Geschichten über Zeitreisen sind zu einem gewissen Grad immer spekulativ. Was würde sich in der Folge ändern, wenn man sich selbst in der Vergangenheit träfe? Oder gar tötete? Inwiefern hätte Manipulation von einst Geschehenem Einfluss auf die bereits in der Zukunft liegende Zukunft, die ja eigentlich parallel zur Vergangenheit fortschreiten müsste? Aber lassen wir das. Die deutschstämmigen Spierig-Brüder aus Australien sagen bezüglich der von ihnen nun verfilmten Zeitreisegeschichte sogar selbst, dass sie sie zwar sehr nah am Original adaptierten, jedoch inhaltlich nicht zu sehr auf ihre Logik hin abklopften. Und vielleicht muss man die Angelegenheit auch so angehen. Sonst gäbe es gar keine Filmbeiträge zum Thema. Und das wäre schade.
Für die filmische Umsetzung der fünfzig Jahre alten Kurzgeschichte „-All You Zombies-" des amerikanischen Science-Fiction Autors Robert A. Heinlein (u.a. „Starship Troopers") rekrutierten die beiden Brüder auf dem Regiestuhl nach ihrem Vampirbeitrag „Daybreakers" (2010) erneut Ethan Hawke als Hauptdarsteller. Als Agent einer mysteriösen Behörde geht er gegen begangene Straftaten vor, indem er in die Vergangenheit reist, um sie zu verhindern. Ein Täter macht ihm dabei besonders zu schaffen, der sogenannte „Fizzle Bomber", der im Jahre 1975 immerhin elftausend New Yorkern die Lichter ausknipst und ferner dafür verantwortlich ist, dass sich der Agent nach schlimmsten Brandverletzungen einer Gesichtsoperation unterziehen muss. Nach seiner Genesung muss dieser eine Auftrag noch erledigt werden, dann geht es in den Ruhestand. Außerdem wird ein Nachfolger benötigt, denn die Arbeit muss fortgesetzt werden.
Das ist die Ausgangssituation, in der ein androgyn wirkender Mann niedergeschlagen eine Bar betritt. Der Barkeeper ist der uns bereits bekannte Agent in Verkleidung. Und er hört der Lebensgeschichte des merkwürdigen Mannes zu. Ganz wie es sein Job verlangt. In über fünfunddreißig Minuten Spielzeit erfährt man von einer elternlosen Kindheit, von Heimaufenthalten, von sozialer Isolation und von einer Geschlechtsumwandlung. Spätestens hier trennt sich der aktuelle Genrefilm der Spierigs von der Konkurrenz. Denn so langwierig sich der Schwanengesang aufs Leben des merkwürdigen Gasts auch gestaltet, für die zweite, ungleich turbulentere Hälfte des Films ist sie als Vorinformation notwendig.
*(Großer) SPOILER* Hawke redet nämlich in der Bar - mit sich selbst! Das heißt, er redet mit seinem eigenen Ich vor dem Unfall. Doch damit nicht genug. Hawke hat sich auch in der Vergangenheit selbst gezeugt. Und zwar mit sich selbst - als er noch eine Frau war! *Wie? Was?* Wie das geht? Mit Zeitreisen natürlich! Das Gespräch im Pub entpuppt sich als eine Art Rekrutierungsgespräch, das dazu dient, einen qualifizierten Nachfolger zu finden, den man selbst mit sich selbst gezeugt hat. Nur der „Fizzle Bomber" muss noch gefunden werden. Wird er natürlich auch. Und - wir sind inzwischen nicht mehr überrascht - auch er ist Hawke! Und zwar vermutlich der Hawke, der meinte, er bräuchte keinen Urlaub (oder keine Pensionierung). *SPOILER Ende*
Was literarisch machbar ist und gut funktioniert, muss nicht unbedingt filmisch ebenso unterhalten. So tröstet die wilde Fahrt des letzten Filmdrittels mit ihren hanebüchenen Erklärungsmodellen für die Geschichte und nicht zu erhärtenden Hypothesen nur leidlich über die große Durststrecke in der ersten Hälfte des 90-minütigen Films hinweg. Es ist schön und mutig, dass ambitionierte Filmemacher versuchen, weniger ausgelatschte Pfade zu beschreiten und sich in Richtung Neuem und Ungewohntem aufzumachen. Doch ist und bleibt ein Film Entertainment, das anderen Gesetzen folgt als Literatur. Wer seine Zielgruppe aus den Augen verliert, stellt sich als Künstler selbst ein Bein. Schwamm drüber!
Die Buchholzer Spierig Jungs kommen mit ihrem australischen Film spät auf den Punkt, beweisen aber erneut Potential, das nur dadurch etwas verpufft, dass die von ihnen verfilmte literarische Vorlage nicht filmtauglich ist. Ein interessanter Genrebeitrag ist „Predestination" aber dennoch, und es wäre für die Zukunft des Science-Fiction Kinos ein Verlust, wenn man es heute, also in der zukünftigen Vergangenheit, unterließe, das schwer zu händelnde Thema Zeitreise aus Angst vor verbrannten Fingern zu meiden.