Im Oktober 2020 veröffentlichte das Label Pidax eine drei Kurzfilme umfassende Zusammenstellung klassischer deutscher Weihnachtsfernsehspiele aus den Jahren 1963, 1966 und 1970. Alle drei Filme wurden offenbar ewig nicht mehr im TV (und wenn, dann weitestgehend unbemerkt) ausgestrahlt, doch ihre Wiederentdeckung lohnt sich.
„Winterquartier“ ist eine frühe Regiearbeit des deutschen Found-Footage-Pioniers Rainer Erler („Die Delegation“) nach einer Kurzgeschichte O. Henrys, die sich anlässlich des Weihnachtsfests den gesellschaftlich Ausgestoßenen, am unteren Rand der Gesellschaft lebenden Menschen in Person des obdachlosen Tippelbruders Soapy (Alfred Balthoff, „Peter Pan“) widmet. Dieser benötigt dringend ein Winterquartier und hat sich nach Abwägung der wenigen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten dazu entschlossen, eine Zeitlang freiwillig ins Gefängnis zu gehen. Mit Diebstählen und Vandalismus versucht er, die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zu lenken, doch zu seiner Enttäuschung begegnet man seinen Taten stets mit viel Nachsicht, sodass sein Plan zum Scheitern verurteilt scheint. Erst als er in seiner Verzweiflung eine Kirche aufsucht und um göttlichen Beistand bittet, fällt er ohne, dass er damit gerechnet hätte, gewissermaßen der Strenge und lediglich geheuchelten Nächstenliebe der Kirche zum Opfer und gelangt dadurch an sein Ziel. Erler hat diese Geschichte in Form einer leisen Komödie inszeniert, die den Obdachlosen zur Identifikationsfigur macht , die Deutschen zur Weihnachtszeit als liberales und verständnisvolles Völkchen zeichnet und in ihrer Pointe einen Seitenhieb auf den Klerus bereithält. Ein schöner kleiner Schwarzweißfilm mit viel Herz und einer Hauptrolle, die Balthoff mit gebührendem spitzbübischem Charme verkörpert.
„Der geborgte Weihnachtsbaum“ von Regisseur Dietrich Haugk („Agatha, laß das Morden sein!“) nimmt sein Publikum im Jahre 1966 mit ins Nachkriegsberlin des Jahres 1947, in dem ein Vater (Walter Giller, „Gern hab ich die Frauen gekillt“) seinem Sohn Bruno (Michael Nowka, „Das Fahrrad“) mit viel Improvisationsgeschick und soweit es die Umstände zulassen ein möglichst schönes Weihnachtsfest bieten will. Doch nicht nur Lebensmittel sind knapp, auch an den Kauf eines Weihnachtsbaums ist kaum zu denken. Da beschließt er, eine geeignete Tanne aus dem Park auszugraben, in einer mit Wasser gefüllten Zinkwanne in der Wohnung aufzustellen und anschließend wieder zurückzubringen. Doch all das muss heimlich geschehen – und der örtliche Schutzpolizist (Wolfgang Völz, „Finale in Berlin“) ist ihm auf den Fersen... Gut 20 Jahre nach Kriegsende ruft Dietrich Haugk die Folgen des Zweiten Weltkriegs in seinen Schwarzweißbildern des in Ruinen liegenden bzw. sich langsam wieder aufbauenden Berlins ins Gedächtnis. Politik spielt hier keine Rolle, stattdessen wird anhand eines Einzelschicksals exemplarisch herausgestellt, was es bedeutete, innerhalb dieser Situation zu versuchen, Weihnachten zu feiern. Die ans Herz gehende Geschichte wird um eine Romanze um Frieda (Carla Hagen, „Bis zum Ende aller Tage“), eine Ex-Freundin des Vaters, angereichert und mit viel Berliner Schnauze und Mentalität gespielt. Besonders die Dialoge sind sehr ausgefeilt und verhindern, dass eine melodramatische oder bedrückende Stimmung die Oberhand bekäme. Für die authentisch wirkenden, sympathischen Figuren hat es ein versöhnliches Ende, das jeglichen Kitsch geschickt umschifft. Ein wundervoller Herzwärmer, der daran erinnert, worauf es an Weihnachten wirklich ankommt – und das ist sicher nicht der Baum, der hier lediglich als Symbol dient.
„Der Hirte Manuel“, die einzige in Farbe gedrehte Geschichte dieser Sammlung, stammt von Autor Dieter Heuler und Regisseur Edmund Steinberger, erstausgestrahlt wurde sie im Jahre 1970. Laut OFDb handelt es sich um die einzige Regiearbeit Steinbergers. Sein Film spielt im tiefsten Bayern, was im übrigen Teil Deutschlands zu gewissen Verständnisproblemen führen kann (hier wären eventuell Untertitel ratsam gewesen). In einer verschneiten kleinen Gemeinde werden aus der Krippe in der Dorfkirche die Kleider und die Kronen der Figuren entwendet, der Skandal ist perfekt – zumal auch noch ein Käsebrot und eine Weinflasche in die Krippe gelegt wurden. Zur nächsten Messe bringt jedoch der alte Hirte Manuel (Ludwig Schmid-Wildy, „Onkel Filser – Allerneueste Lausbubengeschichten“) die entwendeten Devotionalien brav zurück – und erklärt dem verdutzten Pfarrer (Georg Hartl, „Der Schusternazi“) und dem autoritären Wachtmeister (Max Grießer, „Witwen“), weshalb diese Gegenstände seines Erachtens nichts in einer Weihnachtskrippe verloren haben... In pittoresken Bildern einer Dorfidylle im meterhohen Schnee skizzieren Heuler und Steinberger eine Dorfdynamik mit Getratsche, durch das der eigentliche Vorfall immer weiter aufgebauscht wird, und legen die Sage um Jesus’ Geburt eher sozialistisch aus, was nicht nur die Dorfoberen fassungslos macht, sondern, sollte dieses Fernsehspiel damals tatsächlich in Bayern ausgestrahlt worden sein, möglicherweise erklärt, weshalb Steinberger danach keine Filme mehr machen durfte...
Alle drei Kurzfilme sind echte Herzwärmer und wussten mich an Heiligabend beim Warten auf die Bescherung wunderbar zu unterhalten, zudem sind sie überraschend gut gealtert und verkünden wenig zeitgebundene, universelle Botschaften. Danke an Pidax für dieses Kleinod! Sollten noch weitere Weihnachtsfernsehspiele dieser Qualität produziert und ausgestrahlt worden sein, bitte ich um eine Fortsetzung.