Was haben Et Mourir de Plaisir (...und vor Lust zu sterben), The Vampire Lovers (Gruft der Vampire), Lust for a Vampire (Nur Vampire küssen blutig) und The Blood Spattered Bride gemein? Richtig, sie alle basieren auf der klassischen, 1872 erschienenen Novelle Carmilla des irischen Autors Sheridan Le Fanu (28.8.1814 – 7.2.1873). Da ich Le Fanus Vampirgeschichte nie gelesen habe, kann ich nicht sagen, inwieweit es sich bei The Blood Spattered Bride um eine gelungene Umsetzung der Vorlage handelt. Aber das ist auch egal, denn Arandas Film ist großartig, werkgetreu oder nicht!
Es geht um ein jungverheiratetes Paar, das die Flitterwochen im alten Anwesen des Ehemannes verbringt. Wie sich herausstellt, ist das keine besonders gute Idee, hat doch eine gewisse Mircalla Karstein vor zwei Jahrhunderten ihren Mann ebendort in der Hochzeitsnacht getötet (man fand sie später apathisch im blutdurchtränkten Hochzeitskleid). Die etwas komplizierte Beziehung der beiden (sie - Maribel Martín, drei Jahre nach ihrer Rolle in Narciso Ibáñez Serradors meisterlichen La Residencia - trat als Jungfrau in den Hafen der Ehe ein und hat offensichtlich Angst vor ihrem dominanten Mann, er - Simón Andreu aus Forbidden Photos of a Lady Above Suspicion und Death Walks on High Heels - scheint eine unangenehme, sadistische Ader zu haben, die immer wieder zum Vorschein kommt) verschlimmert sich rapide, als die geheimnisvolle Carmilla (die charismatische Britin Alexandra Bastedo) erscheint, in deren Bann die frischvermählte Susan alsbald fällt. Und so nimmt das Unheil seinen unaufhaltsamen Lauf...
Von den oben genannten Carmilla-Verfilmungen gefällt mir The Blood Spattered Bride mit Abstand am besten, obwohl ich auch die anderen sehr gerne mag. Hauptgründe dafür sind der kraftvolle Sog, den die Geschichte entwickelt, die gelungene Kombination von gotischer Gruselstimmung, sexueller Freizügigkeit und deftigen Gewaltdarstellungen, die visuell erstklassige Umsetzung von Fernando Arribas, die tollen Darbietungen der Schauspieler(innen), die ihren komplexen Figuren glaubwürdiges Leben einhauchen, und das surreale Flair, das über allem schwebt. Die Sequenz, in der Susans Mann am Strand auf die nackt im Sand vergrabene Carmilla stößt (nur ein Fuß und das Atemrohr lugen aus dem Sand hervor), ist einfach nur wunderbar und wäre auch in einem Film von Jean Rollin nicht Fehl am Platze. Fast ebenso grandios ist die (Traum?)Szene, als Carmilla eines Nachts Susan besucht und ihr - begleitet von heftigen Stroboskopeffekten - einen alten Dolch überreicht, der im weiteren Verlauf der Handlung eine nicht unwichtige Rolle spielen wird.
Wenn man aus der Geschichte die übernatürlichen Aspekte herausfiltert (wobei Aranda vieles nur andeutet, aber nie dezidiert feststellt - ist Carmilla tatsächlich ein Vampir? Und wenn ja, existiert sie überhaupt, oder ist sie bloß ein von Susan geschaffenes Hirngespinst?), läßt sich das dramatische Geschehen als blutiger Kampf der Geschlechter interpretieren: der triebgesteuerte Mann, der nicht versteht, wieso seine Frau ihm nicht zu Willen ist und seinen Unmut darüber mit Gewalt kompensiert; die Frau, die sich dem animalischen Verhalten ihres Mannes widersetzt und in die sanften Arme einer dritten Person flüchtet; und Carmilla, die das gefährliche Dreieck komplettiert und Susan gegen ihren "Peiniger" aufbringt, was fatale Konsequenzen nach sich zieht. Im Prinzip ist The Blood Spattered Bride ein Drei-Personen-Stück; die vier zusätzlichen Figuren (Dean Selmier als Hausarzt, Montserrat Julió als Haushälterin, Ángel Lombarte als Jäger, und Maria-Rosa Rodriguez als deren gemeinsame Tochter Carol) spielen lediglich Nebenrollen, die jedoch vom Strudel der Gewalt mitgerissen werden. Das kompromißlose Ende dieses gemächlich erzählten Filmes schmerzt und schockt gleichermaßen; vor allem die scheinbare Emotionslosigkeit, mit der hier zu Werke gegangen wird, verstört.
The Blood Spattered Bride ist ein saustarker Schocker, der weit mehr zu bieten hat als die halbnackten, lesbischen Vampire, die gemeinhin mit den Carmilla-Filmen assoziiert werden. Mit The Blood Spattered Bride ist Vicente Aranda nicht mehr und nicht weniger gelungen als einer der besten und beeindruckendsten spanischen Horrorfilme der 1970er-Jahre. Ganz großes Kino!
PS: Der amerikanische Kombi-Trailer (The Blood Spattered Bride & I Dismember Mama) wird Arandas Film zwar nicht gerecht, ist aber ein kurioses, sensationsheischendes Unikum, das man gesehen haben muß. They don't make 'em like this anymore!