Yeah, yeah, yeah! Nach dem eher zurückhaltend erzählten "Jagdrevier", haut Wolfgang Petersen in "Nachtfrost" wieder richtig auf die Pauke. Der Film hätte auch den Namen "Nacktfrost" verdient gehabt, denn hier wird ordentlich im roten Bereich gefahren!
Dies liegt zunächst am Beruf des Mordopfers, das sich als freiberufliche Prostituierte verdingte und gleich zu Beginn tot in seiner Wohnung aufgefunden wird. Petersen geht in medias res und zieht so ziemlich alle Register.
Um dem Mörder auf die Schliche zu kommen, werden zwei Kriminalbeamte in der Wohnung stationiert. Eine weibliche Polizistin gibt sich dabei als Prostituierte aus, um ein wenig Licht in das Dunkel der ältlichen Freier zu bringen.
Währenddessen ermittelt Finke im Umfeld des Mädchens und dringt auch zur Famlie des Ex-Freunds des Opfers vor, der krisengeschüttelt und blassgesichtig von den zwei furchtbaren Eltern terrorisiert wird. Ist Ist der Junge der Mörder? Oder der großkotzige Vater? Oder die eifersüchtige Mutter?
Na, dann schauen wir uns doch ileber mal das Rotlichmilieu an. Die dort grassierenden Subjekte eignen sich doch viel eher als Tatverdächtige und vor allem bringen sie einen wesentlichen Aspekt des frühen Kieler Tatorts mit sich: Sleaze, baby!
So darf Kommissar Funke dann nachts durch die Stripclubs und Bordelle streifen und ausführlich Eindrücke dieser schamlosen Parallelwelt sammeln. Und der Regisseur und Zuschauer folglich mit ihm. Hatte ich erwähnt, dass dies der Tatort mit der höchsten Einschaltquote ist, die jemals ein "Tatort" erzielt hat?
76%!!!
Sex sells...
Dem althergebrachten Spannungsaufbau folgend muss auch noch ein dringend Tatverdächtiger her und der findet sich in dem Zuhälter Heiko Schulz, der offensichtlich eine große Menge Geldes aus der Wohnung des Opfers gestohlen hat. Dieses Geld hat er dankenswerter Weise in einen Ford Mustang Mach 1 investiert, so dass es eine lange und parallel zu ruhigen Ermittlungssequenzen montierte Verfolgungsjagd gibt. Durch die Parallelmontage erzielt diese Verfolgungsjagd eine gewisse Komik, denn irgendwie entfaltet das wiederholte unvermittelte Einsetzen der Action den Charakter eines Running-Gags. Die Einstellungen auf den verfolgenden Polizeiwagen (Karmann Ghia?) mit Martinshorn und Sirenetrichtern auf dem Dach entwickeln beinahe einen helgeschneideresken Eindruck, der dann das Übrige zur Szene tut.
Darstellerisch wird hier geklotzt, denn wir erleben
- Ursula Sieg als Frau Scheffler als erotische femme fatale, die sich offenbar sehr gut mit ihrer Rolle als Prostituierte arrangiert hat.
- Hans-Peter Korff als Kollegen Franke, der mit verschmitztem Grinsen das frivole Treiben seiner Kollegin überwacht und sich später so doof überrumpeln lässt, dass es zu der geschilderten Verfolgungsjagd kommen kann.
- Peter Lakenmacher als Zuhälter Heiko Schulz, der mit dem schnellen Auto und der Frisur ganz auf Günther Netzer macht.
- John van Dreelen als schmierigen Vater und Geschäftsmann, der ganz klare Rollenvorstellungen hat, wenn es um Mann und Frau geht (allein wie der die Zigarette hält - Playboy durch und durch!). Der wird dann auch noch von Helmo Kindermann synchronisiert, wodurch das ganze noch mehr Verve bekommt. Hollywood is calling!
- Ulla Jacobsson als obsessive Mutter, die doch irgendwie erkennt, dass sie im Kosmos ihres Mannes eher die Arschkarte gezogen hat und ihren Frust in totale Nervigkeit umwandelt.
- Rudolf Beiswanger als adleräugigen Kioskbesitzer, der mit Augenmerk und Anstand die Welt im Lot hält und in seinem Kiosk Nacktmagazine verkauft, die so auch in eigentlich sleazefreien Momenten ermöglichen, Brüste zu zeigen.
Besondere Momente
Frau Scheffer empfängt einen aufgeregten Freier in der Wohnung des Mordopfers. Was für ein gelungener Moment in der deutschen Filmlandschaft! "Tja, kein Adonis, was? Aber dafür habe ich andere Qualitäten!" Welche das sind, werden wir nie erfahren. Er kann die "Königin der Nacht" noch eine Oktave höher singen? Oder kann er gar auf drei Sprachen gleichzeitig sprechen? Und zwar miteinander! Oder hat er nur einen riesen Prengel? Das wird für immer sein Geheimnis bleiben!
herausragende Dialoge:
Der Film ist voll davon!
FAZIT
Wolfgang Petersen hat sich bei der Inszenierung sichtlich wohl gefühlt und hat den "Tatort" mit viel Schmiss und Tempo ausgestattet. "Nachtfrost" ist intensive Milieustudie und spannungsgeladene Top-Action auf bestem Fernsehniveau von 1974 und hat zurecht eine Einschaltquote, die noch unglaublicher ist als der Fakt, dass Elvis Prestley noch lebt. Und zwar auf einer Insel in der Inkarnation von Michael Jackson! Was soll da noch kommen? Abwarten, denn
Kommissar Finke will return in
"Kurzschluss"