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„Boyz in the Hood“ gilt als realistischste filmische Aufarbeitung des tristen Ghetto-Alltags, Schauplatz ist die berüchtigte Gegend South Central in Los Angeles. Ähnlich wie das Blaxploitation-Kino (an dessen Funktionsweisen sich der Film wiederholt bedient) spricht der Film eine offensive Sprache und richtet sich direkt an die schwarze Bevölkerung Amerikas. Ausschließlich gedreht an Originalschauplätzen, mit Statistiken zum Thema versehen und auch auf diesen beruhend und unterlegt mit feinstem West Coast Hip-Hop von Ice Cube über Too Short bis hin zu Compton’s Most Wanted. Als erster Film zeigt er den Ghetto-Alltag ohne eine überlebensgroß stilisierte Geschichte zu erzählen. Jede Menge Herzblut der Beteiligten und persönliches Engagement steckt spürbar im Film und doch reichen all die positiven Aspekte, die man dem Film ohne Zweifel abgewinnen kann, nicht aus um dem guten Ruf des Films

Singleton verkauft seinen Film als realistisches Portrait einer chancenlosen Schicht und spricht ungemein viele wichtige Themen zur Emanzipierung der schwarzen amerikanischen Bevölkerung an, die Intention ist somit vergleichbar mit der Haltung Spike Lees. Anders als in den besten Filmen von Lee (z.B. „Malcolm X“ oder „Get on The Bus“) wird Singletons Drehbuch seinem komplexen Vorhaben ganz einfach nicht gerecht und ergeht sich in billiger Phrasendrescherei. Das findet seinen Höhepunkt als Laurence Fishburne (legt als Vater der Hauptfigur Tre ohnehin eine ziemlich eindimensionale Leistung vor) auf den Straßen Comptons zu seinen Mitbürgern spricht und alle sich sofort vor ihm versammeln, was zu einer politischen Debatte auf offener Straße führt. Hier umreißen die Dialoge tief gehende Problematiken wie den Generationskonflikt innerhalb der schwarzen Gemeinschaft – wofür Spike Lee ellenlange, geschliffene Drehbuchseiten und auch etliche Filmminuten aufbringt (siehe den Dialogfilm „Get on The Bus“) wird hier in recht exemplarisch gehaltener Form abgetan, neue Erkenntnisse bleiben da selbstverständlich aus. „Boyz in the Hood“ bleibt zu oberflächlich um von wahrer politischer Brisanz zu sein, wie zum Beispiel der sehr polemische „New Jack City“ – gerade die ruhige Stimmung und den authentisch gestalteten Erzählrhythmus verschenkt der Regie-Debütant leichtfertig an einen konventionellen Handlungsverlauf und an schlecht gecastete Darsteller.

Für Cuba Gooding Jr., späterer Oscar-Gewinner für seine Glanzleistung in „Jerry Maguire“ war es der Beginn einer holprigen Karriere, leider bewies der an sich talentierte Mime nur selten ein geschicktes Händchen in der Rollenauswahl (ich sag nur „Snow Dogs“, „Radio“, „Fighting Temptations“). In seiner ersten tragenden Rolle zeigt sich Gooding motiviert und wirkt durchaus sympathisch – doch das nötige Leinwand-Charisma fehlt einfach, das letzte Quäntchen Glaubwürdigkeit, der Funke springt einfach nicht über. Vielleicht liegt es an der Vielzahl melodramatischer Szenen, das Gooding zeitweilig wie ein Soap-Star rüber kommt. In einem stärkeren Ensemble wären die einzelnen Unzulänglichkeiten vielleicht nicht so nuanciert zu sehen, schauspielerisch bekommt der Hauptdarsteller nur wenig Rückendeckung. Erstaunlicherweise erscheinen die zahlreichen Nebencharaktere lebensnäher als die Haupt-Protagonisten, auch wenn unverkennbar jedes Klischee bedient werden muss. Ice Cube, Hip-Hop Legende und Gründungsmitglied von N.W.A., erscheint zunächst als ideale Besetzung für einen Film über das Leben in South Central bzw. in Compton, schließlich portraitierte er in seiner Musik bereits einschlägige Themen. Tatsächlich spielt Cube die beste Rolle seines Lebens (nur in „Three Kings“ hat er mir gefallen), was aber im Hinblick auf die schauspielerischen Fähigkeiten des Rappers nicht viel bedeutet. In einer kleineren Nebenrolle hätte er sicher eine repräsentative und angemessene Leistung erbracht, gerade im emotionalen Schlussteil wird aber einfach zuviel vom kalten Cube abverlangt, da reichen die in den stilisierten Musik-Videos angeworbenen Skills einfach nicht aus um glaubhaft den Verlustschmerz und die eigene Perspektivlosigkeit darzustellen.

Singleton versteht das Mileu welches er schildert voll und ganz, unter Beratung echter Gangmitglieder eignete sich der Regisseur und Drehbuchautor enormes Wissen an, versucht dieses aber die für ein solches Anliegen zu wässerige Story damit voll zu klatschen und so mangelt es an der nötigen Konsequenz. Die sentimentalistischen Sequenzen stehen im krassen Kontrast zum eigenen Realitätsanspruch, die Aussage versinkt in undistanzierter Verklärung.
Darüber hinaus bläht Singleton die Mannwerdung des Hauptcharakters zu einer konservativ-puritanischen Erziehungsstunde auf – viel zu viele Dialoge schwingen die Moralkeule und es fehlt die Prägnanz.

Innerhalb der schwarzen Bevölkerung Amerikas schlug der Film ein wie eine Bombe und entwickelte sich schnell vom Kassenschlager zum Kultfilm. Eine Erklärung hierfür ist die neue Stilrichtung, die der Film einschlägt, und die bisher kaum gekannten Identifikationsmöglichkeiten, vor allem für ein junges schwarzes Publikum. Singletons starker Inszenierungsstil nimmt allerdings deutliche Anleihen bei klassischen Blaxploitern, was sich noch stärker in seinem nächsten Film, „Poetic Justice“, ausdrückt. Doch schon in „Boyz N The Hood“ wird deutlich: Die Sozialkritik wirkt aufgesetzt angesichts der prätentiösen Darstellung und verliert ihre Glaubwürdigkeit.

Fazit: Ein wichtiger Film für das New Black Cinema, in Anbetracht der schauspielerischen Defizite und der pseudo-realistische Verpackung aber kein großer Wurf. Singleton liefert saubere Arbeit in der Inszenierung seines Debüt-Films, versagt aber als Drehbuchautor und wird seiner selbst auferlegten Komplexität nicht gerecht.

04 / 10

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