Review

„Der Unbestechliche"

Man mag es kaum glauben, aber auch das inzwischen doch arg formelhafte Superheldenkino ist durchaus noch für Überraschungen gut. Robert Redford, seit Jahrzehnten in Hollywood die Personifikation des linksliberalen guten Gewissens, war bisher jedenfalls nicht unbedingt hauptverdächtig sich ins knallbunte Marvel-Universum zu verirren, zumal auch noch in ein Abenteuer des überzeugten Schwarz-weiß-Denkers Captain America.  

Der erste Leinwandauftritt des durch ein Serum zum Supersoldaten mutierten Steve Rogers - „Captain America - The first Avenger" - war dann auch der charakterlich eindimensionalste Solofilm aus dem „Avengers"-Universum. Auch der vor allem bei Iron Man und Hulk deutlich akzentuierte Gegenwartsbezug bleib dabei praktisch vollständig auf der Strecke, da „Cap" es ausschließlich mit der gesichtslosen Hydra-Armee vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs zu tun bekam. Wie also passt der Politthriller-affine Redford in ein solch simples, bonbonfarbenes Fantasy-Spektakel?

Gar nicht möchte man beinahe reflexartig sagen, aber das ist auch nicht weiter tragisch, denn „The Return of the first Avenger" unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht diametral von seinem Vorgänger. Nichts weniger als eine Hommage an das gesellschaftskritische Kino der 1970er Jahre sollte es diesmal werden. Vor allem die Redford-Klassiker „Die drei Tage des Condor" und „Die Unbestechlichen" standen Pate in punkto Verschwörungs-Szenarien, Undurchsichtigkeit und Drohkulisse.
Ein ambitioniertes Ziel, zweifellos, aber auch ein durchaus interessanter Versuch, den praktisch aus der Zeit gefallenen Weltkriegsveteranen mit der ungleich komplexeren politischen Gegenwart zu konfrontieren. Eine Idee, die offenbar auch Redford zugesagt hat, den bestimmt nicht nur die Comic-Verrücktheit seiner Enkel motiviert haben dürfte.

Auch hinter der Kamera gibt es Überraschungen, die der avisierten Neuorientierung geschuldet sind. So hatte das Regieduo Joe und Anthony Russo keinerlei Erfahrung mit dem Stemmen eines sündteuren Blockbusters und bisher vornehmlich komödiantische TV-Serien und Sitcoms (u.a „Arrested Development", „Community") im Repertoire. Allerdings gelten die beiden auch als passionierte Comic-Nerds mit einem ausgeprägten Hang zu Subversivität. Sicher nicht die schlechteste Kombination für die geplante Richtungsänderung.

Film und Titelfigur haben diese Neujustierungen jedenfalls mehr als gut getan. „Captain America: The Winter Soldier" - so der Originaltitel - bereichert das facettenreiche Marvel-Universum um die bisher eher gestreiften Zutaten wie Ernsthaftigkeit und Spannung und verpasst dem bis dato relativ blassen „Ur-Rächer" eine ordentliche Portion an Profilschärfe.
Insbesondere wird sein unerschütterliches Vertrauen in die eigene Regierung bzw. deren Definition von Freiheit sowie die angewandten Methoden zur Sicherung letzterer auf eine harte Probe gestellt. Da geht es um Überwachung und Kontrolle der Bürger zu ihrem vermeintlich Besten, da geht es um bewusst kalkulierte menschliche Kollateralschäden in hundertfacher Millionenhöhe zur Gesundung der Gesellschaft und da geht es v.a. auch um Intrigen, Verrat und Lobbyismus.
Diese beunruhigende Entwicklung macht auch vor der geheimen Regierungsbehörde S.H.I.E.L.D nicht halt und lässt den völlig verunsicherten Rogers an (für ihn) essentiellen Werten wie Loyalität, Pflichtbewusstsein und Gehorsam zweifeln. Eine mehr als zwielichtige Rolle spielt dabei Senator Pierce (Robert Redford), dessen Funktion innerhalb der Geheimorganisation sowie seine Beziehung zu Director Nick Fury (Samuel L. Jackson) lange Zeit nebulös bleiben.  

In diesem von Paranoia und Misstrauen geprägten Mittelteil hat der Film seine stärksten Momente. Die auch optisch düstere Inszenierung und der Schauplatz Washington sorgen für eine durchweg stimmige Verschwörungs-Thriller-Atmosphäre. Neben Kameramann Trent Opaloch („Elysium", „District 9") verfügt auch Komponist Henry Jackman über den passenden „Back-Katalog" (u.a. „Captain Phillips", „Kick Ass 2") und liefert dazu die passende Spannungs-Vertonung.
Für den Titelhelden wird es hier folgerichtig mehr als ungemütlich. Von seiner Behörde verraten und im Stich gelassen, verwirrt von den politischen Hintergründen und verfolgt von dem geheimnisvollen Auftragskiller „Winter Soldier", hetzt der desillusionierte Capatin America durch die nächtliche Hauptstadt. Seine einzige Verbündete ist die ebenfalls in Ungnade gefallene Super-Agentin „Black Widow" (Scarlett Johansson), eine Verbündete, der Rogers schon zuvor nicht traute.

Neben der gekonnt inszenierten bedrohlichen Stimmung wird diese Phase durch zwei superb choreographierte und gefilmte Action-Highlights veredelt. Während ein Anschlag auf Nick Furys gepanzerten  SUV im dichten Washingtoner Rush-Hour-Verkehr mehr als nur einen Hauch von Michael Mann verströmt, ist „Caps" Befreiungsversuch aus einem mit Gegnern vollgestopften Aufzug ein Jason Bourne-würdiges Faustkampf-Spektakel der Extraklasse.
Erst im großen Finale gibt es dann wieder die klassische Over-the-top-Superheldenaction zu bewundern, perfekt (CGI-)getrickst, aber in seiner Gigantomanie auch etwas formelhaft und ermüdend. Der bis dato ernsthafte und vergleichsweise bodenständige Tenor des Films wird hier mit der ein oder anderen Brachial-Fanfare übertönt.
Dennoch driftet das Ganze nie in kindische Computer-Spiel-Orgien wie in den Spider-Man-Spektakeln, oder erst kürzlich im unausgegorenen Superman-Reboot „Man of Steel" ab. Während die Verdüsterung des zweifellos farblosesten und fadesten Superhelden wenig überzeugend ausfiel, sorgt Captain Americas zweiter Solo-Auftritt dahingegen nicht nur in dieser Hinsicht für eine nicht zu erwartende positive Überraschung.

Fazit:
Steve Rogers ist endgültig im 21. Jahrhundert angekommen und hat sich seinen gleichberechtigten Platz im illustren „Avengers"-Ensemble eindrucksvoll erkämpft. In einem durchaus passend humorbefreiten und düsteren Superhelden-Thriller feiert das politisch motivierte Spannungskino der 70er Jahre so unerwartet wie gekonnt Wiederauferstehung und fegt den etwas kindischen Vorgänger locker vom Vibranium-Schild. Auch Chris Evans fühlt sich offensichtlich wesentlich wohler in der schärfer akzentuierten und vor allem deutlich moderneren Ausrichtung seiner Figur und wirkt erheblich souveräner und glaubwürdiger in der Rolle.
All dies steigert die Vorfreude auf das nächste gemeinsame Abenteuer der Rächer-Truppe ganz erheblich und wer lange genug sitzen bleibt bekommt nicht nur einen stylischen Pop-Art-Abspann geboten, sondern auch einen Appetizer auf das kommende Klassentreffen. Für das Amt des Klassensprechers wäre „Cap" inzwischen bestimmt nicht die schlechteste Wahl.

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