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Belfast, 1971. Eine Straße zwischen trostlosen Häuserzeilen. Steine liegen auf der Straße, Verlassenheit, Wut und Angst liegen in der Luft. Brennende Autowracks. Kampfzone. Ein Konvoi britischer Militärfahrzeuge biegt um die Ecke, als Begleitschutz für eine Hausdurchsuchung der Polizei. Anwohner schlagen mit Mülldeckeln auf die Straße, die Stimmung ist von Beginn an kurz vor der Explosion. “Wir sind für die Menschen da“, hat der unerfahrene Zugführer vor dem Einsatz erklärt, und befohlen, die Kampfausrüstung in der Kaserne zu lassen. Die Menschen lassen von vornherein keinen Zweifel daran, was sie mit den Soldaten vorhaben, sollten diese jemals in ihre Hände fallen. Der Hass ist körperlich zu spüren (sogar für den Zuschauer auf dem Sofa), und die unerfahrenen Rekruten schrecken zurück vor dieser Wut. Die Hausdurchsuchung eskaliert, zwei junge Soldaten werden von den Kameraden getrennt und zusammengeschlagen. Eine Frau versucht zu vermitteln, da kommen zwei Jugendliche ums Eck, fast Kinder noch, und schießen den einen Soldaten ins Gesicht. Tot. Der andere Soldat kann flüchten, verfolgt von den bewaffneten Männern der IRA. Ein Labyrinth von immergleichen Gassen und Häusern, zwischen stacheldrahtbewehrten Mauern und Hinterhöfen. Kernland der IRA. Menschenjagd.

Es ist Nacht. Das orangefarbene Licht der Karbonlampen, leere Straßen zwischen toten Häusern. Der Soldat kommt aus seinem Versteck und läuft durch die Straßen. Er will wieder zurück in die Kaserne, in die Sicherheit, aber der Todesstreifen, in dem er sich bewegt, schaut überall gleich aus. Um den Soldaten die Orientierung zu erschweren gibt es keine Straßenschilder, alle Häuser sind verrammelt. Ein Kind hilft ihm durch eine protestantische Straßensperre zu kommen. Die beiden gehen in einen Pub. Doch dort sieht der Soldat Dinge, die er besser nicht sehen sollte. Er erkennt Angehörige seines eigenen militärischen Geheimdienstes, und er sieht eine Bombe, die kurz darauf explodiert. Er ist verletzt. Und er wird nun nicht nur gejagt von den Männern der IRA, sondern auch von den eigenen Männern. Denn dass die Briten im Auftrag der RUC Bomben legen, das darf keiner erfahren.    

Ein Pärchen hilft dem Schwerverwundeten. Sie bringen ihn in ihre Wohnung und verarzten ihn. Der Mann ruft einen Bekannten an, einen Unterführer der IRA. Der selber auf der Abschussliste steht, weil er mit den Briten kollaboriert. Und der von anderen Männern der IRA beschattet wird, die so auf die Spur des Soldaten kommen. Im Wohnblock des Pärchens eskaliert die Situation …

Der Film spielt weitgehend in einer einzigen Nacht. Er ist düster. Bedrohlich. Und unglaublich dicht. Die Finsternis in den Menschen und in der Stadt ist fast mit den Händen zu fassen. Wenn der Soldat flüchtet ist die Kamera oft ganz nah beim ihm und zeigt, was er von seiner Umwelt wahrnimmt: Verschwommene Schemen, die sich nicht unterscheiden lassen in gut oder böse, in Ausgang oder Mauer, in Helfer oder Mörder. Der Soldat bewegt sich in einem Labyrinth. Einem Labyrinth der Angst. Der Gewalttätigkeit. Der Ausweglosigkeit. Ähnlich wie in Carol Reeds AUSGESTOSSEN, wo James Mason verletzt durch einen winterlichen Irrgarten namens Dublin flüchtet, ohne jemals wirklich einen Ausweg zu haben.

Meine Frau hat hinterher gesagt, dass ’71 nicht gut ist für die Seele. Das ist er wahrlich nicht. Er ist böse und traurig. Aggressiv und finster. Wahnsinnig spannend und äußerst niederschmetternd. Und noch was ist er: Verdammt gut!

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