Die Zeiten sind hart für Bo Arne Vibenius. Sein bizarrer Debütfilm "Hur Marie träffade Frederik" floppte kläglich und ließ seine Karriere früh als gescheitert aussehen. Vibenius jedoch hatte nach dem Misserfolg immer noch die Motivation, einen großen Film zu drehen, ein großer Regisseur zu werden und auf jeden Fall noch seine Familie zu ernähren. Deshalb schuf er mit "Thriller - A Cruel Picture" einen Exploiter, den er selber als den "Kommerziellsten aller Filme" plante. Aus "Thriller - A Cruel Picture" wurde gerechtfertigter Weise ein Kultfilm, jedoch nicht annähernd der kommerzielle Must-See, den Vibenius erschaffen wollte. Sein erneutes Scheitern ist darauf zurückzuführen, dass Vibenius anscheinend schlichtweg nicht weiß, was wirklich kommerziell ist, und was sich an ein Underground-Publikum richtet.
Vibenius' Anleitung für die Zusammenstellung des "kommerziellsten Films aller Zeiten" sieht demnach folgendermaßen aus:
1. Die Story. Die Geschichte ist eine wilde, rüde Rape-&-Revenge-Stoy, über Madeleine, ein braves Mädchen vom Lande, das seit einem traumatischen, sexuellen Übergriff aus ihrer Kindheit stumm bei ihren Eltern lebt. Als sie eines Tages den Bus in die Stadt verpasst, nimmt das Schicksal seinen Lauf: Sie wird als Anhalterin von dem schmierigen Tony Dill aufgegabelt, der sie zunächst schick essen ausführt, danach aber in seinem Heim sein wahres Gesicht zeigt: Er spritzt ihr Heroin und macht sie somit abhängig, zwingt sie zur Prostitution und schneidet ihr zur Warnung, keine Kunden zu vergraulen, das Rechte ihres hübschen Augenpaares heraus. Tony schreibt hässliche und verletzende Briefe an die Eltern im Namen von Madeleine. In deren Verzweiflung, von dem einzigen Sonnenschein ihres Lebens derart beschimpft und verlassen worden zu sein, begehen sie Selbstmord. Ohne Zufluchtspunkt und Aussicht auf Besserung sinnt Madeleine auf blutige Rache und trainiert sich an ihren freien Tagen selbst zur kaltblütigen Tötungsmaschine.
2. Die Gewalt. Um "Thriller" möglichst kontrovers zu machen, geht Vibenius nicht gerade zimperlich mit seinen Figuren um. Vor dem Wendepunkt im Film ist es die psychische und physische Gewalt, die ausschließlich an der zarten Madeleine (Christina Lindberg) verübt wird, und später jener befreiende Racheakt, in dem sie sich von ihren Folterern und Vergewaltigern löst. Wenn Madeleine am Ende Martial-Arts-erprobt in den Kampf zieht, und mit einer Schrotflinte ihre Peiniger erschießt, dann betrachten wir das in langsamer Slowmotion. Das Aufplatzen der Körper, die verzerrten Schreie und das Prasseln der Toten auf den Boden werden in langsamer, ästhetischer, blutiger Langsamkeit zelebriert.
3. Der Sex. Nicht nur, dass die junge Lindberg sehr hübsch und sexy aussieht, Vibenius wollte den aufoktroyierten Geschlechtsverkehr in Tonys Heroinbordell genauso detailreich wie seine spätere Gewalt inszenieren, und so kommt es, dass pornographische Szenen zwischen die Softsex-Szenen mit der Akteurin geschnitten werden. Natürlich sind jene plumpen Detailaufnahmen von Genitalien nie wirklich zu den echten Akteuren zugehörig, aber Vibenius bestand auf eine derart explizite Illustration der Vergewaltigung, um den Schrecken und Schmerz in Madeleine nur spürbarer für den Zuschauer zu machen. Natürlich aber dienen jene Szenen auch zum exploitativen Selbstzweck, denn nicht umsonst baut Vibenius die ungewöhnlichsten Kunden für seien Madeleine in dem Film ein: Von photographierenden Fettsäcken bis hin zu Sadomaso-Lesben muss Madeleine viel über sich ergehen lassen.
4. Der Style. Wie schon die Direktheit in der Darstellung von Sex, Gewalt und Drogenkonsum, ist auch der restliche Film sehr over-the-top. Am besten lässt sich dies an den Kostümen Christina Lindbergs manifestieren. Zu Beginn, in den Szenen, in denen sie nur ein unschuldiges Mädchen vom Lande ist, wird ihre Kleidung von hellen Tönen dominiert. Unmittelbar vor ihrer ersten Vergewaltigung und vor ihrem gewalttätigen Zusammentreffen mit Tony Dill, trägt sie leuchtendes Gelb. Im Laufe der Geschichte ändert sich ihr Stil in dunklere Farben. Nachdem Madeleine ein Auge durch Tony verloren hat, trägt sie eine schicke Augenklappe, deren Farbe variiert, um immer zum restlichen Dress zu passen. Und so ist Madeleines finales Outfit das Dunkelste und Beeindruckendste: In einem langen, schwarzen Ledermantel gehüllt, und mit einer schwarzen Augenklappe geschmückt macht sie mit einer abgesägten Schrotflinte Jagd auf ihre Feinde.
5. Der Ruf. Die Gerüchte um "Thriller" sind legendär, und viele von ihnen wurden direkt von Vibenius und Lindberg vor der Premiere des Films forciert. So ist die Szene, in der der Augapfel von dem Skalpell durchstochen wird, angeblich mit einer echten Leiche realisiert worden. Und immer wieder tauchten Gerüchte über eine mögliche Minderjährigkeit Lindbergs auf, während sie die Nacktszenen für "Thriller" drehte. Wirklich wahr ist jedoch die Story, dass die Lindberg von der Polizei festgenommen wurde, als sie unter freiem Himmel ihre Schrotflinten-Trainingseinheiten vollführte.
Ja, "Thriller" ist wahrlich ein herrlicher Exploitationklassiker. Es gibt so viele stimmige Szenen, so viel Sleaze und so viel Eye-Candy (man denke nur an die völlig sinnfreie, und reichlich menschenverachtende Autoverfolgungsjagd, wo wirklich jeder Zivilist in riesigen Explosionen hübsch in die Luft gesprengt wird – obwohl es nicht mal einen Verfolger gibt[!], oder an das surreale Westernende), dass dieser kleine, dreckige Film wahrlich der kommerziellste sein könnte – aber nur für ein bestimmtes Gegenkulturpublikum, das die reißerischen Voyeurismen nicht als Schwäche interpretiert, sondern den kompromisslosen Stil, und die optische Arthouse-Attitüde schätzt. Und schon allein wegen der gefährlich hübschen Christina Lindberg, die als einäugiger Racheengel, der Schießen und Stunt-Car-Fahren kann, die weibliche Ikone der Kult-Exploitation abgibt, ist "Thriller" ein Fest fürs Auge.