Der spanische Horrorfilm der 60er & 70er Jahre erfreut sich bei eingefleischten horror buffs größerer Beliebtheit: mögen die (von Carlos Aured, León Klimovsky, Javier Aguirre und anderen inszenierten) Filme um Spaniens großen Horrorstar Paul Naschy handwerklich teilweise roh & ungeschlacht anmuten, so punkteten sie ihrerzeit bei der Zielgruppe zumindest durch ein Ausmaß an Brutalität, welches in anderen zeitgenössischen Horrorfilmen eher selten zu sehen war. Das gilt auch für den Erfolg der Genrebeiträge Amando de Ossorios - insbesondere seiner Blind Dead-/Reitende Leichen-Reihe (1971-1975) ab "La Noche del terror ciego" (1971)... Stießen & stoßen diese Filme bei der internationalen Filmkritik zu ihrer Zeit (und oftmals auch später) kaum auf Gegenliebe, so sah & sieht das bereits ein wenig anders aus bei den besseren bzw. bedeutenderen Jess Francos ("Gritos en la noche" (1962), "Miss Muerte" (1966), "Al otro lado del espejo" (1974)) und Narciso Ibáñez Serradors Genrebeiträgen "La Residencia" (1969) & "¿Quién puede matar a un niño?" (1976), welche zumindest im Rückblick wohlwollender beäugt worden sind. Und vor allem gilt es für die Genrebeiträge Jorge Graus ("Ceremonia sangrienta" (1973), "Pena de Muerte" (1973), "Non si deve profanare il sonno dei morti" (1974), "Coto de caza" (1983)), Vicente Arandas ("La novia ensangrentada" (1972)) und Eloy de la Iglesias ("El Techno de cristal" (1971), "Nadie oyó gritar" (1973), "Una Gota de sangre para morir amando" (1973)), dessen grimmiges, brutales, blutiges und zugleich sehr stilles Drama "La Semana del asesino" (1973) kaum noch Genreregeln folgt und mit seiner leisen, subversiven Sozialkritik und als veritabler Skandalfall (& späterer video nasty mit dem exploitativen Titel Cannibal Man) die reinen Horrorfans dann auch gehörig überforderte.
Denn während sich Klimovsky oder Aured auf Unterhaltsamkeit und ordentliche Einspielergebnisse konzentrierten (und das in mal mehr, mal weniger solider Form auch abliefern bzw. erreichen konnten), da konnte ein Franco - der den spanischen Horrorfilm zudem überhaupt erst in Gang gebracht hatte - auch mit traditionellen Rollenbildern brechen und neuartige, wenngleich immer auch voyeuristisch betrachtete Frauenbilder präsentieren. De la Iglesia war dagegen der schwule auteur, der sich an weit gewagtere, anstößige Männlichkeitsbilder heranwagte - was seinem "La Semana del asesino" einigen Ärger mit der Zensur einbrachte - und Grau und Aranda galten zum Zeitpunkt ihres ersten bzw. einzigen Ausflugs in den Horrorfilm ohnehin als ambitionierte, mehr oder weniger subversive Autorenfilmer eines neuen spanischen Kinos, an deren Filme man meist mit einer ganz anderen Erwartungshaltung heranging (die ja auch nicht aus dem Nichts kam).
Dieses neue spanische Kino kündigte sich Anfang der 60er Jahre an, als der Franquismus erahnte, dass er sich über das Kino im Ausland liberaler erscheinen lassen konnte. In den 60er Jahren lockerten sich nicht bloß die Zensurvorgaben ein wenig - was nicht bedeutete, dass nicht sogar ein so renommierter Regisseur wie Carlos Saura erheblich gegen Zensureingriffe ankämpfen musste oder dass Luis Buñuels enormer Skandalfilm "Viridiana" (1961) (von der FILMS 59 des regimekritischen, subversiven Filmemachers & Produzenten Portabella produziert!) ohne Folgen für blauäugige Funktionäre & Zensurbeauftrage geblieben wäre -, auch das ausländische Kino mit seinen vielen Neuen Wellen geriet über die Escuela Oficial de Cinematografía und über programmkinoartige Salas de Arte y Ensayo y Especiales in breiterer, freierer, etwas ungeschnittenerer Form zumindest den Filmhochschülern und einem etwas elitäreren Bildungsbürgertum in den Blick. Gleichwohl Drehbuchentwürfe und fertige Produktionen noch immer mehreren Kontrollen der Zensur unterlagen und viele Filme bloß für ein liberaleres Image im Ausland und dort vor allem auf bedeutenden Festivals gezeigt werden konnten, um in Spanien teilweise nur geschnitten oder sogar erst mit jahrelanger Verspätung gezeigt zu werden, veränderte sich die nationale Filmlandschaft dennoch entscheidend.[1]
Einst geradezu komplett verbotene Genres wie der Horrorfilm betraten nun mit Francos "Gritos en la noche" (1962) die Bildfläche - wobei sich Franco noch immer zu unterdrückt wähnte und sich alsbald in weniger repressive europäische Länder absetzte - und mit dem Nuevo cine español und der Escuela de Barcelona betraten zwei bedeutsame Bewegungen die Filmlandschaft.
Jorge Grau, der heutzutage am ehesten den Horrorfans mit seinem Zombie-Klassiker "Non si deve profanare il sonno dei morti" ein Begriff ist, gehörte mit "Noche de verano" (1963), "El espontáneo" (1964), "Acteón" (1967) und "Una historia de amor" (1967) neben Saura, Julio Diamante und Juan Antonio Bardem zum engeren Kern des Nuevo cine español, welches das nationale Interesse Franco-Spaniens durch Filme von internationalem Interesse, durch gesellschaftskritische, realistische Qualitätsfilme befriedigen sollte, um sich zum Großteil durch staatliche Mittel fördern zu lassen: Da die Filmemacher jedoch nicht selten gesellschafts- und vor allem regimekritischer waren, als es den Zensoren lieb sein konnte, liefen die gesamte Produktion und die Aufführung innerhalb Spaniens nicht selten reibungslos ab.
Vicente Aranda war dagegen eine bekannte Größe - ja sogar gewissermaßen der Urheber! - der Escuela de Barcelona, deren Startschuss sein "Fata Morgana" (1965) war: eine avantgaristische, Comic-, Werbeclip- & pop art-geprägte Mediensatire über einen noch nicht geschehenen Mord an einem Model, welches mit seinen ganzen Werbe-Alter-Egos von Konsumenten und möglichen Mördern flieht, derweil sich ringsumher jegliche Ordnung in einem Katastrophen-Szenario auflöst.
Die Escuela de Barcelona, an der sich auch Grau mit "Tuset Street" (1968) beteiligte, war eine weit kurzlebigere Gruppierung von nicht professionell ausgebildeten Filmemachern, die sich - mit Ausnahme der Verwendung staatlicher Subventionen - stärker um Selbstfinanzierung bemühten und dabei überwiegend auf Laiendarsteller(inne)n setzten. Die Filme, die explizit im regionalen, katalanischen Raum angesiedelt waren, präsentierten sich in erster Linie als formal avantgardistische bis experimentelle Arbeiten, deren durchaus gesellschaftskritischen Inhalte teilweise zweitrangig waren: sie fehlten zwar nicht, waren aber auch nicht immer das Hauptanliegen und verlangten auch keinesfalls immer nach einer zusammenhängenden Handlung - ein zentrales Thema genügte.
Aranda entstammt also der ausgesprochen politischen, wenngleich oftmals & (aus Zensurgründen) notgedrungen verklausulierten Neuen Welle Spaniens, die er als einer der Begründer der Escuela de Barcelona um explizit avantgardistische Züge bereicherte. Da diese Neue(n) Welle(n) in Spanien um 1970 bereits wieder zum Erliegen kam(en) - nachdem José María García Escudero als Initiator der interés especial-Subventionen nur von 1962 bis 1967 der Director General de Cinematografia war, nachdem die Produktionsfirma Filmscontacto der Escuela de Barcelona um 1970 aufgehört hat, nachdem die Salas de Arte y Ensayo y Especiales 1971 wieder verschwanden -, orientierten sich viele ihrer Vertreter zwangsweise am kommerziellen Kino, das nun in Spanien die Neue(n) Welle(n) ablöste, so wie diese zuvor das traditionelle spanische (Propaganda-)Kino konservativer Gesinnung ablöste(n): "Zwar entstanden um 1970 weitere unabhängige Filme, [...] aber sie kamen wegen ihrer Neuartigkeit nichts in Kino; zur gleichen Zeit stellte der spanische Kritiker Augusto M. Torres fest, dass der 'offizielle' Autorenfilm der Patino, Fons, Grau, Bardem und Berlanga in eine absolute Sackgasse geraten sei. 1973 verzeichnete das spanische Kino eine Welle von phantastischen und Horrorfilmen; indirekt gehört auch einer der besten spanischen Filme der 70er Jahre, El espiritu de la colmena (Der Geist des Bienenstocks, 1974) [...] zu diesem Genre."[2]
Zu diesem kommerziellen Kino zählt also vor allem der Horrorfilm, der pünktlich zum Ende der Neue(n) Welle(n) mit Paul Naschys Einstand als Werwolf Waldemar Daninsky in "La Marca del Hombre-lobo" (1968) und mit de Ossorios Vampirperle "Malenka: La sobrina del vampiro" (1968) einsetzt und die Filmlandschafts dominierte; nach einem Höhepunkt im Jahre 1973 und ab Francos Tod im Jahre 1975 allerdings immer weniger: Die Horrorfilmproduktion des Landes schwindet in der zweiten Hälfte der 70er Jahre immer deutlicher, gerät allerdings mit dem Verschwinden der franquistischen Filmzensur im Jahre 1977 auch immer exploitativer und - angesichts des Nationalkatholizismus! - immer provokativer, um zugeleich vermehrt durch schlüpfigeren Klamauk und Sexfilme ersetzt zu werden.[3] Die kommerzorientierte Exploitation-Schiene verlagerte sich von Gewalt & Gefahr auf Nacktheit & Sexualität; und wer mit seinen Filmen engagierte Sozialkritik üben wollte, war auf den kaschierenden Rahmen der Phantastik nicht mehr länger angewiesen (wie es bei Grau, Aranda oder auch Erices "El espiritu de la colmena" der Fall war).
Während Grau mit seinem Zombiebeitrag "Non si deve profanare il sonno dei morti" gegen die Umweltverschmutzung und die repressive Polizei(gewalt) wetterte, in den harten Thrillern "Pena de Muerte" & "Coto de caza" Gewalt, Moral, Gesetz und Selbstjustiz verhandelte und in "Ceremonia sangrienta" - seinem ersten Genrebeitrag - den Vampirismus in Anlehnung an die Gräfin Bathory, an den erotischen Vampirfilm & die Hexenjäger-Welle der frühen 70er in die eigennützige Ausbeutung der Untergebenen umdeutete, da legte Aranda bloß einen einzigen Ausflug in den Horrorfilm vor,[4] der allerdings Graus ersten Beitrag teilweise inspirierte und heute zu den ganz großen Klassikern des Euro-Horrors zählt (und dem Tarantino dreißig Jahre später in "Kill Bill: Vol. 1" (2003) huldigte).
"La novia ensangrentada" ist - nach Carl Theodor Dreyers "Vampyr" (1932), Roger Vadims "Et mourir de plaisir" (1960), Camillo Mastrocinques "La cripta e l'incubo" (1964), Hammers Karnstein-Trilogie (1970-1971) ab "The Vampire Lovers" (1970), John D. Hancocks "allusive revisiting of Le Fanu's text"[5] "Let's Scare Jessica to Death" (1971) und einer 1966 entstandenen Folge für "Mystery and Imagination" (1966-1970) - eine weitere Verfilmung der beliebten Schauergeschichte Joseph Sheridan Le Fanus über die latent lesbische Vampirin Mircalla Karnstein (die auch Bram Stoker zu seinem ersten, verworfenen Kapitel für "Dracula" (1894) inspiriert hat)[6])... Knapp 30 Jahre nach der - kein bisschen beanstandeten - spanischen Erstübersetzung im Jahre 1941 in Angriff genommen!
Es wäre sicherlich zuviel der Ehre, "La novia ensangrentada" als avantgardistisches Werk aufzufassen, aber seiner Vorliebe für extravagante Formen bleibt Aranda hier durchaus treu: am deutlichsten sicherlich im surrealen, an Dalí gemahnenden Strand-Bild einer unter Sand begrabenen, Taucherbrille & Schnorchel tragenden Frau - deren Sicht die Kamera zudem auch noch übernimmt, womit Aranda ziemlich deutlich Dreyers erste Verfilmung des Stoffes zitiert! - und in den überbelichteten, stereoskopartig flackernden & aufblitzenden ersten (Traum-)Bildern der Vampirin (die immerhin die beachtliche Extravaganz der Traumbilder in Vadims Verfilmung auf ganz eigene, neue Weise wiederholen). Ansonsten bleibt Arandas Inszenierung immer ausgesprochen hochwertig (voller tadelloser Kamerafahrten und einer effektvollen Montage!), aber vergleichsweise unauffällig: symbolisch überhöhte Einstellungen, die mit den schon im Titel verhandelten Farben Rot und Weiß bzw. mit den Attributen von Männlichkeit und Weiblichkeit hantieren, mag man noch als weitere Ausnahmen hinzuzählen - diese verlangen aber bereits an gewisses Maß an Aufmerksamkeit & Interpretationsbereitschaft und wirken nicht bereits an sich...
Politisch & gesellschaftskritisch ist Arandas Film schon eher, ist doch seine Le-Fanu-Verfilmung eine solche, die Ansätze der Hammer-Horrorfilme noch weiter ausreizt: schon bei Hammer - in Fishers "The Brides of Dracula" (1960) & "Dracula: Prince of Darkness" (1966) und in der Karnstein-Trilogie, insbesondere in "Twins of Evil" (1971) - zeichnete man ein hintergründiges Bild eines lustvollen Vampirismus, welchem patriarchalische Männer mit teils sadomasochistischem Vergnügen den Garaus machten. Jess Franco hatte das zu dieser Zeit bereits mit seinen Hexen- & Hexenjagd-Filmen wiederholt - was auch George A. Romero in seinem unterschätzeten Hexen-Klassiker "Season of the Witch" (1972) tat! - und sollte auch in seinen vampiristischen Stoffen immer stärkeren Gebrauch von solch einer Umkehrung der moralischen Beurteilung machen; was natürlich auch für einige der Vampirfilme Rollins gilt - etwa für "Le Frisson des Vampires" 1971).
Aranda schwimmt auf dieser noch sehr jungen, gerade ihren Höhepunkt erreichenden Welle des feministisch ausgerichteten, voyeuristischen, erotischen Horrorfilms mit und macht [Achtung: Spoiler!] aus dem Stoff eine Schilderung patriarchalischer, repressiver Männlichkeit: Susan trägt zu Beginn das Hochzeitskleid und macht sich mit ihrem jungen Gatten in das Familienanwesen seiner Kindheit auf. Susan, die sich ohnehin männliches Begehren in Vergewaltigungsbildern vorstellt, ist von der besitzergreifenden, etwas herrischen, latent sadistischen, aber stets charmanten und oftmals sogar recht liebevoll-besorgten Art ihres Gatten eher abgestoßen. Tatsächlich wirkt ihr namenlos bleibender Mann (Simón Andreu, ein ausgesprochen hübscher, maskuliner Typ!) niemals unsympathisch, niemals grausam: er ist mehrfach besorgt um Susan, ist durchaus imstande, sie einfühlsam zu trösten... aber hierbei handelt es sich bereits um den Beginn seiner bevormundenden Art, die im Liebesspiel noch eine spielerische Note gewinnt: dann nämlich schlüpft er in die - noch immer liebevoll gespielte - Rolle des harten Mannes, zieht Susan an ihren Haaren zu sich herbei, umfasst ihr Gesicht (zärtlich) mit beiden Händen... ganz so, wie es von 'echten Männern' oft genug erwartet wird. Die Abwertung dieses echten Mannes lässt Aranda viel subtiler Erfolgen, um sich nicht den Unmut der franquistischen Zensoren zuzuziehen: Da gibt es martialische Kanonen im Familienanwesen, in denen sich das Hochzeitkleid verfängt; da hängen die Porträts der Ahninnen im Gegensatz zu denen der Ahnen im Keller, seit eine Frau - Mircalla Karnstein - ihren Gatten in der Hochzeitsnacht ermordet haben soll, nachdem er Unaussprechliches von ihr verlangt habe; da sind der Ehemann und sein Kumpane begeisterte Jäger - und nicht nur in Spanien war (nicht erst seit Sauras "La caza" (1966)) bekannt, was Jäger für Typen sind; und da dominiert der Ehemann manchmal mit schwarzen Haaren & schwarzer Kleidung das Bild - etwa wenn er die weiß gekleidete Susan aus dem Verschlag mit weißen Tauben holen will, in welchen sie sich ohne für ihn ersichtlichen Grund eingeschlossen hat... Hier gibt es dann einen seltenen, aggressiven Gewaltakt des Mannes, der die instabile Tür im Maschendraht kurzerhand eintritt, um zu seiner Frau zu gelangen, die ihn bei den folgenden Streicheinheiten passiv gewähren lässt. (Sie liebe es scheinbar, wenn er ihr weh täte, mutmaßt die jugendliche Tochter der Haushälterin, die den Vorfall zufällig bemerkt. Susan leugnet es.) Aber auch diese Szene dürfte für manche noch unauffällig bleiben, richtet sich die Gewalt doch nicht gegen die Frau selbst, deren Verhalten der Film dem Verdacht der Übersensibilität aussetzt. (Einmal wird Susan von ihrem Mann zu hören bekommen, dass jeder mal ängstlich sei, aber dass nicht jede(r) so darauf reagiere wie Susan.)
In dieses ganz & gar nicht optimale Verhältnis dringt schließlich Mircalla Karnstein, die blutige Braut, ein: zunächst in den Träumen Susans, in denen sie Susan einmal beißt und ihr einen langen Dolch aushändigt, um in einem zweiten Traum mit ihr den Ehemann zu erdolchen und ihm anschließend das Herz aus der Brust zu schneiden. (Susan reagiert überaus ängstlich auf diese Träume, zumal sie nach dem ersten Traum einen langen Dolch unter ihrem Kissen findet, der auch nach dem zweiten Traum wieder auftaucht - verdächtigt wird sehr schnell die Tochter der Haushälterin.) Doch dann taucht sie auch in der Realität auf: der Ehemann findet sie - einige Zeit, nachdem er aus Jux die Grabplatte von Mircalla Karnstein angehoben und einen ihrer Knochen zerbrochen hat - am Strand, wo sie mit Schnorchel & Taucherbrille dich unter der Oberfläche begraben liegt. Er befreit die schöne, nackte Frau, die sich Carmilla nennt und nicht weiß, was mit ihr Geschehen ist, und nimmt die Fremde mit sich nachhause.
Natürlich beginnt das Unheil nun erst: Susan bemerkt die Ähnlichkeit zwischen Carmilla und ihrer unheimlichen Traumgestalt, in der sie zurecht Mircalla vermutet. Ihr Mann verwirft ihre fixen Ideen und ist sich mit dem Hausarzt einig, dass mit Susan ganz einfach etwas nicht stimmt. Aber dann erinnert sich ihr Gatte daran, dass Carmilla auch die Ringe des Mircalla-Porträts besitzt; und dann wird er Zeuge, wie Susan am Strand den Dolch ausgräbt - an jener Stelle, an der Carmilla lag. Und das Gesicht des Porträts von Mircalla, das aus dem Gemälde geschnitten worden ist und das der Mann nun neugierig auftreibt, gleicht der Fremden und den Bildern, die Susan von ihrer Traum-Erscheinung und von Carmilla angefertigt hat, erheblich. Und tatsächlich ist Carmilla ein Vampir: Susans Mann findet sie in einem Sarg ruhend vor, zu welchem Susan am Abend ein paar Rosen trägt; und als er ihre blutigen Schneidezähne untersucht, erwacht sie nicht. Und dann entpuppt sie sich auch noch als die Lehrerin der Tochter der Haushälterin... so kommt es, wie es kommen muss: Carmilla und Susan erdolchen den skeptisch gewordenen Hausarzt, sie attackieren den Jäger, als sie ihm wie Freiwild in eine Fuchsfalle treten (und schießen ihm dann in den Kopf und nochmals ins Gemächt); Susans Gatte kann ihnen jedoch mit Not entkommen, nimmt aber ihre Spur auf, findet beide Frauen nackt im Sarg beieinanderliegend und erschießt sie durch den Deckel mit unzähligen Schüssen.[7] Die Tochter der Haushälterin kommt herbei, trägt Carmillas Ringe, präsentiert sich auch als Gebissene - und lässt sich freiwillig erschießen, mit dem Hinweis, dass sie nicht tot bleiben werden. Das letzte Bild des Films zeigt den Ehemann, wie er sich daran macht, die Herzen aus den Körpern zu schneiden: eine Großaufnahme von Susans Brust friert ein, als ihr Gatte sie mit festem Griff packt und das Messer ansetzt.
Schon dieses letzte, eingefrorene und damit betonte Bild der fest ergriffenen, gequetschten Frauenbrust in der hart zupackenden Männerhand macht hellhörig: hier geht es um mehr, auch wenn Aranda den Film oberflächlich als Horrorthriller präsentiert, in welchem ein Mann glaubt, seine junge Gattin verfalle dem Wahnsinn, ehe er erkennen muss, dass ihre Wahnideen übernatürliche Realität sind. Schon der Umstand, dass Susans Gatte keinen Figurennamen erhalten hat, sollte stutzig machen... nicht er ist die Hauptfigur, sondern Susan. Nicht er ist das Opfer der Vampire, nicht Susan ist das Opfer der Vampire... Susan ist das Opfer ihres Mannes, die Vampirinnen sind die Opfer der männlichen Unterdrückung, gegen die sie revoltieren. Die titelgebende Farbdramaturgie macht das an einer Stelle besonders deutlich: die Tochter der Haushälterin trägt bei ihrem ersten Treffen mit Susan ein rotes Oberteil (und wird auch am Ende wieder rot tragen), während Susan, die häufig in weiß auftritt, noch ihr Hochzeitskleid trägt und von dem Mädchen eine rote Rose geschenkt bekommt. Das Mädchen ist es, dass Susan angesichts ihrer Passivität gegenüber der Bevormundung ihres Mannes ein masochistisches oder zumindest devot Gefallen daran unterstellt - und damit Susans Aufbegehren unterstützt. Das Mädchen ist im wahrsten Sinne des Wortes bereits eines Schülerin der Vampirin, welche als Lehrerin zudem eine selbstständige Frau darstellt - ganz im Gegensatz zur jungen Hausfrau Susan, die sie nun eines besseren zu belehren gedenkt. Der Film macht eigentlich sehr deutlich, dass es um das unschuldige Weiß der Bräute geht, welches sich rot färben muss, wenn sie dem Einfluss ihrer Männer - die Unaussprechliches von ihnen verlangen oder mit unbewusstem Besitzanspruch über sie verfügen wollen - entkommen wollen... oder jenen Männern, denen sie in gestellte Fallen treten, die mit leicht gespreizten, standfesten Beinen vor ihnen stehen, wenn sie vor am Boden liegen. (Ein Bild, das als Bild männlicher Dominanz zur festen Motivik des gesamten Kinos zählt.)
Trotz solcher Offensichtlichkeiten konnte Aranda diese Grundaussage an der Zensur vorbeischmuggeln, gleichwohl die Ehe gewissermaßen zu den durch Zensur geschützten heiligen Kühen zählte. Kurioserweise forderten die Zensoren nach Lektüre eines Drehbuchentwurfs bloß, dass die intimen Szenen zwischen den Eheleuten nicht zu intim ausfallen durften. (Immerhin sollte ja das Intimleben von Eheleuten durch die Zensur geschützt werden.) Dass hier der Ehemann schlechthin - und damit die Ehe schlechthin - einer gründlichen Kritik im Deckmantel der Phantastik unterzogen wird, konnte Aranda vor den Zensoren offenbar gut verschleiern.[8] (Schnitte musste Aranda dennoch vornehmen und erzielte dann freilich noch immer eine 18er Freigabe...)
"La novia ensangrentada" gilt heute längst als Kultfilm - nicht erst seit Tarantinos Würdigung, die aber die Bekanntheit des Streifens nochmals angehoben haben dürfte. Tatsächlich kann der Film sogar als einer von Arandas populärsten Streifen angesehen werden. Ähnliche große Popularität konnte er knapp 20 Jahre später nochmals mit dem vielfach ausgezeichneten & nominierten Kriminaldrama "Amantes" (1991) erzielen[9] - und dann ab der Jahrtausendwende mit relativ opulent ausgestatteten Historienfilmen ("Juana la Loca" (2001), "Carmen" (2003), "Tirante el Blanco" (2006)), die zum Teil allerdings kaum noch überzeugen.
"La novia ensangrentada" ist also für geschichtsinteressierte Cineasten, für Horrorfans, für gender-interessierte Filmliebhaber und für Liebhaber sorgfältigen, ganz leicht avantgardistisch gefärbten Handwerks gleichermaßen zu empfehlen. Neben Harry Kümels "Les Lèvres rouges" (1971) und den besseren Rollins dürfte es sich wohl um den mit Abstand besten erotischen Vampirfilm der 70er Jahre handeln - und um die garstigste Abrechnung mit einem (nicht nur) franquistischen Männlichkeitsbild vor Carlos Sauras ungleich direkteren "Cría cuervos" (1976): verführerisch, effektvoll schockierend, subversiv, gehaltvoll, souverän inszeniert und mit einer wundervoll strudelnden Filmmusik ausgestattet, die auch einem Hitchcock oder de Palme gut zu Gesicht gestanden hätte. 8/10
1.) Vgl. auch: Elke Rudolph: Im Auftrag Francos: "Filme von internationalem Interesse" - Zur politischen Instrumentalisierung des spanischen Films in den 60er Jahren. LIT 1997. (Der Horrorfilm und die Filmproduktion ab den 70er Jahren bleiben weitgehend unberücksichtigt.)
2.) Ulrich Gregor: Geschichte des Films - ab 1960. 3: Frankreich, Italien, Bundesrepublik Deutschland, Übriges Westeuropa. Rowohlt 1983; S. 250.
3.) Vgl. auch: Danny Shipka: Perverse Titillation: The Exploitation Cinema of Italy, Spain and France, 1960-1980. McFarland 2011 (S. 171-260); Nicholas G. Schlegel: Sex, Sadism, Spain, and Cinema: The Spanish Horror Film. Rowman & Littlefield 2015 (S. 1-31).
4.) Auch Juan Antonio Bardem machte nach Abklingen der Neuen Welle mit "La Corrupción de Chris Miller" (1973) einen Ausflug in den Horrorthriller. (Zudem führte er ungenannt Co-Regie bei "La campana del infierno" (1973).) Ebenso Julio Diamante, der mit "Helena y Fernanda" (1970) einen Mystery-Thriller auf seine Nuevo cine español-Werke folgen ließ.
5.) Nancy M. West: On Celluloid Carmillas. In: Kathleen Costello-Sullivan (Hg.): Carmilla: A Critical Edition. Syracuse University Press 2013; S. 145.
6.) Es sollten noch neun weitere Verfilmungen bis 2014/2015 folgen - zumeist Kurz- & TV-Filme, aber auch die freie, ambitionierte Version Juan López Moctezumas: "Alucarda, la hija de las tinieblas" (1977).
7.) Das Auffinden der nackten Frauen zitiert Grau kurz darauf in seinem Vampirfilm "Ceremonia sangrienta": dort sind es dann allerdings die Opfer der Gräfin Bathory, die nackt zu zweit im Sarg aufgefunden werden, der innen ebenfalls lilafarben ausstaffiert worden ist.
8.) Vgl auch: Dr. Alberto Lázaro Lafuente: Spanish Readings of Le Fanu's "Carmilla". In: David Clark, Rubén Jarazo Álvarez (Hg.): In the Wake of the Tiger. Irish Studies in the Twentieth-First Century. Netbiblo 2010 (S. 81-92). Lafuente konzentriert sich vor allem auf die eigentlich untypische Abwesenheit von Beanstandungen der lesbischen Zwischentöne der Erzählung in den diversen spanischen Übersetzungen der 40er und 60er Jahre, streift aber auch Arandas Verfilmung und deren Aufnahme durch die Zensoren (denen die lesbische Betätigung hier immerhin nicht verborgen geblieben ist).
9.) In den 90er fiel Aranda überhaupt - und vor allem mit "Amantes"! - als einer der wenigen spanischen Regisseure neben Pedro Almodóvar auf, der als subversiv galt und sich mit den gewonnenen Freiheiten des postfranquistischen Kinos der franquistisch gefärbten, spanischen Kultur widmete. (Ein anderer war Bigas Luna, der ebenfalls 1991 mit "Jamón Jamón" Erfolge feierte, Arandas "Amantes" mit seinem Erotikthriller "Las Edades de Lulú" (1990) erheblich inspirierte und mit "Angustia" (1987) den wohl bedeutsamsten spanischen Horrorfilm der 80er Jahre inszenierte...) Seiner Rolle als kritischer & subversiver Filmemacher blieb Aranda damit über den Großteil seiner Laufbahn hinweg treu...