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Der italienische Regisseur Stefano Vanzina, der später unter seinem Pseudonym Steno Filme wie „Plattfuß am Nil“ mit Bud Spencer drehte, zeichnet für den anscheinend ersten reinrassigen Poliziesco, also italienischen Polizeifilm, verantwortlich, der 1972 unter dem Titel „Das Syndikat“ in deutsch-italienischer Koproduktion entstand.

Hauptkommissar Mario Bertone (Enrico Maria Salerno, „Mädchen in den Krallen teuflischer Bestien“) steht zwischen allen Fronten: Die Justiz sieht sich gezwungen, von ihm überführte Verbrecher wieder laufen zu lassen, er muss sich aufgrund harter Übergriffe von Polizeibeamten auf Demonstranten der Kritik der fortschrittlichen Presse aussetzen und bekommt es zu allem Überfluss als Konsequenz auch noch mit einer verschwörerischen Gruppierung zu tun, die auf eigene Faust Verbrecher und andere, die ihr nicht in den Kram passen, aufmerksamkeitserregend exekutiert. Dabei ist er doch eigentlich gerade auf der Suche nach zwei Raubmördern, die nach einem Überfall kaltblütig unschuldige Menschen erschossen haben. Michele (Jürgen Drews, „Ballermann 6“) ist der Hauptverantwortliche und nahm auf seiner Flucht kurzerhand eine Geisel…

„Das Syndikat“ deckt eine Vielzahl von Themen ab, ist dabei trotzdem leicht verständlich statt verkopft-komplex, dabei inhaltlich intelligent und aussagekräftig. Drehbuch und Regisseur gelang der richtige Mittelweg zwischen plakativer Vereinfachung zu Verständniszwecken und Erörterung gesellschaftlicher Sachverhalte, weit entfernt von verkürztem, einseitigem Stammtischdenken. Wirkt es anfänglich evtl. noch anders, werden doch im Laufe des Films sämtliche Parteien und Positionen differenziert und letztlich sachlich betrachtet, statt vereinfachte Gut/Böse-Schemata aufzufahren. Die aufgeweckte Journalistin Sandra (Mariangela Melato, „Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies“) geht ihrem Beruf gewissenhaft nach und beobachtet die polizeilichen Gewaltexzesse kritisch, trifft sich in ihrer Freizeit aber trotzdem mit Bertone, statt ihn zu verteufeln und sich Scheuklappen aufzusetzen. Diskutierwürdige Aussage ihrerseits werden nicht zum Anlass genommen, ihre Tätigkeit oder ihre Person als Ganzes infrage zu stellen oder sie zu zerreißen. Staatsanwalt Ricciuti (Mario Adorf ohne Bart, „Der Mafiaboss“) erscheint naiv, aber keinesfalls als schlechter Mensch. Die Empörung über dank gesetzlicher Lücken und anwaltlicher Rechtsverdreherei freigelassener Kapitalverbrecher ist verständlich, einfache Lösungen aber nicht möglich, ohne den Rechtsstaat zu gefährden. Empathie für den jugendlichen Raubmörder aufzubringen, ist da schon schwieriger, als es ihm an den Kragen gehen soll aber nicht unmöglich.

„Das Syndikat“ zeigt ein unter zunehmender Gewalt und Kriminalität ächzendes, postfaschistisches Italien, das sich der Herausforderung ausgesetzt sieht, einen faschistischen Putsch zu verhindern. Denn eben jenen planen die hohen Herren, die hinter der konspirativen Organisation stecken, schnell Zustimmung und Unterstützung unter Polizeibeamten finden und versucht sind, sich die Ereignisse zunutze zu machen. Damit ist „Das Syndikat“ ein Lehrstück hinsichtlich der fortwährend lauernden faschistischen Gefahr in Nachkriegszeiten, über ihre Mechanismen, Manipulationen und Rattenfängerei, ohne einfache Lösungen anzubieten oder zu propagieren und stattdessen zu Wachsamkeit, Besonnenheit und Reflektion aufruft.

Und Vanzinas Film wäre kein italienisches Genrekino, würde es bei allem Anspruch äußere Form und Unterhaltungsfaktor vernachlässigen. Das ist mitnichten der Fall, denn die Darstellerriege spielt überwiegend charismatische Rollen, allen voran Salerno als Betone, der sich jeglicher Klischee-Kategorisierung angenehm entzieht und einen ebenso emotionalen wie bedachten, sachlichen Charakter mit allem ihm gegebenen Talent mimt. Nach den starken Filmen, in denen Mario Adorf eine Haupt- oder zumindest größere Rolle zuteil wurde, irritierte mich zunächst etwas der eher geringe Umfang seiner Nebenrolle, die er aber gewohnt souverän meistert und auch seiner eher unterkühlten Rolle Gewicht verleiht. Mariangela Melato mit ihrer ungewöhnlichen Augenpartie ist nicht nur ein erinnerungswürdiger Hingucker, sondern füllt ihre Journalistinnenrolle mit einer selbstverständlichen Ambivalenz aus, die ihre Reduzierung auf ein „Love Interest“ oder eben eine forsche Pressedame gar nicht erst zulässt. Für den unvermeidlichen Sleaze-Anteil sorgt die bildhübsche Laura Belli („Der unerbittliche Vollstrecker“) als Entführungsopfer Micheles, der wiederum doch tatsächlich von Kornfeldpenner Jürgen Drews gespielt wird. Dieser kam, wenn vielleicht nicht unbedingt wie die Jungfrau zum Kinde, so doch reichlich unverhofft zu seiner größeren Nebenrolle und macht seine Sache überraschend gut. Man nehme einfach einen unsicheren jungen Mann ohne wirkliche Schauspielerfahrung und lasse ihn einen unsicheren jungen Mann ohne wirkliche Raubmorderfahrung spielen – und es funktioniert. Hätte er doch bloß eine Schauspielkarriere eingeschlagen...

Diese illustre Runde agiert also in einem Film, der allein schon aufgrund seiner thematischen Bandbreite ein recht hohes Tempo an den Tag legt, dank des erschreckend pessimistischen Endes eine große inhaltliche, aber auch einiges an visueller, doch nie selbstzweckhafter Härte zu bieten hat und von einem mitreißenden Soundtrack Stelvio Ciprianis unterlegt wurde. Das Tüpfelchen auf dem I seiner inhaltlichen Bedeutsamkeit ist der Umstand, dass eine Geiselnahme auf der Flucht seinerzeit beinahe als visionär galt, hatte es so etwas in der Realität bisher doch kaum gegeben. In diesem Punkt erinnert mich „Das Syndikat“ an Rolf Olsens „Blutiger Freitag“, der im gleichen Jahr erschien. „Das Syndikat“ ist ein rundum gelungener, bahnbrechender und intelligenter europäischer Film, eine unmissverständliche Absage an Selbstjustiz und ironischerweise Mitbegründer eines Genres, das eben diese gern glorifizieren sollte.

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