Zwei wunderschöne junge Frauen treffen in höchster Erregung aufeinander: sie haben sich verzweifelt gesucht – und gefunden! Die blonde Frau, ganz mächtige Lippen, erfleht die Hilfe des brünetten Topmodels. Diese, tatkräftige Powerfrau, lässt sich nicht lang bitten, wirft ihre Oberbekleidung ab, das volle Haar in den Nacken und entblößt Hals & Schultern. Gierig stürzt sich Goldielock darauf, presst ihre heissen Lippen voller Begierde auf die nackte Haut. Wolllüstig wirft Brünett den Kopf zurück, Lockenpracht weht im Wind, sie schließt genießerisch die Augen, ihren Lippen entringt sich ein leidenschaftliches Seufzen. Ein junger Bursche kauert abseits, unter ihnen, wendet verzweifelnd den Blick ab: diese zwei Schönheiten sind für ihn unerreichbar.
Das ist, in meiner Erinnerung bestimmt maßlos verzerrt, die aufregendste Szene des Films. Endlich schien der jugendfreie Mainstream-Charakter aufzubrechen, das Tabu gleichgeschlechtlicher Liebe erschien mit Ausrufezeichen, viel zu spät im Film, doch der Ausrutscher blieb isoliert, man ließ die Idee gleich wieder verhungern. Doch wieder nur BFF... Die Andeutung wurde sofort ignoriert, ein spielerisches „vielleicht...“ blieb kurz in der Luft hängen und verflüchtigte sich rasch, als habe es sich nur um einen Insider-Scherz gehandelt, der dem Publikum sagen soll: „Seht her, ich weiss, worauf Ihr spekuliert! Und das werdet Ihr nicht kriegen!“
Ja, leider traut sich „Vampire Academy“ nicht viel. Doppelbödig ist VA nicht. Die kindliche Zielgruppe darf nicht verschreckt werden. Konnte man übrigens schon am Anfang sehen.
In vielen Filmen und Stücken sind die ersten Minuten die wichtigsten: oft passiert mir, dass ich zu Beginn Sachen sehe (naja, „Fehler“, nicht bloß „Sachen“), an die ich mich nach einigen Minuten gewöhnt habe, die mir dann nicht mehr (störend) auffallen. Z.B. bei „Vampire Academy“ waren die ersten Reaktionen völliger Unglaube angesichts der Ausstattung: „Wie billig ist das denn?!“ und mächtiger Schock: „Wieso müssen die zwei Hauptfiguren so viel reden? Einander ihre ganze, eigene, gemeinsame Vorgeschichte erzählen? In dieser extrem langweilig-billigen Auflösung eines Dialogs?“. Dazu verblüfftes Augenreiben: „Was haben die Frauen mit ihren Lippen angestellt?“
In VA allerdings konnte ich mich nicht dran gewöhnen. Meine erste Panik sollte sich bestätigen. Ich komme gleich darauf zurück.
Interne Reviews gibt es auf OFDB noch nicht. Wer „extern“ liest, kannn erfahren, dass VA ein Mix aus Internats-, High-School-, Vampir- und Familienthriller-Film ist, gezielt auf Kinder/Jugendliche: „Harry Potter“, „Twilight“, „Mean Girls“, „Snow White“ lassen grüßen und provozieren den Vergleich. Dazu strudeln noch andere Genres rum, doch da fallen mir nur mühsam, oder gar keine, klassischen Jugendfilm-Titel ein. Es geht um Familiengeheimnisse, unklare Erbfolgen, Leute sind „Auf der Flucht“, wachen in Hotelzimmern auf, die Häscher schon vor der Tür, junge Frauen werden von unglaublich attraktiven Karatemeistern zu Kampfmaschinen umgepolt. Bestenfalls kommen mir in den Sinn: „Getaway“, „Atemlos – Gefährliche Wahrheit“, „Chroniken der Unterwelt – City of Bones“, „Nikita“ (und dazu zahllose Remakes und Serien), „Cyborg 2“, extern werden noch Film Noir und „The Brick“ genannt.
Doch leider lässt VA da im Vergleich viel zu wünschen übrig. Wer überhaupt an eine, oder gar eine großzügige Ausstattung gewöhnt ist, an Kinoästhetik statt redender Köpfe, der leidet hier. Die Prügeleien sind gleichzeitig brutal, aber kinderfernsehgerecht, die Räume sehen zum Teil aus, als seien die Ausstatter nach Errichtung der Wände vorzeitig ausgestiegen. Dafür haben sie sich an den Lippen der zwei Heldinnen ausgetobt: Rose wird ständig von grellem Lippenstift verunziert, oft hat sie rot-orange Flecken im Gesicht, und Lissas riesige überdimensionale Lippen dominieren ihr Gesicht, als wären sie im „Rocky Horror Picture“-Vorspann oder bebilderten Warnungen vor Schönheits-OPs.
Man merkt immerhin, dass Mark Waters der Regisseur der Lindsay Lohan-Vehikel „Freaky Friday“ und „Girls Club“ war: die Mono- und Dialoge bemühen sich um ähnliche Schlagfertigkeit und spitze Zunge, gerade Roses bissige Off-Kommentare sind für mich die größte Stärke von VA, doch in dem Horror-/Vampir-Milieu wohl so ungewohnt, dass eigentlich nur ich im fast leeren Kino lachte (in „Twilight“ war der Humor ja eher unfreiwillig...). Dabei schufen Roses Bemerkungen einen willkommenen Gegenpol zu manch peinlichem Pathos, das in den Kampfszenen triefte, von Gabriel Byrnes zerlaufender Verwesungsfratze, den kugeligen „Psi-Hunden“ (aus dem Computer) und vor allem aus Lissas ätzender Schlussansprache, die offenbar unter extremen Zeitdruck geschrieben/gesprochen/gedreht/synchronisiert worden war: so heruntergenudelt konnte der deplatzierte Versuch einer Moral auf erhobener Bühne (das Setting könnte aus „Mean Girls“ stammen) nur scheitern. Selbst die unnötig herumfahrende Kamera half da nichts (wie sie in kaum einem Film hilft, trotzdem aber inflationär missbraucht wird).
Ein noch größeres Problem (siehe oben die Liste der Vergleiche): Zu viel wurde hineingepackt. Nicht nur zu viele Filmgenres sollten bedient werden. Auch zu viele Informationen, zu viel Vorgeschichte, zu viele Personen. Und all das muss verbal erklärt werden, so dass ich mich immer wieder im TeleNovela-Milieu wähnte, nicht nur wegen der billigen Kulissen: nur 104 Minuten für das Vorleben aller Leute, die „Fantasy-Welt“ mit den ganzen Rassen/Sippen/Geschlechtern und deren Aufgaben, diverse frühere und aktuelle Lover aller Figuren – und dazu kommt eine gewisse Mindestanzahl an Prügeleien und Kampf“kunst“ und dann die so genannte „Handlung“: lauter komplizierte Verwicklungen, die während der Handlung abspulen und, weil zu konfus und zu knapp an Zeit, auch noch erklärt werden müssen: ein „Whodunit“-Krimi ist das ganze nämlich auch noch! Da war natürlich keine Zeit mehr, die Beziehung der zwei Heldinnen auf der Flucht zu vertiefen, oder gar Überraschungen zu wagen.
Immerhin verging so die Zeit rasch, das Hirn wurde gefordert, die Guten sehen unglaublich attraktiv und modelmäßig gestylt aus, mit Rose (besser, also dezenter geschminkt), könnte man Pferde stehlen gehen (naja, das vielleicht nicht in Mini, Leggings, hochhackig und mit wallenden Locken) (doch sie hat ja noch ihr Kampfamazonen-Outfit!) - angesichts dieser herausragenden Qualitäten meldete sich in mir doch ein leises Bedauern, dass es für VA wohl keine Chance gibt, sich in Fortsetzungen zu bessern. Denn obwohl am Ende eine „Herr der Ringe“-artige Armee von Bösewichten in dunkler „Hobbit“-Höhle auftaucht und sich auf kannibalisches Gemetzel im zweiten Teil freut, waren Box Office und Kritiken so schlecht, dass weitere Schuljahre an der VA wohl ausfallen werden. Schade! Dann müssen wir wohl mal wieder zu so was wie altmodischen Büchern greifen. Immerhin gibt es ja sechs davon...