„Bist du von der Heilsarmee oder ist das ‘ne Einladung zum Beischlaf?“
Der ein Jahr zuvor innerhalb der noch jungen öffentlich-rechtlichen Fernsehkrimireihe „Tatort“ eingeführte Kieler Kriminalhauptkommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) ging 1972 in Serie: Die Episode „Strandgut“ wurde sein zweiter von insgesamt sieben Einsätzen, von denen alle bis auf den letzten auf das bewährte Duo aus Herbert Lichtenfeld als Drehbuchautor und Wolfgang Petersen („Die unendliche Geschichte“) als Regisseur setzten.
„Zwei Kaffee und zwei Stück Kuchen, das macht dann 16,40 DM.“
Die Brüder Helmut (Dieter Kirchlechner, „Der Hitler-Ludendorff Prozeß“) und Karli Possky (Rolf Zacher, „Mädchen: Mit Gewalt“) haben ein ebenso einträchtiges wie kriminelles Geschäftsmodell für sich entdeckt: Auf der Insel Sylt setzen sie attraktive junge Damen wie Christa Kassdorf (Heidy Bohlen, „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“) und Manuela Borsdorf (Ingeborg Schöner, „Hexen bis aufs Blut gequält“) auf gutsituierte Herren mittleren Alters an, um diesen den Kopf zu verdrehen, während die Posskys kompromittierende Fotos schießen, mittels derer sie die meist verheirateten Herren um stattliche Summen Geld erpressen. Dieselbe Nummer probieren sie an Regierungsdirektor Warrlau (Ulrich Matschoss, Kriminalrat Königsberg der Schimanski-„Tatorte“), doch hat sich Christa tatsächlich in den Mann verliebt. Die Posskys setzen sie daraufhin unter Druck und prügeln Warrlau ins Krankenhaus, genauer: in die Privatklinik des Inselarztes Dr. Kühne (Wolfgang Kieling, „Bremer Freiheit“), was Hauptkommissar Finke und seinen Adjutanten Jessner (Wolf Roth) auf den Plan ruft. Kurz darauf wird Christa tot am Kampener Strand angespült. Und damit nicht genug: Wenige Tage später ereilt Manuela das gleiche Schicksal. Diese wollte ebenfalls aussteigen und mit Dr. Kühne eine ernsthafte Partnerschaft eingehen. Die Posskys sind dringend mordverdächtig, doch fehlen die Beweise – und Warrlau schweigt beharrlich…
„Ich hab‘ mir nun doch ‘ne Badehose gekauft…“
Die vollbusige Christa, mit der der Herr Regierungsdirektor im den Dünen knutscht und fummelt, bietet gleich zu Beginn nackte Tatsachen fürs Auge, und auch im weiteren Verlauf hält sich dieser „Tatort“ nur wenig bedeckt, wenn bei den Ermittlungen am Strand immer mal wieder Anhänger(innen) der Freikörperkultur durchs Bild huschen. Dass sich Finke und Jessner als Vater und Sohn ausgeben, um inkognito zu ermitteln, bietet humoristisches Potential, das jedoch kaum genutzt wird, da die beiden schnell enttarnt werden. Der Frankfurter „Tatort“-Kommissar Konrad (Klaus Höhne) hat einen kurzen Gastauftritt, als Jessner kurzerhand in die Mainmetropole reist, da das dort ansässige Erpressungsopfer Dr. Breitenbach ein wichtiger Zeuge sein könnte – doch dieser hüllt sich ebenfalls in Schweigen. Generell wird hier ständig nach Sylt und zurück geflogen, die Klimabilanz dieses Polizeieinsatzes ist bedenklich.
„Nase voll?“ – „Ja!“
Die große Frage, die es zu beantworten gilt, ist die, ob die Posskys die Mörder sind und wenn ja, beider Frauen oder lediglich einer, oder eine oder beide der Damen Selbstmord begingen. Als Zuschauer(in) ist man sehr nah an der Polizeiarbeit, doch letztlich scheinen zwei Jugendliche die Beamten auf die richtige Spur zu führen. Die Figur des Kommissars Finke gewinnt in diesem seinem zweiten Einsatz an Profil: Ein kleingewachsener, etwas gedrungener Mann, der sich nicht davon beirren lässt, bei der Konfrontation von Verdächtigen meist nach oben linsen zu müssen, und betont nüchtern und emotionslos gern in stakkatoartiger Befehlsform spricht, um sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten und seiner Autorität Ausdruck zu verleihen.
„Von irgendwas muss der Mensch ja leben…“ – „Nur nicht von der Arbeit, was?“
Eine wahrlich überraschende, regelrecht gialloeske Wendung im Finale ist neben dem Sylter Lokalkolorit das größte Pfund dieses „Tatorts“. Leider war man offenbar der Ansicht, in einer Rückblende alles noch einmal haarklein aufdröseln zu müssen, was eigentlich überflüssig ist und zur Überlange von rund 105 Minuten führt. Die vielen gegensätzlichen Figuren entschädigen jedoch für dramaturgische Holprigkeiten, zumal der leichte Sleaze-Faktor auch nicht zu verachten ist. Oder wie heißt es hier so schön? „Auf Manuela wär‘ ich auch geflogen!“