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„Wissen Sie eigentlich, zu was Frauen unter Drogen fähig sind?“

Sein 24. Fall führt den Kieler Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) ins Drogenelend, von dem ein ganzes Dorf bedroht wird. Für Regisseur Christian Schwochow („Bornholmer Straße“) handelte es sich um seinen ersten Beitrag zur „Tatort“-Krimireihe, das Drehbuch verfasste Rolf Basedow. „Borowski und der Himmel über Kiel“ wurde bereits 2014 auf dem Hamburger Filmfest uraufgeführt, seine TV-Erstausstrahlung erfolgte am 25.01.2015.

Eine unbekannte Person nähert sich einer an einem Waldgebiet liegenden Leiche, um ihr mit einer Axt den Kopf abzuschlagen. Als der Kopf gefunden wird, werden Hauptkommissar Klaus Borowski und Kommissaranwärterin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) auf den Fall angesetzt. Der Kopf gehört zu den Überresten des Crystal-Meth-Junkies Mike Nickel (Joel Basman, „Als wir träumten“), dessen Ex-Freundin, die junge Rita Holbeck (Elisa Schlott, „Draußen am See“), sich auf einen Fahndungsaufruf hin meldet. Sie ist gerade erst wieder clean geworden und berichtet der Kripo von ihrem ehemaligen Alltag im Zeichen der Drogensucht und des Rauschs. Als sie sich überreden lässt, die Namen zweier Verdächtiger Drogendealer (Rafael Stachowiak, „Lollipop Monster“ und Matthias Weidenhöfer, „Tatort: Brüder“) herauszurücken, gerät auch sie in Gefahr…

Schwochows und Basedows „Tatort“ ist ein Abgesang auf vermeintliche schleswig-holsteinische Dorfidylle, denn die billige Teufelsdroge hat längst die ganze Dorfgemeinschaft infiltriert, die mit ihrer Hilfe der Trostlosigkeit des Alltags zu entrinnen versucht. Dieser Aspekt wird zu einer der Herausforderungen für Borowski und Brandt, die letztlich auf die Kooperation Ritas angewiesen sind. In einer beeindruckenden Szenencollage schildert sie ihre anfänglich so positiven Erfahrungen mit der Droge, die aus Nonstop-Partys und ungezügeltem Sex bestehen. Trotz schneller Schnitte kann sich hier Nachwuchstalent Elisa Schlott als entfesselt und enthemmt aufspielende Jungschauspielerin empfehlen, die die Ambivalenz ihrer Rolle – einerseits exzessiv das Leben (bzw. die Realitätsflucht) auskostend, andererseits ruhig, zurückhaltend und schutzbedürftig wirkend – beherrscht. Die negativen persönlichen Auswirkungen der Meth-Abhängigkeit in Form körperlichen Verfalls zeigen sich an Ritas mehr tot denn lebendig wirkender Freundin Lisa (Anke Retzlaff, „Der Turm“), weniger an der bildhübschen Rita, die scheinbar rechtzeitig den Absprung geschafft hat.

Im erzählerisch leider etwas vertrackten und sprunghaften „Tatort“ zeigt sich bald, auf welch schmalem Grat sich Rita bewegt – und wie der exzessive Konsum zur Selbstzerfleischung einer Junkie-Clique führte, wovon unbeeindruckt das Partyleben weitergeht, während die Droge längst in allen gesellschaftlichen Schichten der Dorfgemeinschaft angekommen ist, die zunehmend den Verstand verliert. „Borowski und der Himmel über Kiel“ skizziert, wie sich das trügerische Freiheitsgefühl, das die lügende Droge vermittelt, sich in Abhängigkeit, Zerfall und Tod und damit ins komplette Gegenteil verkehrt. Der gewohnt nachdenkliche Borowski wird hierfür in eine atmosphärische Meisterleistung integriert, die Emotionen authentisch fühlbar macht, sich in Melancholie und Traurigkeit ergeht und nicht nur aufgrund seiner Bilder einer fast permanent unter einem leichten Nebelschleier liegenden norddeutschen Landschaft eine Eiseskälte ausstrahlt, die einen frösteln lässt. Damit lässt Schwochow auch ohne allzu viele Erklärungen (etwa nach Drogenberatungs- oder Sozialarbeitermanier) nachvollziehbar werden, weshalb sich Menschen in den Teufelskreis von Drogen begeben, um sich eine Portion Wärme abzuholen.

„Borowski und der Himmel über Kiel“ ist bis in die Nebenrolle prima besetzt, nimmt sein Thema und seine Figuren inkl. ihrer Entscheidungen ernst, womit er weniger distanziert als andere, undifferenzierte Beiträge wirkt, und verfügt über eine starke weibliche Hauptrolle, auf die sich Ängste von Entfremdung und Verlust projizieren lassen. Damit ist dieser „Tatort“ ein ungewöhnlich intensives Fernsehkrimi-Erlebnis, sodass man in der Schlusssequenz unweigerlich hofft, Rita möge sich angesichts einer Sternschnuppe das Richtige wünschen – und einen darüber hinaus berührt zurücklässt. 7,5 von 10 paranoiden Flashbacks dafür.

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