Review

Spezifische Literatur für Heranwachsende - männliche wie weibliche - gibt es schon seit Jahrzehnten, aber die großen Filmstudios hielten meist Abstand von diesen Stoffen. Zu sehr waren sie auf eine überschaubare Zielgruppe zugeschnitten, als das ihre Verfilmung einen Erfolg an der Kinokasse versprochen hätte. Mit dem weltweiten Durchbruch von "Harry Potter" änderte sich diese Haltung, denn mit der letztlich sieben Bände umfassenden Saga über den Zauberlehrling gelang es, breite über Generationen reichende Leserschichten zu erreichen, in dem die Autorin die Coming-of-Age-Thematik mit der Komplexität klassischer Fantasy-Literatur wie "Der Herr der Ringe" verband.

Die Nachfolger warteten noch mit echten Neuerungen auf. Die "Twilight"-Reihe kombinierte die pubertären Empfindungen weiblicher Jugendlicher mit der Morbidität der Vampir-Welt und die drei "Hunger Games" - Episoden spielten vor dem Hintergrund einer futuristisch anmutenden Diktatur. Zudem stand die weibliche Protagonistin nicht nur als Love-Interest für zwei konkurrierende coole Jungs im Zentrum des Geschehens, sondern auch als überragende Kämpferin - optisch selbstverständlich nicht vom gefälligen weiblichen Bild abweichend. "Twilight" konnte noch einen Hype entwickeln, aber bei "Hunger Games" gaben die Produzenten erst nach dem Erfolg des Erstlings die Fortsetzung in Auftrag, in der nicht zufällig der Härtegrad weiter angezogen wurde.

Denn die Kalkulation, einen Mix aus romantischen Verwicklungen und knallharter Action auf die Leinwand zu bringen, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen, verlor zunehmend an Attraktivität. "Seelen" (2013), der Nachfolger der "Twilight"-Autorin, der bei den "Körperfressern" klaute ("Invasion of the Body Snatchers" (1956)), und die "Chroniken der Unterwelt" (2013) floppten ebenso wie der deutsche Ableger "Rubinrot" (2013). Während in den Büchern noch eine gewisse Komplexität vorhanden blieb, scheinen die Filmemacher inzwischen zu glauben, die emotionale Entwicklung der weiblichen Protagonistin auf ein Minimum reduzieren zu müssen, um mit möglichst viel Action und Computer-animierten Szenarien zumindest noch das typische Blockbuster-Publikum zu erreichen. Auch die "Harry Potter"-Verfilmungen setzten voraus, dass die Betrachter die Bücher kannten, um die vielen Details und Zusammenhänge zu verstehen, aber die Macher konnten sich noch auf eine große Leserschar verlassen, während die neuere Jugend-Literatur größtenteils von der avisierten weiblichen Zielgruppe verschlungen wurde.

Ohne dieses Hintergrundwissen bleiben die gewählten Zukunftsvisionen oberflächlich, nur als emotional kalkulierter Hintergrund für typische Action und eine wenig differenziert gestaltete Liebesgeschichte geeignet - eine Schwäche, die auch der filmischen Umsetzung der dreiteiligen Buchreihe "Divergent" anzumerken ist. Dabei ließe sich das Szenario einer post-apokalyptischen Gesellschaft, in der die übrig gebliebene Bevölkerung von Chicago in fünf Kategorien eingeteilt wird, in der Jeder eine feste, seinen Fähigkeiten entsprechende Funktion übernimmt, als klassische Situation eines Heranwachsenden während der Pubertät interpretieren, die von der Unsicherheit über die eigenen Bedürfnisse und Ziele geprägt wird. Das Gefühl, "divergent", also "unbestimmt" zu sein, ist in dieser Phase vorherrschend – womit auch die Sehnsucht der aus einem braven Elternhaus stammenden Protagonistin nach einem abenteuerlichen Leben bei den "Ferox" verständlich wird - aber der Film nimmt diese Konstellation nur wörtlich, dabei gleichzeitig seine selbst aufgestellten Regeln missachtend.

Ähnlich wie in "Hunger games" setzt die Handlung in dem Moment ein, indem ein offensichtlich jahrzehntelang funktionierendes System brüchig wird, ohne diese Entwicklung näher zu begründen. Beatrice (Shailene Woodley) wird von ihrer liebevollen Mutter Natalie (Ashley Judd) auf die wichtige Prozedur der „Bestimmung“ im 16.Lebensjahr eingewiesen. Sie hofft, dass ihre Tochter sich für die "Altruan" entscheidet, die sich selbstlos um jeden Menschen kümmern und deshalb auch der Gemeinschaft vorstehen. Natalies Bruder Peter (Miles Teller) steht vor derselben Aufgabe, obwohl es sich nicht um ihren Zwillingsbruder handeln soll - eine gegen das Gesetz verstoßende Variante des Films, die letztlich Niemand interessiert. Viel mehr stellt sich die Frage, wieso Beatrice nicht von ihrer Mutter, die - wie sich später herausstellt - über sehr viel Hintergrundwissen verfügt, darauf hingewiesen wurde, wie gefährlich es ist, "divergent" zu sein?

Der Film entwickelt seine Story nach der Spannungs-Methode "Häppchen für Häppchen", die immer wieder neue, unumstößliche Wahrheiten rausrückt, als ob vorher Niemand innerhalb der überschaubaren, nah zusammenlebenden Gesellschaft davon gewusst hätte. Erst fällt Beatrice aus allen Wolken, dass sie "eine Unbestimmte" ist, dann erfährt sie, nachdem sie sich für die coolen "Ferox" entschieden hatte, dass eine schwierige Aufnahmeprozedur folgt, bei der Viele aussortiert werden. Mit der unerwarteten Konsequenz, dass diese Loser später keiner Gruppe mehr angehören dürfen und zu ewigem Penner-Dasein verdammt sind. Daraufhin stellt sich noch heraus, dass die "Unbestimmten" gejagt werden, weil sie wegen ihrer Individualität als Gefahr für die nach festen Regeln funktionierende Gemeinschaft angesehen werden. Treibende Kraft hinter dieser (neuen?) Entwicklung ist die Ober-Intelligenzbestie Jeanine (Kate Winslet), deren Legitimation für diese Funktion innerhalb einer nicht hierarchischen Lebensform - sieht man einmal von ihren Mörder-High-Heels ab - nicht begründet wird. Ähnlich wie der Umstand, dass es in Chicago zwar von Zukunftstechnologien wimmelt, die Gebäude der Stadt aber noch die Narben des Krieges aufweisen.

Alles in "Divergent" atmet die bekannten Klischees - die geistige Elite in Business-Klamotten, die Altruisten in Sack und Leinen, als ob Selbstlosigkeit vom Kleidungsstil abhängig wäre, und die coolen "Ferox" in Leder und von Tattoos verziert. Da stört es dann auch nicht mehr, dass es bei den "Ferox" weder Kinder, noch Menschen über 30 gibt - in den Büchern wird das näher erläutert, aber im Film würde das nur stören, denn bevor "Divergent" in einem unglaubwürdigen Putsch-Versuch mündet, widmet er sich fast ausschließlich dem verklausulierten Jugend-Camp, in dem sich Beatrice, jetzt "Tris" genannt, gegen harte Konkurrenz durchsetzen muss und ihre Liebe zum tapferen Four (Theo James) entdeckt, dem selbstverständlich anständigsten "Ferox" seit Menschengedenken.

In "Divergent" gibt es eine Menge zu sehen - ein post-apokalyptisches Szenario, viel Action, moderne Technik, junge unschuldige Liebe und wahre Freundschaft - aber leider im Stil eines Gemischtwarenladens, der Jedem irgendetwas bieten will. Handlungsbogen, Logik und Charakterzeichnungen blieben dabei auf der Strecke und lassen den Eindruck entstehen, dass die Macher glauben, dem Publikum jeden Müll verkaufen können, so lange das Blockbuster-Schleifchen darum gebunden wurde. (3/10)

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