Regisseurin Doris Dörrie serviert uns hier keine reinrassige Komödie - das hat sie sich auch keineswegs als Ziel gesetzt. Tatsächlich will sie die Natur der Beziehung als chemische Verbindung zweier Menschen tiefgreifend beleuchten und strukturierte dabei ihren Film nach einem Traditionsprinzip unkompliziert in Einleitung, Hauptteil und Schluss.
"Nackt" dreht sich um sechs Personen und beginnt zunächst mit einem langen Dialog zwischen Emilia (Heike Makatsch) und Felix (Benno Fürmann), die sich vor einiger Zeit getrennt haben und nun zum Essen bei Freunden eingeladen sind. - Ebenso wie Annette (Alexandra Maria Lara) und Boris (Jürgen Vogel), die wir nach einem Szenenwechsel ebenfalls beim Führen eines ausführlichen Gespräches beobachten. Gastgeber des Abends sind Charlotte (Nina Hoss) und Dylan (Mehmet Kurtulus), die, wie Annette und Boris, noch ein Paar sind. In allen drei durch längere Szenen getrennten Vorstellungen kristallisiert sich ein Kernthema heraus: Die Natur der Partnerschaft. Die entscheidenden Faktoren bilden dabei die von Grund auf unterschiedlichen Charaktere, ihre derzeitigen Lebenssituationen, sowie die Stufe ihrer Beziehung zueinander, auf der sie sich momentan befinden.
So finden wir die Protagonisten durchaus unterschiedlich fortgeschritten auf einem entsprechenden Partnerschaftslevel wieder. Während Emilia und Felix sich schon getrennt haben, brodelt es unter der Oberfläche der nach Außen edel und sorglos auftretenden Gastgeber Charlotte und Dylan bereits gewaltig. Lediglich Annette und Boris scheinen noch eine intakte Beziehung zu führen, auch wenn Streitigkeiten schon nicht mehr unter einem schützenden Deckmantel zu verbergen sind.
Nach der Einführung geht es dann aber wirklich ans Eingemachte - beim Dinieren entsteht aus einer freudigen Diskussionsrunde heraus eine Wette. Diese ergibt sich aus dem zentralen Thema der drei Dialogszenen vor der Zusammenkunft der Freunde. Vor Verkündung der Wette erleben wir jedoch, dass die Freundschaft der sechs untereinander doch mittlerweile sehr porös ist beziehungsweise einige Risse aufweist. Sie stacheln sich teilweise gegenseitig an, reden aneinander vorbei und pflegen offensichtlich gerne Eifersucht, Neid und Unehrlichkeit. Die atmosphärischen Gegebenheiten sind also alles andere als idyllisch.
Da die Probleme eines jeden beim Hinzusteuern auf das Herzthema des Filmes offenkundig dargelegt werden, spitzen sich die Diskussionen allmählich zu. Wie glücklich ist man überhaupt? Wer hat alles "Speck auf der Seele"? Und was bedeutet eigentlich wahre Liebe? Denn diese wird schließlich auf die Probe gestellt, als Felix eine Wette initiiert. Er behauptet nämlich, dass die zwei Paare Annette und Boris, sowie Charlotte und Dylan sich nackt mit verbundenen Augen nur durch gegenseitiges Tasten des Körpers nicht wieder erkennen würden. Mit dem Ende des erotischen Experiments, dessen Verlauf und Ausgang an dieser Stelle nicht verraten werden soll, wird strukturell bereits der Schlussabschnitt eingeläutet, indem alle sechs, zusammen mit demjenigen, mit dem sie jeweils am nächsten verbunden sind, den Weg nach Hause antreten beziehungsweise alleine in der Wohnung zurückbleiben und nun erneut muntere Gespräche führen, aus denen völlig verschiedene Ergebnisse und Erkenntnisse entspringen werden.
Leicht abgedreht ist vermutlich schon die ein oder andere Figur; auch ist desöfteren eine heitere, amüsante Wirkung Resultat der Dialoge und doch ist "Nackt" keine richtige Komödie, sondern versucht sich in ernsthafter und intelligenter Weise mit dem zentralen Thema, sowie allerdings auch den peripheren Konflikten auseinander zu setzen. Der Wohlstand von Charlotte und Dylan ist daher Anlass für Gespräche mitunter über Geld und Materialismus. Kritik klingt gerade in Anbetracht der Möglichkeit durchaus auch an uns an, dass einer der sechs Charaktere, die offensichtlich alle ihre Schwächen und Fehler haben, eine Reflexion unser selbst sein könnte. Das Experiment an sich propagiert zudem wohlmöglich die Befreiung unseres Seelenspecks durch uns selbst und uns ohne schützende Hülle oder Maske zu präsentieren.
Interpretationsspielraum ist also definitiv vorhanden, was ebenfalls beweist, dass Doris Dörrie intelligent an die Aufgabe heran gegangen ist. In den zahlreichen Dialogen verstecken sich daher in großer Anzahl Zweideutigkeiten oder sprachliche Mittel, wie besonders die zur Metaphorik gehörenden. Ein klares Manko jedoch ist die viel zu trocken verlaufende Darstellung der Thematik, die sich beinahe ausschließlich nur aus Dialogen ernährt. Auch wirkt einiges gekünstelt und aufgesetzt - sprich ungewollt unnatürlich, wo wir uns doch mit zumindest einem der Charaktere identifizieren sollen. Das exzessive durch den Raum Schreien als Beispiel oder das tiefgründige Philosophieren in dieser Essenssituation lässt beim Zuschauer Zweifel an Glaubwürdigkeit und Realismus zu. Gleiches gilt für die überwiegend steril wirkende Kulisse. Die Darsteller sind in dieser Hinsicht unschuldig und an das Drehbuch gebunden, können aber, obwohl der Film einen hohen Grad von Anforderungen an sie stellt, trotzdem schauspielerisch überzeugen, auch wenn die deutsche Theatralik ab und zu in ihnen steckend zu spüren ist. Anerkennung sollte aber besonders noch Alexandra Maria Lara, Nina Hoss, Mehmet Kurtulus und Jürgen Vogel, die sich hier sehr freizügig entblättern, zugesprochen werden.
Doris Dörrie gelang mit "Nackt" erfreulicherweise keine konventionelle, deutsche Beziehungskomödie, sondern ein philosophierender, denkender und viele Aspekte abwägender, seriöser Film, der sich zwar auf eine simple Strukturierung beruft, jedoch neben dem Zentralthema noch eine Unmenge von weiteren Konflikten anschneidet und nachvollziehbare, seichte Kritik an Gesellschaft und menschlichem Individuum übt. Schade nur, dass durch unspektakuläre Inszenierung alles so extrem trocken abläuft.