Review

Ich wollte nicht, dass der Film nach Cannes geht. Ich wurde vom Gegenteil überzeugt. Ein Massaker! Resnais hatte fünf Jahre lang nicht gefilmt und es war das einzige Mal, dass er in die Scheiße hineingezogen wurde. (...) Kritiker haben mich nie wach gehalten, außer bei Stavisky. Es gab so einen Ausbruch. Da sagte ich: „Das sind wirklich Idioten!

~ Jean-Paul Belmondo

Keine historisch korrekte Darstellung der Ereignisse, aber so ähnlich geschehen, mit Fantasie verzogen und verschnörkelt, nicht gänzlich fern der Realität. Sein und Schein, Kunst und Können, eine gespaltene Persönlichkeit, ein Starvehikel für Belmondo, eines von in der Zeit vielen. Öfters etwas neben der Spur hat man Mitte der Siebziger gelegen, ist man etwas andere Wege gegangen, verschiedene Töne wurden angeschlagen, ein Ausprobieren im Wirken, noch Kassenstar, mit den besten Regisseuren wie hier Alain Resnais versehen:

Der in Russland geborene französische Serge Alexandre Stavisky [ Jean-Paul Belmondo ] führt in den frühen 1930er Jahren als Eigentümer verschiedener Unternehmen (Théâtre de l'Empire, Pressekonglomerat, Société foncière Marseille, Juweliergeschäft etc.) ein ausschweifendes bis verschwenderisches Leben; trotz auch der Anhäufung von Schulden und trotz allerlei pikanten bis zunehmend gefährlicher werden 'Operationen', die auch Chefinspektor Pierre Bonny [ Claude Rich ] auf den Plan rufen, aber noch von Staviskys Anwalt Albert Borelli [ François Périer ] sowie Pierre Grammont [ Pierre Vernier ] gedeckt werden können, zumal Chefinspektor Boussaud [ Marcel Cuvelier ] zu seinen Gunsten interveniert. Zu Staviskys Vertrauten gehört auch sein Arzt Dr. Mézy [ Michael Lonsdale ], der Baron Jean Raoul [ Charles Boyer ] und natürlich seine Ehefrau Arlette [ Anny Duperey ], was ihn allerdings nicht daran hindert, Nächte mit anderen Frauen zu verbringen. Sowieso hört er nicht auf Ratschläge, was ihn zunehmend gefährlich für Andere macht, und zunehmend gefährlich für ihn selber wird.

Zeitlich geht man wieder einen Schritt zurück, eine Epoche älter, mal wird die französische Revolution bzw. deren Nachwirkungen in Augenschein genommen, hier sind es die Dreißiger, eine Geschichtsstunde, eher zwei davon, ein bisschen zäh in der Erzählung, eher ruhig als belebend. Ein Weg ins Exil wird beschritten, eine Aufenthaltsgenehmigung für Frankreich ausgestellt, im ganz kleinen Rahmen, verschämt und vor der Aufmerksamkeit versteckt, ein Blatt der Geschichte ist gewendet. Politik wird gemacht, erwähnt und zur Diskussion bereitgestellt oder zumindest als Rahmen angespielt, die Polizei ebenso, eine Korruption angedeutet, Geschehnisse, die erst nichts miteinander zu tun haben scheinen, kleine Details im großen Bild, ein 'Spiel auf zwei Klavieren'. "Ich will jede Einzelheit erfahren. Ich beschlagnahme Sie für den ganzen Tag." Erst ein Smalltalk, dann Polemik, dann geschäftliche Gespräche, dies alles in edlen Bauten, größere Anlagen mit Hochtreppen, mit Fahrstühlen und Schwingtüren. Zeitgeschichte und Träume, Zeitungsnachrichten und wiedergegebene Erzählungen, Faktoren von außen und von innen, dazu die Streicher auf der Tonspur, die vielen Prozessionen, die antiken Karosserien, die blank geputzten Limousinen. Luxus, Tanz und Flitter ist das eingangs hier, ein 'lebensvolles Bild mit trüben Aspekten'.

Der Zweite Weltkrieg steht vor der Tür, die Nazis sind gerade an die Macht gekommen, das bemerkt man hier noch nicht, das ahnt man nur, Namen wie Mussolini werden in den Raum gestellt, Spanien ist auch um die die Ecke, Deutschland ist nicht weit entfernt. "Hätte ich es Sascha sagen sollen? Gar nichts zu sagen ist immer eine Art Verrat." Andeutungen werden geboten, ein Vergessen wird angestrebt, das Leben von früher soll ebenso abgestreift werden wie hier und heute, im florierenden Jetzt, im Prunk und im Luxus, als respektabler Mann mit vielen Möglichkeiten und rosiger Zukunft gelebt. Es gibt Rückblenden einer Verhaftung, wegen Geldangelegenheiten bzw. dem Nicht Erfüllen dieser, die Kasse kleiner und die Wünsche größer. Das Drehbuch als Dossier, als Akte, als Biographie, als Bericht eines Psychologen, als Sittenbild, als zusätzlicher Kommentar der Titelfigur, des Hauptdarstellers. Dabei wird nicht nur Film, sondern auch Theater gespielt, es wird imaginiert, mit Vorstellungskraft gearbeitet, mit Verfolgungswahn und Größenwahn, durch die verschiedenen Stadien gewandert, tief gestapelt und hoch gestapelt, meist im Dialog vorgetragen und instruiert. Geld wandert in die Taschen, wird fleißig verteilt, wird mit vollen Händen verteilt, ist auch auf der Leinwand zu sehen, wird investiert.

Belmondo, die treibende Kraft hinter dem Projekt, spielt hier eine Figur und wieder mal sich selber, spielt auf Alles oder Nichts, spielt zwischendurch die Rolle eines Geistes, auf einer Bühne, die Kulisse winterlich, "Sie sind Jüdin, gut, aber warum müssen Sie es allen ins Gesicht sagen?" - "Weil es wahr ist." - "Eine sehr einfache, und sehr dumme Antwort." Das erste Treffen mit einer noch speziellen Frau, die erste Begegnung von vielen, das Drama eines Menschen ohne Rast und ohne Ruhe, er will nicht vergessen werden. "Eine trübe Familiengeschichte", eine Biographie, "Sie wissen nichts von mir.", über einen Menschen, dessen Tod damals die Welt in Aufruhr gesetzt hat, heute aber so gut wie niemand kennt. Belmondo trägt hier (wie in der quasi modernen, besser funktionierenden Variante Der Erbe) viele, nicht alle Szenen, manche sind mit absichtlich theatralisch, die Freude am Paradoxen, der Tragödie, der Kritik, dort liegt auch eher die Wirkung. Die Dekoration ist reich, die Gefühle selten greif- und spürbar, der Bezug zur Ehefrau, parallel die Belange um Trotzki, die wie aus einem anderen Film wirken, der Drang nicht nach Frieden und Ruhe, sondern in die Öffentlichkeit, nach Hochfinanz und Politik. Wo man sich gerade befindet, wird durch Stadt-, Tür- und Hausschilder gezeigt, es geht viel herum in der Welt, Stavisky hat eine Entourage, die mit ihm, aber nicht zu ihm, nebenher und anschließend aber über ihn spricht. "Ich möchte den Zeugen daran erinnern, dass er nunmehr zur Sache kommen muss.": Ein früher Auftritt von Gérard Depardieu, eine halbe Minute vielleicht, kurz vor Die Ausgebufften, reißt den Zuschauer kurz aus der Geschichte raus, sattsehen tut man sich an den Naturaufnahmen, die einfachen Freuden des Lebens, ansonsten die Bewegungen steif, der Mund trocken vom vielen Reden.

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