Die Buchvorlage kommt vom gleichen US-Publisher wie die zu „Ich bin Nummer Vier“, die Produktionsfirma Summit bringt seit ihrer „Twilight“-Reihe immer gerne Adaptionen von Young-Adult-Romanen – man kann „Divergent“ nicht vorwerfen man wisse nicht worauf man sich einlasse.
Ein Grund für die Umsetzung der erst 2011 veröffentlichten Vorlage dürfte auch der Erfolg der „Hunger Games“-Franchise sein, an den sich „Divergent“ kaum verhohlen anlegt. Wobei „Divergent“ sich anfangs eher als Utopie, nicht als Dystopie gibt, doch im Film entpuppen sich eigentlich alle Utopien zwangsläufig als Dystopien, damit Konflikt da ist. Hier also gab es erst den obligatorischen Big Bang, dessen Wiederholung dadurch verhindert werden soll, dass alle Menschen nun ihren Fähigkeiten und ihrer Veranlagung nach in fünf Fraktionen eingeteilt werden: Candor (Rechtsgelehrte), Amity (Bauern), Erudite (Lehrer und Wissenschaftler), Dauntless (Sicherheitskräfte) und Abnegation (Sozialhelfer). Die selbstlosen Abnegation-Mitglieder stellen auch die politische Klasse und können daher eine utopische Knuddelherrschaft der Gerechten im Großraum Chicago, der Zufluchtsstätte der Überlebenden, ausrufen.
Zu dieser Klasse gehört auch die 16jährige Beatrice Prior (Shailene Woodley), die nun das Alter erreicht hat, in dem sie sich für eine Fraktion entscheiden muss. Traditionell folgen die meisten jungen Leuten ihren Eltern, Wechsel sind aber möglich – doch es gilt: „Fraction before blood.“ Wer keine Fraktion hat, der muss als Bettler auf der Straße leben, wer beim Test zur Bestimmung der optimalen Fraktion als Divergent, also quasi offen für alles, gebrandmarkt wird, der gilt als potentieller Terrorist, weil nicht zu kontrollieren. Genau dieses Ergebnis bekommt Beatrice, als Tori (Maggie Q) sie prüft, doch ihr Ergebnis zu ihrem Schutz unter den Teppich kehrt.
Bei der Wahl entscheidet sich Beatrice gegen Abnegation und für Dauntless, während sich ihr Bruder Caleb (Ansel Egort) für Erudite entscheidet, womit ihre Eltern Andrew (Tony Goldwyn) und Natalie (Ashley Judd) beide Kinder an andere Fraktionen verlieren. Bald muss Beatrice, die sich nur noch Tris nennt, merken, dass Erudite hinter den Kulissen Abnegation die Macht wegnehmen will…
Dystopien stehen derzeit ja gerade hoch im Kurs, siehe beispielsweise „Oblivion“, „Snowpiercer“ oder das „Hunger Games“-Sequel „Catching Fire“, dazu die mal mehr („Twilight“, „Hunger Games“), mal weniger erfolgreiche („Ich bin Nummer Vier“, „Mortal Instruments“) Young-Adult-Schiene – im Falle von „Divergent“ trafen die Macher mit ihrem Zielgruppenkino jedenfalls in Schwarze, nach dickem Einspiel werkelt man bereits an der Adaption des zweiten Buches, was immerhin inhaltlich ein Gewinn sein könnte, denn „Divergent“ fühlt sich stets wie eine Vorgeschichte zu tatsächlichen Ereignissen an, wie eine rund 110minütige Exposition, an die man zwar noch einen eher halbherzigen Showdown getackert hat, auf den allerdings erst die wirkliche Geschichte folgen wird. Das mag ja in Buchform durchaus funktionieren, die detaillierte Beschreibung von Tris‘ Ausbildung kann man mit der Zauberschule aus dem „Harry Potter“-Universum vergleichen, in dem ebenfalls einige Filme daran krankten, dass sie nicht so recht die Balance zwischen dem Gute-Youngster-gegen-böse-Mächte-Plot und der Coming-of-Age-Geschichte fanden.
Subtil ist „Divergent“ in seiner Beschreibung der futuristischen Pubertät nicht: Unsicherheit wohin man gehört, Abnabelung von oder Rebellion gegen die Eltern, das Finden neuer Freunde in einer neuen Schule – überdeutlich zeigt „Divergent“ das Fraktionssystem als überspitzte Parallele zum Lebensgefühl von heutigen Jugendlichen. Den Holzhammer-Metaphern zum Trotz schlägt sich „Divergent“ im Coming-of-Age-Bereich durchaus respektabel, zeigt wie Freundschaften unter dem militärischen Drill der Dauntless entweder zerbrechen oder gefestigt werden, wie sich Tris vom unsicheren Mädchen zunehmend zur willensstarken jungen Frau entwickelt, die beim Training in der Erudite-Armee mit Konkurrenzdruck und Strapazen zu kämpfen hat, denn Jahrgangsschlechtesten werden als Fraktionslose aussortiert, was überraschend harte Konsequenzen innerhalb der Handlung hat.
Dass „Divergent“ dahingehend so gut funktioniert, liegt vor allem „The Descendants“-Entdeckung Shailene Woodley in der Hauptrolle. Der Nachwuchsstar spielt die Rolle der kämpferischen jungen Powerfrau fast so gut wie „Hunger Games“-Kollegin Jennifer Lawrence. Zoë Kravitz, Miles Teller und Ben-Lloyd Hughes als Fraktionskameraden empfehlen sich ebenfalls als Nachwuchstalente, während Tony Goldwyn, Ashley Judd und Ray Stevenson in ihren Nebenrollen trotz weniger Szenen durch und durch überzeugen. Maggie Q kommt kaum zum Zuge und kann keine Akzente setzen, ebenso Mekhi Phifer, während Kate Winslet als ultrablauäugige, ultrablonde, sprich: ultraarische Fieslingschefin bloß eine Routineleistung abliefert. Negativ fallen dagegen zwei Leute auf: Zum einen Jai Courtney, der seinen offensichtlich als Schurken angelegten Eric mit der Attitüde eines Schulhof-Bullys und dem Aussehen eines geschmacksverirrten Emo-Punks spielt, dabei aber immer bloß hohles Posing abliefert. Zum anderen Theo James als Love Interest der Heldin, der sich auch gerade mal mit ein oder zwei Gesichtsausdrücken begnügt.
Doch in den fürs Young-Adult-Genre fast schon obligatorischen Romantikszenen stößt nicht nur James‘ mangelnde Ausstrahlung sauer auf, sondern auch die plump-klischeehafte Inszenierung derselben. Schon dann, wenn Tris ihren Ausbilder Four (Theo James) das erste Mal sieht, wird das als peinlicher Hin-und-weg-von-dem-Kerl-Moment inszeniert, später werden die gestelzten Annäherung dann auch noch ganz dick mit Teeniepop zugekleistert, meist von Ellie Golding, der sich ebenso klebrig-süß wie die unsubtil in die Gehörgänge drängt, den Zuschauer geradezu niederknüppelt und ganz dick schreit: Diese Szene, die ist übrigens romantisch gemeint.
Wesentlich besser schlägt sich Regisseur Neil Burger mit der Inszenierung der Zukunft von „Divergent“. Zwar sind die Vorbilder für das Styling offensichtlich, etwa die indisch inspirierten Amity-Kostüme, das Parkour- und Punk-Auftreten von Dauntless oder das an die Amish angelehnte, minimalistische Abnegation-Styling, doch Burger beweist visuellen Einfallsreichtum, gerade bei Expeditionen in die Vorstellung der Jugendlichen, das CGI-gebaute Zukunfts-Chicago macht trotz der nicht immer state-of-the-art-Tricks durchaus was her und auch sonst ist die Grundidee eine durchaus interessante: Wie würde so ein System funktionieren? Können Fraktionen stärker als Verwandtschaft sein? Wie gewappnet ist es gegen menschliche Faktoren wie Jeanines Matthews‘ (Kate Winslet) Machtübernahmeversuche?
Doch es bleibt in „Divergent“ im Grunde beim Bauen dieser Welt. Am Ende hat sich der Feind formiert, der Sieg von Tris und ihren Getreuen ist eher eine Art Achtungs- bzw. Minimalerfolg, auch wenn der Film überraschend konsequent im Showdown ist: Tris verliert einige Nahestehende, muss einen davon sogar selbst töten. Doch es ist eben nicht mehr als eine zu erledigende Pflichtschuldigkeit, die Neil Burger immerhin als ganz brauchbares Spektakel umsetzt. Hier, wie bei den kurzen Actionszenen während der Ausbildung (Nahkampf, Messerwurf, Schießtraining) wird er von dem versierten Fight Choreographer J.J. Perry unterstützt, doch Schauwerte sind nicht das Hauptaugenmerk des Films, weshalb das Ganze eben auch nie dauerhaften Erinnerungswert hat.
Ein gewisse Kurzweil kann man „Divergent“ nicht absprechen, trotz der holprig inszenierten Romantikszenen, des mitunter grauslichen Soundtracks und Holzhammer-Metaphern (bei den Machtvorstellungen der Erudite wird nicht mit überdeutlichen Faschismus- und NS-Parallelen gespart). Shailene Woodley weiß den Film zu tragen, der Coming-of-Age-Part funktioniert, doch am Ende erscheint das Ganze nach einem drangetackert anmutenden Showdown nur wie ein Ausblick auf kommende Ereignisse – die haben hoffentlich mehr Drive.