Review

Teil 1 & 2

Die Nymphomanin Joe wird von Seligman auf der Straße vor seiner einfachen Wohnung aufgelesen. Anscheinend ist sie überfallen worden und verletzt, so dass er sie mit zu sich nach Hause nimmt. Und ihn interessiert es, was passiert ist, aber Joe muss dafür sehr sehr weit ausholen. Bis in ihre Kindheit. In insgesamt 8 Kapiteln erzählt Joe, was mit ihr über die Jahre passiert ist, und wie sie zu einer Nymphomanin geworden ist, wobei alles mit der Entdeckung ihrer "Möse" in der Kindheit angefangen hat... und dann beginnt sie zu erzählen...

Wertung:

Nein, man kann von diesem Film keine ausführliche Inhaltsangabe geben. Das ist in etwa so, als wolle man jede Einzelheit des Monologs in Gaspar Noes "Menschenfeind" ebenfalls wieder geben. Es wird hier im Film gezeigt, wie sich eine Frau einem ihr Fremden vollkommen offenbahrt, damit dieser versteht, wie sie plötzlich in der Gosse liegen konnte. Dabei schien alles harmlos anzufangen, bis ihre Freundin und Joe sich einen Spaß daraus machten Männer als Wettkampfleistung abzuschleppen, wobei gerade die hier gezeigten Bilder sehr drastisch sind. Würde die Handlung nicht im Vordergrund stehen, so gehen einige Szenen durchaus als Porno durch. Dabei wurden sogar im Film "echte" Pornodarsteller für das Drehen gewisser Szenen, die ziemlich reichlich an der Zahl bei einer Laufzeit von 326 Minuten sind, verwendet.

Was dieser Film dabei letzten Endes aussagen möchte, ist leider nicht richtig deutlich zum Vorschein gekommen. Die Geschichte von Joe fängt normal an, bis sie sich für ihre Sexualität zu interessieren beginnt und es für sie nichts anderes im Leben mehr zu geben scheint. Dabei scheint ihr Vater, gespielt von Christian Slater, noch einen ganz anderen Plan für sie bereit gelegt zu haben, denn sie verfolgte anfangs auch ein Medizinstudium. Nach einer Weile hat sie es jedoch hingeschmissen und fing als Sekräterin in einem Unternehmen an, genau dort, wo Jerome momentan ihr Boss ist. Mit diesem hatte sie jedoch zuvor schon ein Verhältnis gehabt. Das macht die Arbeit dort natürlich für sie schwierig.

Im weiteren erfährt man, dass Joe ihre Beziehungen zu den Männern zu organiseren versucht. Und dabei schreckt sie auch nicht vor der Zerstörung von Familien zurück, denn sie hat ein Verhältnis mit einem Familienvater von drei Kindern. Als sie ihn vor die Wahl stellt seine Familie zu verlassen, rechnet sie eigentlich nicht damit, denn sie glaubt, dass der Mann bei seiner Familie bleiben wird. Umso überraschter ist sie, als er mit Sack und Pack vor ihrer Tür steht, obwohl sie bereits den nächsten Liebhaber erwartete, denn ihr Terminplan ist eng. Hier kommt dann eine fantastische Uma Thurman völlig erbost und enttäuscht zum Vorschein, aber anstatt ihren Mann anzuschreien, wird die Szenerie als eine Art Verabschiedung dargeboten, was dem Ganzen eine gewisse Komik ja fast schon Lächerlichkeit aufzeigt. Hier wird deutlich, dass Joe zwar so etwas nicht gewollt hatte, es aber billigend in Kauf genommen hat, nur um ihrer eigenen Befriedigung willen. Joe versucht schließlich, wie sie es in ihrem "Club" versprochen hat, jegliche Beziehung und Gefühle wie Liebe zu vermeiden, weshalb der Ehebrecher so gar nicht in ihr Verständnis passt.

Dann muss Joe miterleben, wie ihr Vater im Delirium verstirbt. Die Bindung von ihr zu ihrem Vater wird immer wieder im Film verdeutlich ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter. Einzig ihr Vater scheint sich um sie zu kümmern und wirkliches Interesse an ihr zu zeigen. Das wird immer wieder deutlich bei der Suche nach ihrem "Lebensbaum", der das Sinnbild des eigenen Lebens darstellen soll, so wie es verlief oder verlaufen wird. Doch Joe braucht lange, bis sie diesen findet. Auch das Thema der Bäume sowie die Form ihrer Blätter tauchen immer wieder im Film auf, so dass eine gewisse Form von Familie entsteht. Auch wenn ihr Vater bis zu seinem Tod immer für sie da war, hat man doch den Eindruck, dass Joe eher allein ist, und niemanden hat, an den sie sich wenden kann. Vielleicht sucht sie im Gespräch deshalb den Kontakt zu Seligman, der in seiner kargen Wohnung ziemlich einsam und religiös wirkt. Verstärkt durch die vermehrte Erwähnung der Asexualität, der sich Seligman hingegeben hat, entsteht hier ein Kontrast zwischen den beiden Protagonisten, auch wenn Seligmans Rolle eher untergeordneter Natur scheint. Er hat allem Anschein nach nicht viel in seinem Leben erlebt. Das kommt am Ende besonders zum Tragen, welches ich hier jetzt nicht verraten werde, auch wenn es nicht so sehr impulsiv oder spannend bzw. überraschend ist. Es wird im Film nämlich nicht auf das Ende der Geschichte hingearbeitet und die Erzählung von Joe arbeitet nicht stetig darauf zu.

Als sie ihr Kind namens Marcel bekommt, zeigt der Film wieder ihre Unfähigkeit eine Bindung zu jemandem aufzubauen, denn als Mutter ist sie gänzlich ungeeignet. Sie flüchtet sich getrieben nach dem Wunsch ihre mittlerweile verloren gegangene Sexualität wieder zu erlangen in den Masochismus, und dafür vernachlässigt sie sogar ihr Kind und verliert es schlussendlich. Und sie hat nichts daraus gelernt, denn sie verhütet nicht, wird wieder schwanger und will dieses Kind auf jeden Fall weg gemacht haben. Dabei hätte sie es von vornerein verhindern können. Bei der psychologischen Beratung erweist sie sich als nicht beratungsfähig, so dass ihre Urteilsfähigkeit bezüglich des ungeborenen Kindes von der Psychologin bezweifelt wird und ihr die Abtreibung nicht bewilligt wird. Aufgrund ihres Medizinstudiums, bei der sie einer Abtreibung beiwohnen durfte, weiß sie allerdings, wie diese durchzuführen ist, weshalb sie kurzerhand selbst eine Abtreibung vornimmt. Sie begreift aber dennoch nicht, dass ihr Leben so eingentlich nicht weiter gehen kann.

Bezeichnet für die Distanziertheit zu den Personen ist die Bennennung durch Großbuchstaben. Selbst der Sadist, der Joe Nacht für Nacht quält ist für sie nicht mehr als ein Buchstabe. Einzig Jerome sowie auch später ihr "Ziehkind" und ihr eigener Sohn sowie Seligman erhalten einen Namen. Alle anderen Personen sind namenlose Unbekannte und selbst die Frau, die mit ihren Kindern bei ihr aufgetaucht war, ist nur ein Buchstabe. Auf- oder abgewertet wird dieser Film durch die zahlreichen Pornoeinlagen, und diese sind sehr drastisch in ihrer Darstellung, obwohl sie es eigentlich nicht gebraucht hätte, denn dieser Film bietet ansonsten schon genug schwer verdauliche Kost. Laut den Interviews, die mit auf den Discs sind, wolle Lars von Trier einen gewissen Realismus schaffen und einige der Schauspieler befürworten auch die explizite Darstellung von Sexszenen. Ob diese jetzt zwangsweise nötig wären, sei dahingestellt. Bei fast 5 1/2 Stunden Laufzeit ist bei sehr vielen Dialogen dennoch ein gewisser Anspruch beim Zuschauer gefordert, denn es ist schwer diesen Film am Stück zu sehen. Was außerdem gerade von Seligmans Einwürfen sehr gut gelungen ist, sind Bezüge zu kulturellen Gütern, wie z. B. dem "Goldenen Schnitt" oder Bach's Fugenthema. Dies verdeutlich die Bildung, die Seligman zwar genossen hat, vom richtigen Leben aber keine Ahnung zu haben scheint.

Die Schauspieler sind teilweise schon erwähnt worden. Den besten Job machen hier Stacy Martin und Charlotte Gainsbourg jeweils in der Rolle der jungen bzw. alten Joe. Dies liegt auch an den Hauptanteilen im Film. Unterrangiere Hauptpersonen sind Jerome und Seligman. Alle anderen folgen später. Dabei ist die Besetzung in diesem Film durchaus ein Hollywood-Star-Ensemble: Uma Thurman in der Nebenrolle als Eifersüchtige Ehefrau Mrs. H., Willem Dafoe als Geldeintreiber L., Udo Kier als Kellner in einem Restaurant, den bereits erwähnten Christian Slater als Joes Vater, Shia LaBeouf als Jerome. Was von Triers Arbeit angeht, kann ich mir kein Statement erlauben, denn es war der erste Film von ihm, den ich sehen durfte. Einzig "Dear Wendy", zu welchem er das Drehbuch schrieb, ist mir bekannt.

Viele werden diesen Film nicht mögen, da Spannungsmomente insgesamt rar sind. "Menschenfeind" ist am ehesten ein ähnlicher Film wenn auch in seiner Machart besser, kürzer und damit auch prägnanter und weniger pornographisch. Ich kann eigentlich gar nicht sagen, ob dieser Film jetzt gut oder schlecht ist, denn das ist gerade bei solchen Werken geschmackssache. Der Film hat mich durchweg unterhalten und wurde auch eigenltich nicht langweilig, auch wenn er insgesamt sehr sehr leise ist (sieht man einmal von der einmalig vorhandenen Rammstein-Musik ab). Für mich bekommt er 08/10 Punkten, andere würden wahrscheinlich nicht mal einen Punkt geben. Jedem das Seine.

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