klare 10/10.