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Normalerweise gibt es feste Bedingungen, die vor der Produktion eines Filmes erfüllt werden müssten. Bestimmte Dinge die ein jeder Regessieur gelernt haben muss, bevor er anfängt einen Film zu drehen. So etwa wie die richtige Verwendung eines Drehbuches, oder noch wichtiger die Beschaffenheit eines solchen.
Man mag ja meinen, dass das Filmdrehen ohne Drehbuch etwa so ist, wie das Bauen eines Gebäudes ohne Bauplan, und wer tatsächlich so vorgeht kann dann wohl nur noch ein unprofessioneller Amateur sein…
Doch dann gibt es auch wieder wundersame Ausnahmen, wie etwa den Regessieur Wong Kar-Wai – ein absoluter Ausnahme Regessieur – der genauso vorgeht, und damit auch noch ernsthaften Erfolg verbuchen kann.

Und auch das mit Preisen nur so überhäufte „In the Mood for Love“, der etwas andere Liebesfilm, welcher heute als modernes Meisterwerk da steht, darf sich mit dem Umstand rühmen von Anfang an keine detaillierte Struktur gehabt zu haben und trotzdem wunderbar zu funktionieren.

Denn die genaue Geschichte ist bei diesem Film gar nicht so wichtig.
Am Anfang war da nur eine interessante Idee, die Wong Kar-Wai durch den Kopf schoss. Weitere Ausarbeitung dieser Idee gab ihm evtl. ein französischer Love Song, und schon hatte er Lust einen schönen Film zu drehen, in dem er die beiden Hauptdarsteller vor die Kamera stellt und einfach mal machen lässt.
Tatsächlich entsteht die eigentliche Handlung erst im Schnittraum, wo aufwendig gedrehte Szenen entweder an die Öffentlichkeit gelangen, oder ihren Weg in ein Sammelsurium von nicht verwendeten Bildmaterial finden.

Damit also ein solcher Film funktioniert benötigt es zwei talentierter Akteure, die auch etwas mit den ihnen gegebenen Rollen anfangen bzw. diese verstehen können.
Und da greift Wong Kar-Wai zu zwei bewährten Top-Stars aus dem asiatischen Filmraum.
Tony Leung Chiu-Wai, welcher sich bereits durch einige John Woo Filme ballerte, und Maggie Cheung, den meisten sicherlich bekannt aus der Police Story-Trillogie.
Die Auswahl war nicht ganz willkürlich, haben die beiden schon bereits mit Herrn Kar-Wai zusammengearbeitet, und sind überdies auch im privaten Leben enge Freunde, so dass, das Interagieren miteinander eigentlich gar kein Schauspiel der beiden verlangt.
Denn der Regessieur legte Wert darauf, dass die beiden Darsteller nicht nur deren Rolle, sondern auch sich selbst im Film präsentieren.
Das Fehlen eines Drehbuchs, oder zumindest die groben Bruchstücke davon die evtl vorhanden waren, führen dazu, dass viele Szenen aus der Improvisationsarbeit der beiden sich sehr nahe stehenden Akteuren bestehen.
So lassen sich viele solcher Szenen, die einfach Liebe und Zuneigung vermitteln, gut in die erst später entstehende Handlung einfügen.

Lediglich die Grundidee Wongs, war die zunächst einzige richtungsweisende Struktur.
Hier geht es um 2 Ehepaare die am selben Tag in eine Wohnung einziehen, und somit zu Nachbarn werden.
Chow (Tony Leung) sieht seine Frau selten, da diese oft Nachtschicht hat und Su (Maggie Cheung) sieht ihren Mann selten, da er ständig auf Geschäftsreise ist.
Um diese Einsamkeit zu bekämpfen, treffen sich Chow und Su öfters, und merken dass sie dieselben Interessen verfolgen (z.b Kung Fu Geschichten schreiben).
Doch irgendwann wird den beiden auch klar, dass deren Ehepartner miteinander eine Affäre haben.
Genau das bringt die beiden noch mehr zusammen, doch sie wollen es auch nicht zu mehr kommen lassen, denn aus purer Rache es dem jeweiligen Ehegatten ebenfalls mit Fremdgehen heimzuzahlen kommt für die beiden unglücklich verheirateten nicht in Frage.

So laufen die nächsten Treffen der beiden darauf hinaus, dass sie ein Schauspiel betreiben, um den Ehepartner des Gegenüber darzustellen, ja fast schon diesen zu ersetzen.
So sitzen Chow und Su im Restaurant und bestellen für den anderen jeweils das, was dessen Ehepartner immer gerne isst.
Was anfangs noch wie ein nettes Spiel wirken mag, wird später zu emotionalen Generaltests.
Su will von Chow, den sie gerade als ihren Ehemann betrachtet, wissen ob er eine Geliebte habe. Das eigentlich nur gespielte Geständnis trifft Su wie ein rostiger Pfeil, und sie verfällt in Tränen.
Solche Tests betreiben sie des Öfteren, doch irgendwann nehmen sie nicht mehr die Rolle ihrer Ehegatten ein, sondern bleiben sie selbst, und testen damit die Reaktionen auf ein Woomögliches Niewiedersehen.
Diese Beziehung formt allmählich die Gefühle der beiden, und Chow verliebt sich in Su.
Doch ihm ist klar, dass das falsch ist, und er kann nicht erwarten, dass ihr Mann aus ihrem Leben verschwindet, also hält er es für das beste selbst fortzugehen…

Und so endet die Geschichte vorläufig, wird aber in der parallel zur ITMFL gedrehten Fortsetzung „2046“ weitererzählt.

Man sieht es dem Film vielleicht nicht an, doch es steckte eine ganze Menge Arbeit dahinter. In erster Linie versucht der Film ein Kunstwerk zu sein.
So legte Kar-Wai größten Wert auf inhaltliche Details und filmische Stilmittel, um sein Werk optisch und akkustisch höchst ansprechend zu gestalten, ohne dass es dabei aufdringlich protzig wirkt.
Ein Bestandteil davon ist zum Beispiel das Auftreten von Maggie Cheung.
Wesentliche Merkmale, sind ihre voluminöse Frisur, die mehrere Stunden zur Fertigung beanspruchte, und dann ist da noch ihr Outfit; Den ganzen Film über trägt sie immer ein anderes Cheongsam – Bei jeder neuen Szene trägt sie dasselbe Kleid in anderer Farbe und neuem Muster, mal bunt und auffällig, mal schlicht und zurückhaltend, doch es sieht immer hübsch aus.
Tony Leung dagegen kommt immer mit einem eleganten Geschäftsanzug, und fällt durch seine ein wenig zu spießig wirkende schmierige Frisur auf, doch so wird das wohl in den 60er gewesen sein.
(Nur die deutsche Synchronstimme von Herrn Leung finde ich mehr als unpassend.)

Kar-Wai versucht möglichst jede Szene hübsch aussehen zu lassen, und das schafft er auch; sogar das Qualmen einer Zigarette sieht hier durch dezenten Einsatz von Zeitlupe begleitet durch einen immer wiederkehrenden Geigen-Solo sehr ästhetisch aus.
Oft platziert Wong die Kamera hinter irgendeiner Vorrichtung, sei es eine Pflanze, unter einem Bett, oder hinter einem Fenster, um dem Zuschauer das Gefühl zu geben Nachbar von Chow und Su zu sein.
Das Zusammenspiel der beiden ist erstklassig. Da Leung und Cheung vertraute Freunde sind, und viele der Szenen auf deren teils improvisiertes, rollen unabhängiges Zusammenspiel aufbaut, entwickelt sich beim betrachten des Filmes eine Chemie zwischen den beiden Charakteren, die voll und überzeugt.
Hätten die beiden einen jeweils anderen Schauspielkollegen gehabt, wäre das Ergebnis sicherlich weitaus weniger überzeugend ausgefallen.
Dieser Film sollte auch schließlich etwas Besonderes werden, und Kar-Wai wollte ihn ausschließlich seinen beiden Hauptdarstellern widmen, weshalb der komplette Rest des Darsteller-Ensembles keine sonderlich einflussreichen Rollen spielt.
Die beiden Ehepartner der beiden werden sogar gar nicht gezeigt.
Wenn Chow mut Su’s Ehemann redet, ist nur Chow im Bild, lediglich die Stimme des Mannes ist zu hören.

Der Fokus liegt also stark auf Tony und Maggie, die also jede Menge Zeit für sich haben, Zeit die jedoch nicht ausschließlich für Dialoge genutzt wird.
Der Film sagt schon jede Menge durch die Körpersprache der beiden aus.
Sie sind beide im Bild, und sagen kein Wort; zärtliche Gesten mit den Händen reichen aus, um die Szene verständlich zu machen.
Dies wird immer mit einem klassischen Lovesong begleitet und durch Einsatz von Zeitlupe noch schöner gemacht.

Doch all diese Einfälle und Szenen benötigten ihre Zeit.
Das große Improvisieren und nachträgliche hinzufügen von neuen Ideen führte zu einer Drehzeit von 15 Monaten; wären da nicht die Filmfestspiele von Cannes hätte es wohlmöglich noch länger gedauert.
Bei der Locationsuche zum Film 2046 finden sich plötzlich geeignete Drehorte für „In the Mood for Love“ (und umgekehrt).
Ohne Drehbuch boten sich Wong freie Gestaltungs-Möglichkeiten, die fast schon kein Ende nehmen wollten, und am Ende landeten von 2 Stunden Bildmaterial etwa 30min, darunter eine Szene in der es zwischen Chow und Su zur Sache geht, in eine Abteilung Nicht verwendeter Szenen

Doch das Endergebnis, welches erotische Bilder aller Art entbehrt (es gibt nichtmal einen Kuss) kann sich trotzdem sehen lassen, denn „In the Mood for Love“ ist ein schönes und vor allem angenehm anzusehendes Stück Filmkunstwerk, welches mit Bildern und Musik wirklich begeistern kann.
Es ist aber eben auch ein sehr ruhiger Film, denn für irgend eine Art von Action ist hier kein Platz und auch humoristische Einlagen lassen sich hier nicht finden, und ich kann mir gut vorstellen, dass sich manch einer von den simplen Dialogen gelangweilt fühlt.
Für die einen ist es ein wunderschönes Gesamtkunstwerk, für die anderen der wahrscheinlich langweiligste Film der Welt (das empfand zumindest so meine Mama, die sich den Film vor Langeweile gar nicht zu Ende gucken wollte).
Doch die Filmpreise kommen nicht von irgendwoher, und wenn ein chinesischer Film den deutschen Filmpreis gewinnt und auch in Cannes abräumt, dann darf man sich auf jeden Fall auf anspruchsvolle Filmkost freuen.

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