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Es gibt kaum einen Film, der wie "Clean, Shaven" das eigentliche Thema über die Schwelle des Inhaltes hinwegträgt und es in Narration, Stil und Form miteinbringt. "Clean, Shaven" als ein Film über Geisteskrankheit und Schizophrenie übersetzt die Merkmale einer solchen Verwirrtheit in Filmsprache. Der Film erzählt die Geschichte eigentlich nicht, sondern lädt uns auf einen Trip in den Kopf des gestörten Protagonisten Peter Winter ein, von da aus wir die Erzählung erforschen. Die Geschichte des Peter Winter wird hier nicht aus einer unbeteiligten, beobachtenden Position erzählt, sondern direkt aus einer singulären Erste-Person-Perspektive.

Peter Winter ist krank, verwirrt und in seiner Wahrnehmung gestört. In den ersten zehn Minuten des Films ist kein Dialog zu hören, dafür aber die verstörende Geräuschewelt, die Peter Winter den ganzen Tag in seinem Kopf wummern hört. Wie ein Radio, schrammelt Statik durch den Kopf des Mannes. Während sein Autoradio nur fragmentarische Clips von Nachrichtensendungen, Wetterreporten und Kurzmitteilungen hergibt, wird Winter durch wiederkehrende Anschuldigungen, die von inneren, aber andersartigen, fremden Stimmen herausgeblafft werden, getrieben und gequält. Der Film stellt uns das psychische Wrack vor, in dem Moment, in dem es zusammengekauert in den Ruinen eines verlassenen sitzt, und sich mit der Stirn an die Wand lehnt. Apathisch, allein, ängstlich.

Peter Winter macht sich auf den Weg. In dem Kofferraum eines gestohlenen Autos findet Winter eine Schrotflinte. In einer der wenigen Augenblicke des Films, verlassen wir die geschlossenen Sphären des Peter Winter, und sehen, wie er an einem belebten Highway hinter seinem Auto steht, und mit der Waffe ins Nichts zielt. Einfach nur so proben, wie es sich anfühlt, die Schrotflinte im Anschlag zu haben, Menschenleben auszulöschen. Und dies alles passiert unmittelbar neben dem "normalen Leben", hier repräsentiert als der Highway. Doch Winter steigt zurück ins Auto, und klebt sämtliche Spiegel und reflektierende Schichten, in denen er sein reelles Gesicht erblicken könnte, mit Zeitungsausschnitten zu. Wir blicken direkt in eine abgründige Seele hinab, ähnlich grauenhaft und intensiv wie in "Henry - Portrait of a Serial Killer".

Während der Detective Jack McNally (Robert Albert) versucht, mysteriöse Mordfälle an jungen Mädchen zu lösen, und dabei auf die Spur des gestörten Peter Winters kommt, ist jener auf der Suche nach einem Mädchen, in dem selben Alter, wie die Vermißten und Ermoderten in dem Umfeld: Seine Tochter, die nach dem Tod seiner Frau und seines mentalen Verfalls zur Adoption freigegeben worden ist. Die kleine Nicole (Jennifer MacDonald) lebt bei der sorgsamen Melinda (Molly Castelloe), und besucht in regelmäßigen Abständen ihre echte Großmutter (Megan Owen). Die familiären Umstände, die der Film sowohl zu Beginn, beim Treffen zwischen Mutter und Sohn, und am Ende, bei dem starken Aufeinandertreffen zwischen Vater und Tochter unglaublich kräftig formuliert, sind unendlich emotional; erschütternd angesichts der psychischen Gefährlichkeit des Mannes, aber auch so voller Mitleid für die Familienangehörigen, denen man ansieht, das die geistige Wegscheiden eines geliebten Menschen so sehr an ihnen genagt hat.

"Clean, Shaven" bedeutet "Sauber, rasiert". Peter Winter, dem es unmöglich ist, seinen Geist rein und sauber von all den Stimmen, von all den Anklagen zu halten, versucht seinen verhaßten Körper wenigstens frei zu halten. Es gibt packende Szenen, in denen Winter seine eigene, sehr blutige Version der Körperhygiene demonstriert: So stochert er einmal mit einer Schere in seinem Kopf herum, versucht seine Haare zu schneiden, reißt aber ein Stück Haarboden mit. Unter der Dusche schrubbt er sich mit Stahlwolle seine Haut wund und blutig. In einer weiteren Szene klappt sich Winter einen Fingernagel mit einem Schweizer Messer weg. Nicht leicht anzusehen, doch wer hätte erwartet, dass es angenehm oder bequem wäre, in die eigene, schizophrene Welt eines Verrückten zu blicken?

Der Regisseur dieses herausragenden Independent-Dramas ist der unbescholtene Lodge H. Kerrigan, der bisher nur mit seinem Auftritt in Sam Henry Kass' "Auf der Suche nach Jimmy Hoyt" als stummer Kameramann für Aufmerksamkeit sorgte. Sein Regiedebüt "Clean, Shaven" ist wahrlich ein Ausnahmewerk. Seine Kamera bleibt in dem gesamten Film über sehr statisch. Den Raum um Peter Winter schlüsselt er durch viele kleine Einzelaufnahmen seiner Umwelt auf. So beispielsweise der schwarze Kaffee, der sich aufhellt, als sich die Milch in dem Getränk ausbreitet. Kamerafahrten, die die unterschiedlichen Punkte in der Welt Winters geographisch miteinander verbinden würden, sucht man vergeblich. Alle Bilder sind voneinander separiert - vielleicht ähnlich wie der Geist Winters. Dazu spielt der minimalistische Soundtrack von Hahn Rowe, der zu keiner Zeit nur einen Hauch angenehmer Melodien verbreitet, sondern für nur noch mehr Depressionen und Düsternis in dem Film sorgt.

Doch der Film wäre nur die Hälfte wert, wäre da nicht die großartige Performance von Peter Greene, den man zuvor in Tarantinos "Pulp Fiction" als Zed sah. Greene spielt den Schizophrenen fast schon zu glaubwürdig. Es ist zwar bekannt, dass Greene ein schwieriger Zeitgenosse ist, aber ein solch intensives, nuanciertes Spiel, eine so große Ausdruckskraft über Verletzlichkeit, Angst und Bereitschaft selber zu verletzen und Angst zu verbreiten, in jedem Augenblick, in jeder Bewegung, hätte wohl niemanden von dem Indie-Schauspieler erwartet.

Am Ende wissen wir, dass ein Schizophrener für unsere Gesellschaft tot ist. Egal ob hilfsbereit, liebend oder gar freundlich, oder brutal und mordend - ein geistig Verwirrter kann nicht überleben. "Clean, Shaven" ist ein wuchtiger, kleiner, kantiger Film, der aber dennoch voll Wahrheit, Respekt und Achtung steckt. Peter Winter wird nicht als gesellschaftliche Bedrohung gezeichnet, sondern auch als eine Person, der man eine weitere Chance hätte geben können. Peter Winter ist kein neuer Norman Bates, obwohl sein Look und seine Aktivitäten wohl erschreckender aussehen, als alles, was der "Psycho"-Muttermörder je getan hätte. Winter ist eher jemand, der nicht innerhalb der gesellschaftlichen Normen leben kann, und auch jemand, mit dem die Gesellschaft an sich auch nicht leben möchte. Eine schockierende, deprimierende, verfolgende Charakterstudie, so viel besser, als alle stereotypen Schizo-Thriller aus Hollywood!

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