Der Zeitschleifenfilm: Immer mal wieder wagen sich Filmemacher an das Gedankenexperiment, meist mit durchaus sehenswerten Ergebnissen, deren populärster Vertreter immer noch die märchenhafte Komödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ ist, während sonstige Werke meist dem Science-Fiction-Kino zuzurechnen sind.
So auch „Edge of Tomorrow“, in dem es um eine Alieninvasion geht, die in Good Old Europe ihren Anfang findet und in einer Montage aus Dashcam-Videos, Amateuraufnahmen und Nachrichtensendungen (in verschiedenen Sprachen) geschildert wird, ehe der amerikanische Presseoffizier William Cage (Tom Cruise) in einem Nachrichteninterview Werbung für die bevorstehende Invasion von England aus macht, bei der die Invasoren zurückgeschlagen werden sollen. Deutschland als Startpunkt der kriegerischen Handlungen (hier schlug der alienbringende Meteor ein), eine Ostfront, an der Russland und China die Invasoren aufhalten, eine Gegenoffensive britischer Truppen, die von Amerikanern unterstützt werden, in der Normandie – wenig subtil spielt „Edge of Tomorrow“ ein futuristisches Zweiter-Weltkriegs-Szenario mit Aliens statt Nazis durch.
Cage soll die Attacke begleiten, die alliierten Triumph filmen und das Aushängeschild der Streitkräfte, Rita Vrataski (Emily Blunt), in bestem Licht präsentieren. Allerdings ist Cage ein Feigling, der Presseoffizier wurde, um eben nicht in den Kampf zu müssen, windet sich und versucht sogar General Brigham (Brendan Gleeson) zu erpressen, dem das gar nicht schmeckt: Cage wird betäubt und als angeblicher Deserteur zu den Soldaten gesteckt, die sein Gesicht – trotz Fernsehinterview – nicht kennen, damit er bei der Invasion im Kampfeinsatz dabei ist. Mit sichtlicher Schadenfreude inszeniert „Edge of Tomorrow“ seinen Helden als opportunistisches Ekelpaket, womit Tom Cruise seine nicht zu unterschätzende Veranlagung zur gelegentlichen Selbstironie (man denke auch an „Magnolia“, „Tropic Thunder“ oder „Rock of Ages“) demonstriert, wenn er seine Manierismen, die auch sonst teilweise leicht schmierig wirken, hier in einer tatsächlichen Schmierlappenrolle einsetzt.
Der untrainierte Cage, der noch nicht einmal die futuristischen Kampfanzüge bedienen kann, muss miterleben wie die Attacke zum Fiasko wird und stirbt selbst nach wenigen Minuten – doch er erwacht erneut auf der Basis, als Deserteur gebrandmarkt, und beginnt den D-Day erneut…
Zeitschleifenfilme leben von der Wiederholung der immergleichen Ereignisse, die hier fast zwangsläufig in der actionlastigen Stranderstürmung enden, was den Eindruck eines Videospiels erweckt: Immer wieder beginnt Cage am letzten Speicherstand, lernt die Bewegungen seiner Gegner im Voraus, verbessert sich in der Handhabung mit dem Kriegsgerät und kann andere durch Vorausschau vor dem Tod bewahren. Gleichzeitig birgt dieses Konstrukt auch eine Gefahr: Wenn die Hauptfigur mehr oder weniger unsterblich ist, der Tod der Beteiligten konsequenzlos, dann wird es schwer noch um jemanden zu bangen oder Spannung zu empfinden – beim nächsten Versuch wird’s dann halt besser. Der Werbespruch „Live. Die. Repeat.“ spiegelt nicht von ungefähr den Lebens-und-Sterbenszyklus einer Videospielfigur gut wieder.
Das scheint Regisseur Doug Liman allerdings bewusst zu sein, deshalb setzt „Edge of Tomorrow“, ähnlich wie andere Zeitschleifenfilme (neben dem Murmeltier wäre hier beispielsweise „12:01“ zu nennen), auf Humor: Das ständige Ableben Cages, oft durch Fehleinschätzungen, Tollpatschigkeit oder gar Absicht der eigenen Leute, vor allem Rita, herbeigeführt, wird als schwarzer Slapstick inszeniert, was angesichts der anfangs wenig sympathischen Figur gleich noch einmal die Schadenfreude im Zuschauer anspricht. Es lockert den Film auch auf, der das angeblich hohe Risiko (mal wieder steht nicht weniger als das Schicksal der Welt auf dem Spiel) nicht immer so ganz mit dem Alles-auf-Anfang-Ansatz des Zeitschleifenfilms zu vereinen weiß.
Doch Humor allein reicht nicht, und deshalb sind Doug Liman und sein Autorentrio, zu dem auch Christopher McQuarrie, Regisseur und Drehbuchschreiber des Cruise-Vehikels „Jack Reacher“, gehört, darauf bedacht zum einen die Hintergrundgeschichte des Geschehens auszuarbeiten, zum anderen eine emotionale Komponente hinzuzufügen. Ersteres wird durch die pseudowissenschaftliche Erklärung der Zeitschleife erreicht, welche zwar so einige logische Fragen offen lässt, den Wiederholungsaspekt gleichzeitig aber mit der Invasionsgeschichte und der Bindung zwischen Cage und Rita verzahnt. Denn Cage offenbart sich der Kriegsheldin, die ihm als einzige glaubt, da sie Hintergrundwissen zu der Zeitschleife besitzt. Gleichzeitig erklärt „Edge of Tomorrow“ in dieser Phase wie Cage den Streitkräften zum Sieg verhelfen könnte, wie er aus der Schleife ausbrechen kann und wie die Aliens ihrerseits ein für sie vorteilhaftes Ende der Schleife herbeiführen könnten – doch erst im letzten Drittel wird diese Bedrohung tatsächlich greifbar, wird die Konsequenzlosigkeit des immer wieder durchgespielten D-Day ins Wanken gebracht.
Ironischerweise ist dies dann auch der Moment, in dem „Edge of Tomorrow“ den Boden unter den Füßen verliert, denn bis dato funktioniert Limans Film trotz der eher geringen Fallhöhe ziemlich gut, was vor allem an dem Subplot zwischen Cage und Rita liegt: Während Cage an ihrer Seite zum Helden reift, entwickelt er Gefühle für sie – Gefühle, die über einen langen Zeitraum hinweg erblühen, während sie ihn immer wieder erneut kennenlernt, für ungefähr einen Tag. Diese perfide romantische Komponente, die ebenfalls diverse Zeitschleifenfilme („Und täglich grüßt das Murmeltier“, „12:01“, „Source Code“) auszeichnet, wird mit Understatement, aber auch mit Herz ausgespielt, nach einer emotionalen Offenbarung Cages vorerst ad acta gelegt. Dies ist auch der besagte Punkt, an dem Cage nicht immer den Tag leicht variiert wiederholt, sondern stärker vom Muster abweicht, an dem wieder mehr auf dem Spiel steht, an dem „Edge of Tomorrow“ aber auch deutlich generischer und simpler wird.
Denn im letzten Drittel entpuppt sich der Film als handelsübliches Sci-Fi-Abenteuer, das natürlich in einer großen letzten Mission endet, bei der es mal wieder um alles geht. Oder sagen wir: Fast alles, denn ein hanebüchen zusammengeschriebenes Happy End negiert viele Strapazen des vorigen Films und lässt das Ganze auf einer unnötig leichten Friede-Freude-Eierkuchen-Note enden. Doch selbst wenn dies nicht wäre, der Showdown ist relativ abgeschmackte Genreware, in der entbehrliche Nebencharaktere das obligatorische Heldenopfer erbringen, weil es die Pflicht entbehrlicher Nebencharaktere ist, die einem hier aber leider am Allerwertesten vorbeigehen.
Das ist schade, denn eigentlich bemüht sich „Edge of Tomorrow“ bei der Charakterisierung von Cages Kompanie den Leuten mehr Profil als nur der Dicke, die Frau, der harte Hund usw. zu geben. Doch diese Figuren treten zu selten auf, als dass sie wirklich interessieren würden, sie werden Rita und Cage klar untergeordnet, sie treten nur dann auf, wenn die Handlung sie braucht – kein Vergleich zu der ähnlich illustren Marinetruppe aus „Aliens – Die Rückkehr“, die in Camerons Films zwar ebenfalls fast komplett dezimiert wurde, deren Mitglieder aber deutlich mehr Leben und Sympathie spendiert bekamen.
Apropos „Aliens“: Wie eine Kreuzung aus den Laderoboteranzug aus diesem Film, der Kampfmontur des Helden aus „Elysium“ und Tony Starks titelgebenden Anzügen aus der „Iron Man“-Reihe kommt das Kampfgerät der Streitkräfte in „Edge of Tomorrow“ daher. Mit zahlreichen eingebauten Waffen, zu denen oft noch vom Anzug unabhängige Pistolen, Gewehre und Minen hinzukommen, ziehen die Futur-Frontschweine in den Alienkrieg, den Doug Liman als effektvolle Action in Szene gesetzt, bei der das CGI nie allzu schlecht aussieht, die trotz offensichtlicher Computerunterstützung durchaus Bumms hat und die auch das 3D-Format recht dynamisch einzubeziehen weiß. Gleichzeitig dosiert Liman die Actionanteile mit Gespür, lässt den Film nie im Krawall untergehen, sondern benutzt die Schlachtszenen als Highlights zwischendurch – lediglich das Finale wird ausladender, darf es als Höhepunkt auch sein, hätte aber packender und frischer inszeniert werden können.
Eine letzte Parallele zu „Aliens“ stellt das Casting von Bill Paxton dar, der hier allerdings nicht mehr der junge Soldat, sondern der erfahrene, großmäulige Master Sergeant ist, der Cage seine Flausen austreibt – eine Rolle, die Paxton mit so viel Elan spielt, dass er die Szenen, in denen er vorkommt, nahezu an sich reißt. Doch auch Tom Cruise liefert eine überzeugende Vorstellung ab, wenn er sich vom feigen Schmierlappen zum altruistischen Helden wandelt. Nur kurze, aber prägnante Akzente setzt Brendan Gleeson als bärbeißiger General. Doch neben den ganzen Männern glänzt auch Emily Blunt in einer erfreulich starken, toughen Frauenrolle, die nicht nur als stahlhartes Abziehbild daherkommt, sondern hinter der auch eine nachvollziehbare, emotionale Hintergrundgeschichte steht. Abseits dieser vier Darsteller muss sich der Rest vom Fest mit Rollen als Stichwortgeber oder markantes Gesicht begnügen (darunter beispielsweise Noah Taylor aus „Game of Thrones“).
Einerseits ist es schön, dass „Edge of Tomorrow“ dem Blockbusterspektakel etwas mehr Variation und mehr Grips hinzufügen will als andere große Plattmachspektakel der Saison. Andrerseits darf man angesichts des Films nicht zu euphorisch werden: Im letzten Drittel hakt der Motor etwas, ironischerweise trotz (oder gerade aufgrund) der Brechung mit dem Wiederholungsschema, und in Sachen Zeitschleifenfilme reicht er nicht an „Und täglich grüßt das Murmeltier“, „12:01“ oder „Retroactive“ heran, auch wenn er Duncan Jones‘ „Source Code“ zu übertreffen weiß. 6,5 Punkte meinerseits.