Review

Nach „You’re Next“ taten sich Drehbuchautor Simon Barrett und Regisseur Adam Wingard, beide Teil der Mumblegoreclique, sich erneut zusammen und drehten den niedrig budgetierten Thriller „The Guest“.
Ein Mann (Dan Stevens) läuft eine Straße entlang, seine Schritte tragen ihm zum Haus der Petersons. Mutter Laura (Sheila Kelly) öffnet dem jungen Mann, der sich als David vorstellt, die Tür. David stellt sich als Freund des gefallenen Sohnes der Familie vor, war ebenfalls Soldat. Doch so ganz mag der Zuschauer dem Braten nicht trauen, denn auf unaufdringlich aufdringliche Weise schafft der Gast es, dass man ihm zum Bleiben einlädt, immer weiter in die Familie integriert, wobei er das Andenken an den toten Sohn als subtiles Mittel einsetzt.
Der Rest der Familie, das sind Vater Spencer (Leland Orser), Tochter Anna (Maika Monroe) und der jüngere Sohn Luke (Brendan Meyer), deren Familiengefüge der Film in knappen, ausgesprochen prägnanten Strichen zeichnet. Anna ist ein rebellischer Teen, Luke wird in der Schule wegen seines Nerdstatus gehänselt und der Vater wird bei der Beförderung übergangen. Er spricht sich gegenüber seiner Frau anfangs gegen den Gast aus, doch bei einem gemeinsamen Abendbier überzeugt David ihn von sich, womit weiter deutlich wird, wie geschickt der Unbekannte in Rekordzeit das Vertrauen der Familie gewinnt.

Doch so sehr sich der junge Mann um die Belange der Familie kümmert, das Misstrauen des Zuschauers bleibt. Bald spürt auch Anna, dass mit dem Unbekannten etwas faul sein könnte, auch wenn seine Rolle mysteriös bleibt…
Hat sich die Familie eine Bedrohung ins Haus geholt oder handelt es sich bei David um einen eigenwilligen Schutzengel? Sicher ist nur, dass der junge Mann etwas zu verbergen hat, selbst wenn er derjenige ist, der er behauptet zu sein. Denn er erweist sich als unkonventioneller, effektiver, aber auch radikaler Problemlöser, wie beispielsweise die herrliche süffisante Barszene zeigt, in der er Luke seine Schulpeiniger vom Hals schafft. Leider kann der Film im letzten Drittel dann nicht mehr ganz halten, was der vorige Teil verspricht, vor allem als es ans Auflösen geht: *SPOILER* Nachdem sich der Film so viel Mühe gibt den Gast und seine Motive zu verklären, dass die Frage danach nun das Zentrum des Films wird, ist die von Major Carver (Lance Reddick) kurz runtergespulte 08/15-Wegwerf-Erklärung fast schon eine mittlere Frechheit: „Das ist ein Psycho, an dem wir Experimente durchgeführt haben, und das war‘s“, um es mal zu paraphrasieren. Warum er auf Calebs Familie kam bleibt offen, eine kurze Erwähnung, dass beide im gleichen Programm waren, gibt den einzigen Hinweis. *SPOILER ENDE*
Hin und wieder könnte der Film allerdings etwas subtiler inszeniert sein. *SPOILER* Wenn der Gast dem Sohnemann das Butterfly gibt und der es im Finale hat, dann ist schon offensichtlich, womit David wohl später noch Bekanntschaft machen wird – da hätte es die Szene, in der Junior das Ding in seinem Versteck auspackt nicht gebraucht, höchstens für die ganz Unaufmerksamen. *SPOILER ENDE* Und Schlussgags sind nicht unbedingt Wingards Stärke, das sah man ja schon bei „You're Next“. *SPOILER* Immerhin: Der klischeehafte, einfach hingeworfene Der-Killer-lebt-Moment könnte für Sequels sorgen. Und wenn die so gut sind wie dieser Film, dann dürfen die gerne kommen. *SPOILER ENDE*

Derartige Kritik bleibt jedoch Meckern auf hohem Niveau, denn „The Guest“ ist ein spannender Thriller, der über die ersten zwei Drittel hinweg sein Spannungspotential aus der Frage zu ziehen weiß, was denn nun Sachen mit dem Gast ist. Dabei erlaubt sich Wingard auch Anklänge anderer Genres: Ein unterschwelliger Humor charakterisiert manche Handlung des Gastes, der mit Understatement vorgeht, gerade was seine unkonventionellen Methoden angeht, der Thrillerplot beinhaltet Motive der (sehr sanften) Home Invasion und später sogar des Slasherfilms, während andrerorts auch mal die eine oder andere knackige Actionsequenz zu bewundern ist, etwa bei einer Barprügelei oder einem verlustreichem Shoot-Out, bei dem ein Beteiligter als vielleicht etwas zu übermächtig bzw. die Gegenseite etwas zu tölpelig dargestellt wird.
Durchweg souveräne ist die Inszenierung Adam Wingards, die sich stark an den 1980ern orientiert: Ein eingängiger Synthiesoundtrack im Stil der Dekade untermalt den Film, während die grelle Neon-Ausleuchtung mancher Szene (vor allem im Finale) an stilisierte Werke jener Zeit erinnert. Dazu passt auch, dass in der ländlichen Gemeinde die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, nur gelegentlich technische Geräte wie Handys darauf verweisen, dass man sich in der Gegenwart befindet. Aufgrund dieses Geschicks kann dann auch der Showdown trotz herkömmlicher Formel überzeugen, denn durch Kameraführung, Montage und Aufmerksamkeitslenkung des Zuschauers kann Wingard auch aus bekannten Genremotiven noch Spannung zu ziehen, ohne dass diese abgegriffen wirken würden.
Dabei profitiert der Film auch von der Leistung Dan Stevens‘, der den Gast ebenso geheimnisvoll wie facettenreich verkörpert, der blitzschnell die Stimmung wechseln kann und diese Übergänge doch harmonisch erscheinen lässt. Gelungen auch die Darbietung von Maika Monroe in der Rolle der rebellischen, toughen Teenagertochter, während vor allem Leland Orser in der Rolle des gebeutelten Vaters noch Akzente setzen kann. Des Weiteren weiß Lance Reddick zu überzeugen, auch der Rest vom Cast schlägt sich mehr als achtbar, auch wenn das Hauptaugenmerk auf Stevens und Monroe und der Dynamik zwischen ihnen liegt.

„The Guest“ ist geradliniges, schnörkelloses und stimmiges B-Entertainment der derberen Art und der mittleren Budgetklasse, der durch starke Inszenierung, einen famosen Hauptdarsteller und einen cleveren, einfallsreichen Genremix zu überzeugen weiß. Dass Wingard im letzten Drittel leider auf diverse Klischees setzt, das Ende leicht holprig daherkommt und ausgerechnet die zentrale Frage nach den Motiven des Gastes so enttäuschend beantwortet wird, schmälert das Vergnügen zwar etwas, aber ein gelungener Film mit Retroflair und einigen Ideen ist Wingard trotzdem gelungen.

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